Jetzt war es soweit.
Hasard konnte ein paar spanische Kommandos hören, die Männer brachten das Boot aufs Wasser. Dabei zahlte sich mal wieder der Sprachunterricht aus, den Hasard ab und zu veranstalten ließ. Es hatte zwar seine Zeit gedauert, bis auch der letzte an Bord die Notwendigkeit dieser Übung begriff, aber inzwischen hatten sie es schon ein paarmal geschafft, die Dons erfolgreich zu täuschen.
Riemen klatschten ins Wasser und wurden durchgezogen. Hasard konnte im Augenblick weder das zweite Boot noch die Karavelle sehen. Aber er sah den hageren Gary Andrews, der das hellblonde Haar unter dem Eisenhut des spanischen Offiziers verborgen hatte und aufrecht und mit verschränkten Armen auf der Heckducht saß. Wie ein echter Grande, dachte Hasard und grinste breit.
„Eh, Ben!“ flüsterte er.
„Sir?“
„Steck dir den Sir an den Hut! Ich will wissen, was sich auf der verdammten Karavelle tut.“
„Gar nichts“, sagte Ben Brighton gelassen. „So um die zehn Mann stehen am Steuerbord-Schanzkleid und stieren Löcher in die Luft. Das Achterdeck ist leer. Dieser saubere Capitan scheint doch tatsächlich zu pennen.“
„Der wird schon aufwachen“, sagte Hasard grimmig. „Ist der Ausguck besetzt?“
„Aye, aye. Aber der Kerl hat kein Spektiv da oben.“
„Na bestens! Ben, du mußt jetzt verdammt die Augen offenhalten. Wie ist dein Kurs?“
„Schräg auf den Bug zu, was sonst? Die Kerls werden denken, daß wir vorbeipullen wollen.“
„Laß dich etwas zurückfallen. Die Dons dürfen unsere Kopfe noch nicht sehen, wenn das zweite Boot die Jakobsleiter erreicht. In dem Moment, in dem die anderen die Vorleine belegen, sagst du uns Bescheid, damit wir abtauchen.“
„Aye, aye! Noch drei Minuten, schätze ich. Die Kerls da oben werden allmählich zappelig.“
Von Bord der Karavelle war spanisches Stimmengewirr zu hören. Die Männer wollten wissen, was, zum Teufel, passiert sei. Und Sam Roskill im ersten Boot rief ihnen zu, sie sollten, verdammt noch mal, lieber eine zweite Jakobsleiter außenbords hängen, statt dämlich herumzubrüllen.
Hasard grinste. Ben Brighton verschluckte sich fast.
„Mann, die tun das tatsächlich“, flüsterte er. Und nach einer Pause: „Aufpassen, jetzt! Abtauchen!“
Wie ein Mann tauchten die sechs Seewölfe, die im Sichtschutz des Bootes schwammen, weg.
Hasard schnellte mit vorgestreckten Armen geschmeidig wie ein Fisch durchs Wasser. Er ging möglichst tief, wurde langsamer und vollführte eine geschmeidige Drehung, als seine Finger sacht gegen die Bordwand stießen. Unmittelbar unter der mächtigen Galion durchstieß sein Kopf die Wasserfläche. Eilig schwamm er um den Vorsteven nach Backbord hinüber, um den anderen Platz zu machen.
Kein Wort fiel, kein Prusten oder Keuchen erklang – nur ein leises Plätschern, das sich mit dem Gurgeln und Schmatzen der Dünung an den Bordwänden mischte.
Ed Carberrys zernarbtes Gesicht tauchte hinter dem Vorsteven auf, Ferris Tucker folgte ihm, dann Smoky, Stenmark und schließlich Big Old Shane, dessen wettergegerbte Züge sich grimmig verzogen hatten, weil er von jeher der Ansicht war, daß man das Schwimmen besser den Fischen überließ. Schweigend und konzentriert arbeiteten sich die Männer bis auf die Höhe der Kuhl vor. Wahrscheinlich ging auch hier auf der Backbordseite jemand Wache, aber der würde im Moment ganz bestimmt nicht über das Schanzkleid blicken.
