Das wiederum hatte – wie die Seewölfe mit Verwunderung feststellten – zur Folge, daß voraus bei der Insel Ven einiges passierte.
Acht schwer armierte Schaluppen verließen die Piers und schoben sich in den Sund. Wie sich bald zeigte, verfolgten sie eine ganz bestimmte Strategie. Vier von ihnen versperrten das Backbordfahrwasser, und die vier anderen riegelten das Steuerbordfahrwasser ab.
Zum selben Zeitpunkt meldete Bill aus dem Mars, daß drei weitere Schaluppen Helsingör verlassen hätten und nun – zusammen mit der ersten Schaluppe – von achtern auf segelten.
Die eisblauen Augen des Seewolfs funkelten plötzlich wütend.
„Das alles sieht ganz nach mächtigem Ärger aus“, sagte er mit fester Stimme. „Aber wenn die Schlitzohren sich einbilden, daß wir uns so mir nichts dir nichts verschaukeln lassen, dann täuschen sie sich.“
„Was willst du tun?“ fragte Ben. „Sollen wir uns mit ihnen anlegen?“
„Dazu hätte ich jetzt Lust“, erwiderte Hasard. „Aber das können wir bei dieser Übermacht natürlich nicht riskieren. Außerdem müssen wir die königliche Order berücksichtigen, die uns ebenfalls die Hände bindet. Trotzdem denke ich nicht daran, den Zoll noch mal zu zahlen. Das Vernünftigste ist wohl, wenn wir vor Anker gehen und den Beutelschneidern die Meinung geigen. Schließlich habe ich ja den Revers. Und den müssen sie wohl oder übel anerkennen.“
In Carberrys Gesicht zog ein Gewitter auf.
„Hab ich’s nicht gleich gesagt, daß die nordischen Lockenköpfchen hinter dem Geld her sind wie der Teufel hinter den armen Seelen, was, wie? Räudige Kakerlaken sind das, jawohl, Halsabschneider und uniformierte Bilgengespenster! Man sollte ihnen samt und sonders mit der Neunschwänzigen das Tanzen beibringen, diesen plattnasigen Gewitterziegen!“
„Bastarde, Hornochsen, Affenärsche!“ ergänzte Sir John mit einem lauten Krächzen. Und wieder einmal wunderte sich niemand mehr an Bord, woher der bunte Papagei seinen deftigen Wortschatz hatte.
Das Gesicht des Seewolfs wirkte eisig.
„Ed und Sir John haben völlig recht“, sagte er, „manchmal müßte man wirklich mit der Neunschwänzigen dreinschlagen.“ Dann gab er den Befehl zum Ankerwerfen.
7.
Die erste Schaluppe, die die Seewölfe angepreit hatte, ging sofort längsseits. Acht Seesoldaten enterten unter Führung des Lieutenants an Bord der „Isabella“.
Aber wenn der Offizier – ein mittelgroßer, hagerer Mann mit blondem Oberlippenbart – gedacht hatte, die englischen Handelsfahrer durch seine Uniform und sein Auftreten einschüchtern zu können, dann hatte er sich getäuscht.
Philip Hasard Killigrew stand breitbeinig vor ihm, die Hände in die Hüften gestützt. Seine eisblauen Augen musterten ihn furchtlos, und das Wetterleuchten in diesem Blick war unverkennbar.
„Warum sind Sie meiner Aufforderung nicht sofort nachgekommen?“ fragte der Lieutenant barsch.
Noch würdigte ihn Hasard keiner Antwort. Er nickte vielmehr Nils Larsen zu und ließ diesen berichten. Gleichzeitig hielt er dem Offizier den Revers unter die Nase.
Der Lieutenant beäugte die Urkunde ausgiebig, drehte sie um, hielt sie gegen das Sonnenlicht und las sie schließlich ein zweites Mal. Dabei wurde sein Gesicht noch frostiger, als es ohnehin schon war.
„Dieses Schreiben ist leider eine Fälschung“, sagte er kühl und gab das Papier an Hasard zurück. „Die Fälschung ist zwar gut, aber sie kann natürlich nicht von uns anerkannt werden.“
Der Seewolf schluckte. „Wie bitte – eine Fälschung?“
Der Lieutenant nickte und hob bedauernd die Hände.
