Auf der Dschunke prasselten ein paar Bleibrocken in das vordere Segel. Die verstärkten Bambusbahnen zerfetzten an manchen Stellen. Faustgroße Löcher erschienen wie hingezaubert. Auf dem hohen Vordeck hatte es zwei oder drei Männer erwischt, denn sie fielen um, als hätte ein Blitzschlag sie gefällt. Ein Mann riß die Arme hoch, die Armbrust entfiel ihm. Er torkelte bis ans Schanzkleid und sprang in seinem Schmerz über Bord Im Kielwasser der Dschunke tauchte noch einmal sein Schädel aus dem Wasser, dann war er weg.
Gary Andrews und Blacky schleppten Nachschub heran und brachten grob gehackte Bleistücke und Stangenkugeln.
In diesem Augenblick feuerte Ferris Tucker die zweite Drehbasse ab, die sich mit lautem Getöse entlud.
Deutlich sah er, wie die schwereren Brocken dicht vor dem Bug der Dschunke ins Wasser sägten, aber die leichteren trafen wiederum. Kleine, sauber ausgestanzte Löcher erschienen jetzt auch im zweiten Segel. Tucker registrierte zufrieden, daß die vielen Löcher der Dschunke etwas von ihrer Vortriebskraft nahmen. Es war nicht viel, aber es genügte, sie auf Distanz zu halten. Sie segelte nicht mehr näher heran.
Inzwischen enterte Big Old Shane mit grimmigem Gesicht und eiserner Entschlossenheit in den Großmars auf. Über der Schulter hatte er den riesigen selbstgefertigten Bogen hängen, in die Seite seines Hosengürtels hatte er die ebenfalls selbstgefertigten Brandpfeile gesteckt, und so enterte der Riese schweigend auf mit dem festen Entschluß, es diesen lausigen Burschen schon zu zeigen. Auf die Oberarmwunde hatte der Kutscher ihm Saft geschmiert, dann Salbe eingerieben und ein Stück Leinen drumherum gebunden.
Für Shane war das nur ein läppischer Kratzer, aber er hatte den Kutscher in seiner liebevollen Besorgtheit auch nicht abweisen wollen, und außerdem murmelte der immer etwas von Verunreinigungen, und ihm solle ja keiner mit einer Blutvergiftung antanzen, mit einer lausigen, sonst könne der Betreffende aber verdammt mal was erleben und sich seine Knochen künftig selber absägen.
Doch dieser kleine Kratzer brannte höllisch, wie Big Shane verwundert und ärgerlich feststellte. Genaugenommen tat die Wunde ziemlich weh, und dafür würde er den Kerlen jetzt eins auf den Pelz brennen, und wenn die Wunde auch gleich wieder aufbrach.
Als er in schwindelnder Höhe angelangt war, nahm er die Lunte, die er zwischen den Zähnen gehalten hatte, aus dem Mund und blies darauf, bis sie in heller Glut rötlich leuchtete.
Dann kohlte er die erste Pfeilspitze an, warf dem Ausguck Stenmark einen grinsenden Blick zu und blies weiter, bis auch die Spitze hell glühte.
„Das schaffst du nicht, Shane“, sagte Stenmark. „Weder du noch Batuti, die Dschunke ist mehr als vierhundert Yards entfernt.“
„Normalerweise schafft man es nicht, weil man ja auch noch gegen den Wind schießen muß“, sagte Shane bedächtig. „Aber wenn man eine solche Wut im Bauch hat wie ich, dann schafft man das!“
Breitbeinig stellte sich der graubärtige Mann hin, soweit es der Beobachtungskorb zuließ, dann spannte sein mächtiger Arm den Bogen, bis das schwere Holz einen Halbkreis beschrieb.
Nein, dachte der Schwede Stenmark noch einmal, und sah wie sich der Muskel an Shanes Arm wie ein Strang hervorschob. Stenmark glaubte, der riesige Bogen würde jetzt mit einem Knall auseinanderfliegen.
Big Shane ließ los, seine Wunde brannte höllisch, aber er hatte seine ganze bullige Kraft in diesen Schuß gelegt. Zum Teufel mit der Fleischwunde!
Ein ekelhaft lautes Sirren erklang, als der Pfeil davonflog. Noch im Flug fing seine Spitze Feuer und glühte. Die beiden Männer konnten den Flug mit dem Auge verfolgen.
„Wetten, daß nicht?“ sagte Stenmark atemlos, als er sah, daß der Pfeil seinen schnurgeraden Flug änderte und leicht höher stieg. „Wetten, daß doch?“ fragte Shane gemütlich zurück. „Es hat mir bald den Arm aus dem Gelenk gerissen.“
Tief unter ihnen stand Batuti und vollführte auf dem Deck einen Freudentanz. Er selbst hatte als Kind mit dem Bogen umgehen gelernt, aber er mußte zugeben, daß er dem grauhaarigen Schmied zumindest mit diesem Schuß unterlegen war.
