Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-515-6
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Inhalt
1.
Eine unendlich sanfte Dünung hob ihn auf und nieder, und lauwarmer Wind streichelte sein Gesicht. Wenn er sich umblickte, sah er den fast weißen Strand mit den hohen Palmen, die fast nackten, braunhäutigen und ausgelassenen Eingeborenen und das flaschengrüne Meer, auf dem er mit dem kleinen Beiboot schaukelte.
Es war eine Lust, zu leben, fand Arie Vermeulen, der Kapitän der „Godewind“, wie sein dreimastiges Schiff hieß.
Doch immer wieder veränderte sich erschreckend schnell das Wetter.
So war es auch diesmal.
Die Dünung begann hart zu rollen, aus dem sanften Schaukeln wurden harte, knallende Schläge, und der lauwarme Wind blies jetzt eiskalt und wild über die See. Unter seiner Wucht bogen sich die schlanken Palmen, der weiße Strand wurde grau und schmutzig, und aus dem pechschwarzen Himmel schleuderte eine Riesenfaust zornige Blitze.
Der Donner, der den Blitzen folgte, ließ alles erbeben, brachte die See zum Kochen und dröhnte in den Ohren.
Der zweite, dritte und vierte Donnerschlag schien den Weltuntergang einzuleiten.
Vermeulen spürte einen harten Schlag, und damit rissen seine Träume von südlichen Inseln jäh ab.
Die rauhe Wirklichkeit sprang ihn erschreckend nüchtern an.
Eine harte See hatte ihn, den erfahrenen Seemann, aus der Koje geschleudert und auf die harten Dielen geworfen.
Das Krachen und Schmettern nahm kein Ende. Er hörte das hohle Brausen des Sturmes, das eigentümliche Schleifen und Schlurren und das überlaute Gebrüll seiner Männer.
„Verdammt!“ fluchte der Holländer laut und suchte nach einem Halt.
Das, was da eben zum Teufel gegangen war, konnte nur der Besanmast gewesen sein, den der Satan persönlich geholt hatte.
Vermeulen hatte, nachdem er mehr als zwanzig Stunden ununterbrochen am Ruder gestanden hatte, höchstens eine Stunde geschlafen. Und jedesmal träumte er diesen verdammten Traum von den Inseln der Südsee, von den Mädchen, von Sonne und Palmen, und jedesmal erlebte er das gleiche: Er erwachte in einem brüllenden Inferno, in Krachen und Donnern, Brausen und Heulen.
Er brauchte sich nicht anzuziehen, er hatte in den Kleidern geschlafen, wie sie alle schliefen, seit der Sturm sie in seinen Klauen hatte und nicht mehr losließ.
In der Finsternis griff er erneut nach einem Halt, denn das Schiff holte so stark über, daß er sich kaum auf den Beinen halten konnte.
Fluchend suchte er sich seinen vertrauten Weg an Deck.
Die „Godewind“ bewegte sich in einem tobenden Inferno und schien in einen pechschwarzen Kohlensack hineinzusegeln.
Knallharte Seen, pechschwarz mit kochenden weißen Kämmen, hämmerten von allen Seiten auf das Schiff ein. Sie türmten sich auf wie unüberwindbare Mauern, wichen zurück, gaben scheinbar den Weg frei und fielen dann brüllend und infernalisch kreischend über das Schiff her, um es systematisch zu zerschlagen.
Vermeulen krallte sich am Geländer des Niedergangs fest, als die schwarzen Reiter hohnlachend über den Bug jagten, die Kuhl überfluteten und sich ihren Weg nach achtern suchten.
Die Sturzsee riß ihm die Beine weg, zerrte an seinen verkrampften Fingern und peitschte seinen müden Körper.
Eiskaltes Wasser drang durch seine Kleider, er schluckte, hustete und würgte und hielt sich mit aller Kraft fest, um nicht über Bord gewaschen zu werden.
Auf dem Achterkastell brannte eine trübe blakende Lampe, die der Wind wild hin und her schwang. Sie hing so hoch, daß die kochende See sie nicht auslöschen konnte. Aber in ihrem schwachen, flackernden Schein sah alles nur noch schlimmer aus.
Vermeulen war entsetzt über das, was er erblickte.
Tatsächlich, seine schlimmste Befürchtung war eingetroffen. Den Besan hatte eine See erwischt und kurz und klein geschlagen.
Vier Männer waren fluchend dabei, das laufende und stehende Gut zu kappen, damit der außenbords hängende zersplitterte Mast das Schiff nicht noch mehr beschädigte.
Bei jeder See hob er sich träge aus dem Wasser und donnerte wie ein Rammbock gegen die Planken.
„Cap! Bist du an Deck?“ schrie eine Stimme.
Cap – so nannten sie ihn, Cap, die Abkürzung für Captain.
Am Kolderstock standen zwei Männer, durchnäßt bis auf die Knochen.
„Ja, ich bin’s!“ schrie er zurück. „Warum habt ihr mich nicht früher geweckt, verdammt!“
„Du hättest auch nichts daran geändert, Cap!“
Vermeulen griff nach einer Axt, drängte sich zwischen die Männer seiner Besatzung und begann wie ein Wilder auf Pardunen, Fallen und Holz herumzuhacken, bis ihm der Schweiß ins Gesicht lief.
Aber dann waren sie den nachschleppenden Mast endlich los, und er verschwand achteraus in der kochenden See, über die der eisige Wind pfiff und orgelte.
Anstelle des Besans stand jetzt nur noch ein zersplitterter, etwas mehr als yardhoher Stumpen an Deck, ein nutzloses Stück Holz, höchstens noch als Brennholz zu verwenden.
Das letzte Sturmsegel an der Fock war schon vor Stunden in lange Streifen zerfetzt worden, die der Wind davongetragen hatte. Die „Godewind“ lenzte wieder einmal vor Topp und Takel, ließ sich von der See knüppeln und schlagen und vom Sturm beuteln wie ein Sklave, der alle Schikanen demütig ertrug, aber bei dieser Behandlung allmählich vor die Hunde ging, bis er ganz kaputt war.
„Cap“, sagte der Bootsmann, ein breitschultriger blonder Holländer mit langen, klatschnassen Haaren. „Pit ist über Bord, niemand hat es gesehen, aber er ist nicht mehr auf dem Schiff. Wir haben alles abgesucht.“
Vermeulen zuckte zusammen und blickte traurig in die kochende See, die sich den Teufel darum scherte, was aus ihnen und dem Schiff wurde, die sich einen Mann nach dem anderen holte, ihn gierig verschlang und mit ihren nassen Tüchern zudeckte.
Pit war der dritte Mann innerhalb von vierzehn Tagen, den die tobende See geholt hatte. Hilflos hatten sie jedesmal mitangesehen, wie der erste und zweite Mann verschwunden waren.
Helfen – retten? No, Mijnheer, da blieben nur noch das hilflose Zuschauen und eine ohnmächtige Wut. Da gab es nichts zu helfen. Wer bei diesem Wetter über Bord ging oder achtern abkantete, der kehrte