Hasard spannte die Muskeln, schnellte seinen Körper aus dem Wasser und schwang sich geschmeidig auf den hölzernen Wulst, der sich um den Bauch der Karavelle zog. Neben ihm enterte Stenmark auf, Ferris Tucker streckte Big Old Shane die Hand entgegen, links von Hasard erschienen Ed Carberry und Smoky. Der Profos warf einen Blick zum Schanzkleid hoch, rammte eine Schulter an die Bordwand und faltete die Hände. Nicht, um ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken, wohlgemerkt. Hasard setzte einen Fuß auf die behelfsmäßige Stufe – und in derselben Sekunde ging an der Steuerbordseite der Tanz los.
Einer der Spanier brüllte erschrokken auf.
Es klatschte laut.
„Arwenack!“ schrie der schwarzhaarige, dunkeläugige Sam Roskill, der am spanischsten aussah und deshalb wohl als erster aufgeentert war, und dann brach auf der „Santa Monica“ von einer Sekunde zur anderen die Hölle los.
Der schwarze Segler verschmolz fast mit der Dunkelheit.
Siri-Tong und der Wikinger standen vorn auf der Back. Thorfin Njal hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und kratzte ab und zu an seinem Kupferhelm. Die Rote Korsarin schwenkte mit dem Spektiv die Kimm ab: eine dünne Linie zwischen dem schwarzen Himmel, auf dem die Sterne wie Brillanten funkelten, und einem Meer, in dem sich die Sterne als gleißende, verschwimmende Flecken spiegelten. Und genau voraus, sehr fern, gab es zwischen glitzerndem Meer und sternengespicktem Himmel so etwas wie einen unregelmäßigen schwarzen Buckel, auf dessen höchster Erhebung ein winziger rötlicher Punkt glomm.
Siri-Tong setzte das Spektiv ab und reichte es dem Wikinger.
„Genau voraus, Thorfin“, sagte sie knapp. „Schau es dir an und sag mir, wofür du es hältst.“
Der bärtige nordische Riese brauchte einen Moment, bevor er den Buckel über der Kimm gefunden hatte.
„Die Insel“, brummte er. „Und zwar haargenau da, wo sie der Karte nach auch liegen soll.“
„Das weiß ich selbst“, sagte die Korsarin ungeduldig. „Schau dir diesen Berg an – oder was immer es ist. Den Gipfel vor allem!“
„Hmm!“ brummte der Wikinger.
Er hielt den Kieker in der Rechten, und mit der Linken kratzte er seinen Helm, was bei ihm ein Zeichen äußerster Konzentration war. Zwei Minuten vergingen, dann setzte er mit einem Ruck das Spektiv ab. Sein mächtiger Brustkasten dehnte sich unter einem tiefen Atemzug.
„Teufel!“ knurrte er. „Wenn es nicht gerade ein Vulkan oder der Eingang zur Hölle ist, dann ist es ein Signalfeuer.“
„Daß es ein Vulkan ist, halte ich für unwahrscheinlich“, sagte Siri-Tong trocken. „Und der Eingang zur Hölle liegt bestimmt nicht mitten in der Südsee. Es ist ein Signalfeuer, Thorfin.“
„Die Seewölfe!“ stieß der Wikinger durch die Zähne. „Wir haben sie! Bei Thors Hammer, wir haben sie gefunden, diese Teufelsbraten!“
„Hoffentlich“, sagte Siri-Tong leise.
Nicht einmal der hünenhafte Mann an ihrer Seite sah den sehnsüchtigen Schimmer, der ihre Augen in diesen Sekunden verschleierte.
Um dieselbe Zeit waren die Männer, die der Wikinger „Teufelsbraten“ genannt hatte, gerade dabei, die Probleme auf ihre Art zu lösen: nämlich so, daß die Fetzen flogen, die See kochte und die Luft erzitterte.
„Arwenack!“ hatte Sam Roskill geschrien.
„Arwenack!“ dröhnte es plötzlich wie Donnergrollen von den beiden Booten herauf, und in diesem Augenblick trat der Seewolf bereits in Ed Carberrys gefaltete Hände, warf die Arme nach oben und schwang sich mit einem Klimmzug über das Backbord-Schanzkleid der Kuhl.
Ein Spanier flog ihm vor die Füße.
Sam Roskill hatte ihm zu der unfreiwilligen Luftreise verholfen, jetzt wirbelte der ehemalige Karibik-Pirat blitzartig herum und sprang dem nächsten Don an die Kehle. Blackys Kopf schob sich