Auf der Dschunke schlug es ein, genau ins verstärkte Segel.
Der Pfeil hatte viel von seiner Geschwindigkeit verloren, und daher blieb die glutende Spitze in der Bambusverstärkung stecken.
Durch das Spektiv erkannte der Seewolf grinsende Gesichter bei den Chinesen. Sie lachten über den Pfeil, der scheinbar nutzlos ins Segel geknallt war.
Klar, dachte Hasard, sie konnten lachen, denn wahrscheinlich kannten sie die selbstgefertigten Spezialpfeile von Big Old Shane noch nicht. Sie würden sie aber gleich besser kennenlernen.
Die Glut erreichte jetzt den mit Pulver gefüllten Schaft, der sich sofort entzündete.
Das Grinsen auf den Gesichtern der Soldaten erlosch, als aus dem Segel ein greller Blitz aufzuckte. Es zischte leise, dann verbreitete sich schlagartig lohendes Feuer, und die ersten Fetzen des brennenden Segels flogen davon.
„Getrocknete Bambusfasern brennen prächtig“, sagte Ben Brighton. „Jetzt grinst auch keiner mehr!“
„Augenblicklich haben sie andere Sorgen“, erwiderte der Seewolf.
„Mann, Shane! Dem hast du es aber gegeben!“ brüllte der alte Donegal O’Flynn und klopfte mit seinem Holzbein nachdrücklich ans Schanzkleid der „Isabella“. Vom Quarterdeck, aus der Kuhl und vom Vordeck stieg freudiges Gebrüll nach oben, aber Shane achtete nicht darauf, er hatte sich schon den zweiten Pfeil zurechtgelegt und spannte den Bogen.
Der nächste Schuß traf auch die Dschunke, aber der Pfeil brach am harten Holz des Bugs ab und zischte ins Wasser.
Mehr als fünfzig Soldaten schlugen jetzt mit Bambusknüppeln, Tüchern und Armbrüsten auf die brennenden Lappen, die an Deck regneten oder die der Wind davontrug.
Immer wieder bildeten sich Funkenregen, das alles wirkte aus der Ferne wie ein abgefeuerter Brandsatz, der dicht über dem Deck des Schiffes krepiert war.
Die anderen Soldaten, die sich nicht am Löschen beteiligten, fierten unter gebrüllten Kommandos die restlichen Segel ab, rissen sie herunter und warfen sich mit ihren Körpern darüber, um das sich immer wieder aufblähende Tuch zu bergen, damit es nicht auch noch Feuer fing.
Die Dschunke fiel merklich zurück. Kein einziger Brandsatz wurde abgefeuert, die Kerle waren damit beschäftigt, ihr eigenes Schiff vor den Flammen zu retten.
In den Augen des Seewolfs blitzte es auf. Natürlich war der Gegner nicht geschlagen, er war der „Isabella“, seiner Brandsätze wegen sogar noch überlegen, denn die verfügten über eine größere Reichweite als jene, die Hasard seinerzeit erbeutet hatte.
„Wir riskieren es“, sagte er zu Ben, „man sollte diesen Kerlen ruhig ein wenig Respekt beibringen. Alle Mann auf Stationen, wir luven an und gehen so hoch an den Wind, daß wir ihm eine Breitseite verpassen können. Er dreht jetzt nach Backbord, fällt ab, diese Gelegenheit kann ich mir nicht entgehen lassen.“
Wenn sie in die Dschunke acht Siebzehn-Pfünder setzen konnten, wenn ihnen das gelang, dachte Hasard, dann würde der Verfolger ganz sicher die Jagd aufgeben. So aber war er in der Lage, neue Segel zu setzen und sich weiterhin anzuhängen.
„Ar-we-nack!“ brüllte jemand, und sofort fiel der ganze Chor lautstark ein: „Ar-we-nack, Ar-wenack!“
„Hoch an den Wind, Pete!“ befahl der Seewolf seinem Gefechtsrudergänger. „So hoch, daß wir trotzdem noch Fahrt haben. Kümmere dich um nichts anderes, behalte die Segel im Auge. Wenn der Winkel zu spitz wird, fällst du sofort wieder ab. Inzwischen werden wir dem Kerl eins aufgebrannt haben.“
„Aye, aye, Sir!“ Pete schrie es fast.
Er konzentrierte sich darauf, die „Isabella“ hoch an den Wind zu bringen, und Ballie verstand sich darauf – ein Manöver, das nicht ungefährlich war, denn nur ein wenig