„Das Schriftstück sieht dem echten Revers zwar täuschend ähnlich“, sagte er, „aber das ändert nichts an den Tatsachen. Sie sind leider einem Schnapphahn aufgesessen, der hier schon seit einiger Zeit sein Unwesen treibt und vorzugsweise bei Handelsfahrern ‚vorab‘ kassiert.“
„Machen Sie sich die Sache nicht etwas leicht, Lieutenant?“ fragte er mit eisiger Stimme. „Wenn dieser Aage Svensson, der sich als Beamter der Zollbehörde von Helsingör ausgewiesen hat, ein Schnapphahn ist und schon seit einiger Zeit – wie Sie sagen – sein Unwesen treibt, warum legt man ihm dann nicht das Handwerk? Oder ist man vielleicht auf seiten der dänischen Behörden der Meinung, daß es einfacher und gemütlicher ist, die geschröpften Handelsfahrer ein zweites Mal abzukassieren? Hören Sie, Lieutenant: Ich habe an diesen Aage Svensson achtzig Silbertaler bezahlt, obwohl ich nicht einmal Waren an Bord habe. Und keine Macht der Welt wird mich dazu bewegen, diesen unverschämt hohen Betrag ein zweites Mal zu entrichten. Wenn Ihre Behörde schon das Recht zur Erhebung eines Sundzolls für sich beansprucht, dann hat sie auch die verdammte Pflicht, dafür zu sorgen, daß solche Schweinereien nicht passieren!“
Den Lieutenant schien dieser Sachverhalt wenig zu berühren. Er fühlte sich nach wie vor obenauf.
„Ich kann verstehen, daß Sie verärgert sind, Kapitän Killigrew“, sagte er mit schnarrender Stimme. „Aber einen wirksamen Schutz vor Betrug gibt es nirgends auf der Welt. Sie hätten eben vorsichtiger sein müssen.“
Hasard kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, was selten bei ihm passierte.
„Sie widersprechen Ihren eigenen Worten, Lieutenant“, sagte er. „Haben Sie nicht selbst gerade erklärt, daß es sich bei dem Revers, den uns dieser Aage Svenssons ausgestellt hat, um eine gute Fälschung handelt? Haben Sie nicht selber die Urkunde ausführlich begutachten müssen, um die Fälschung feststellen zu können? Von uns aber, die wir in diesen Gewässern fremd sind und kaum die Landessprache beherrschen, erwarten Sie Vorsicht! Das ist eine scheinheilige Ausrede, mein Freund, und so was zieht bei mir nicht! Wir können schließlich nicht ahnen, daß es hier Betrüger gibt, die sich amtliche Rechte anmaßen. Sie aber wissen von den Umtrieben dieses Aage Svensson. Darf man Sie fragen, was Sie bisher dagegen unternommen haben?“
Der Lieutenant warf den Kopf in den Nacken und setzte eine beleidigte Miene auf.
„Denken Sie nicht, Kapitän, daß die dänischen Behörden in dieser Angelegenheit geschlafen haben! Wir wissen sehr wohl, daß es schon seit Einführung des Sundzolls solche Vorab-Kassierer gibt, und im allgemeinen machen wir kurzen Prozeß mit diesen Betrügern. Dazu aber muß man sie erst einmal erwischen, und das ist uns im Falle Aage Svenssons bisher leider nicht geglückt. Dieser schwedische Bastard hat hundert und mehr Schlupfwinkel drüben an der Westküste und zum Teil bis nach Halland hinauf. Außerdem findet er unter seinen Landsleuten volle Unterstützung, weil sich jeder Schwede darüber freut, wenn er den Dänen eins auswischen kann.“
Über Hasards Gesicht huschte ein frostiges Lächeln. Er war sich natürlich längst darüber im klaren, wem er das Kappen der Ankertrosse zu verdanken hatte. Die schwedischen Küstenpiraten, deren Boote seine Männer zu Kleinholz verarbeitet hatten, waren mit ziemlicher Sicherheit an dem Anschlag beteiligt. Ihr Auftraggeber aber war ohne Zweifel dieser Aage Svensson.
Beinahe bedauerte es der Seewolf, seinem Profos am Vorabend nicht freie Hand gelassen zu haben. Edwin Carberry hatte gleich eine Antipathie gegen die kassierenden Dänen empfunden und sich deshalb noch mit Nils Larsen angelegt. Der gute Ed konnte zwar nicht hinter die Kimm schauen, aber manchmal hatte er doch einen untrüglichen Instinkt.
Jetzt aber war an der bestehenden Situation nicht viel zu ändern. Dieser Galgenvogel Aage Svensson hatte sich vermutlich gesagt, daß ein englischer Handelsfahrer, der die Absicht hat, mit den Ostseeanliegern Geschäftsbeziehungen aufzunehmen, entsprechend betucht sein muß. Wenn man schon keine Ware an Bord hatte, dann mußte zumindest genug Geld vorhanden sein, um Handelsgüter einzukaufen. Und auf dieses Geld war Svensson vermutlich scharf gewesen. Hatte er sich die „Isabella“ nicht sehr genau angeschaut? Daß die neue Galeone kein „billiges“ Schiff war, hatte er mit Sicherheit