„Laß schon hören“, forderte Hasard, der aus den Augenwinkeln heraus bemerkte, daß es Dan nicht gefiel, sich mit seiner Sehschärfe aufzuspielen.
„Galway“, antwortete Dan.
Die vier Männer auf dem Achterdeck setzten die Spektive ab und sahen sich an. Sie brauchten sich nichts gegenseitig zu erklären. Galway war die größte Hafenstadt im Westen Irlands. Spanien und Portugal pflegten enge Handelsbeziehungen zu den Iren, und Galway war für die Dons traditioneller Bestimmungshafen und wichtigster Handelsstützpunkt.
Ein Dorn im Auge der königlichen Lissy. Aber die Wirksamkeit ihrer Kontrollmaßnahmen reichte eben nicht bis in jeden Winkel des wilden Irland. Niemand wußte genau, wie viele Spanier sich dort verkrochen hatten und unerkannt bei den Iren lebten. Das war damals geschehen, vor rund zehn Jahren, als die Armada besiegt worden war und ein Teil ihrer Schiffe auf dem Weg um Schottland und Irland geflohen war.
In den Stürmen des Atlantik waren viele der ohnehin stark angeschlagenen spanischen Galeonen gesunken oder gestrandet – so auch vor der irischen Westküste. Ungezählte Überlebende hatten die Gelegenheit genutzt, auf der grünen Insel unterzutauchen und ein neues Leben anzufangen. Denn kaum einer der einfachen Seeleute hatte nach dem Grauen der Niederlage ein Verlangen danach gehabt, jemals wieder in die Dienste der spanischen Seestreitmacht zu treten.
Und dieser Zweimaster, dessen Kapitän offenkundig auf eine Konfrontation scharf war, segelte unter spanischer Flagge – mit einem irischen Namen. Eine Seltenheit zumindest. Denkbar aber, daß die Dons das Schiff aus Höflichkeit gegenüber ihren offiziellen Handelspartnern nach der irischen Hafenstadt benannt hatten.
Die Karavelle leitete eine Wende ein.
Die Männer auf dem Achterdeck der Schebecke hatten Gelegenheit, den Zweimaster während seines Manövers von der Backbordseite zu studieren. Es war ein ungewöhnlich stark armiertes Schiff, gemessen an seiner Größe. Die Stückpforten waren geöffnet – acht quadratische Öffnungen in der Verschanzung, aus denen dunkle Bronzemäuler gähnten. Acht Rohre auf jeder Seite also.
„Sieht verdammt nach Vierundzwanzigpfündern aus“, sagte Ben Brighton.
Hasard nickte. „Dazu je sechs Drehbassen vorn und achtern. Ein gewaltiger Brocken.“
Die Männer schwiegen. Hasards Bemerkung bezog sich weniger auf das Registergewicht des Zweimasters als vielmehr auf Kampfkraft und Wendigkeit. Die Schebecke hatte praktisch keinerlei Vorteile, wenn eine Auseinandersetzung stattfinden sollte.
In acht Kabellängen Entfernung krängte die Karavelle unter Vollzeug, legte sich auf den Steuerbordbug und setzte zu einem Kreuzschlag nach Westnordwest an. Hasard und seine Gefährten wußten, daß der Kapitän der „Galway“ nicht etwa eine Änderung des Generalkurses beabsichtigte. In einigen Minuten würde er sich auf eine Position Backbord voraus begeben. Danach würde er versuchen, im laufenden Gefecht der Schebecke gründlich einzuheizen – immer vorausgesetzt, der Dreimaster blieb auf seinem Kurs.
In der Nähe spanisch-portugiesischer Gewässer würde ein Fremder aber kaum anfangen, große Töne zu spucken. Davon konnte jener Kapitän dort auf dem Achterdeck ausgehen.
Lichtreflexe blitzten zwischen Ruder und Heckbalustrade der Karavelle. Die Sonne ließ das Glas der Spektive funkeln.
Die Schiffsführungen beäugten sich gegenseitig.
Der Kommandant der Karavelle war ein stämmiger, nur mittelgroßer Mann, besonders auffällig an ihm war das flachsblonde Haar. Sein Rang ließ sich daran ablesen, daß die drei anderen auf dem Achterdeck respektvollen Abstand von ihm hielten. Er trug einen mächtigen Schnauzbart, der hell in der Sonne schimmerte. Seine Kleidung war derb, geradezu ungepflegt.
Die anderen Kerle sahen nicht besser aus.
„Das sind keine Spanier“, sagte Don Juan überzeugt.
Der Zweimaster nahm auf seinem neuen Kurs zügig Fahrt auf. Das schlanke Schiff, das wegen seiner Neigung nach Steuerbord einen Teil der Unterwasserbeplankung an Backbord zeigte, war hervorragend in Schuß. Keine Muscheln, keine Algen. Und die Segeleigenschaften waren erstrangig.
„An wen denkst du?“ wandte sich Dan O’Flynn an de Alcazar. „Schnapphähne, die sich eine spanische Karavelle unter den Nagel gerissen haben?“
Don Juan schüttelte den Kopf. „Ich glaube, wir haben es mit Iren zu tun.“
Hasard, Ben und auch Dan ließen die Spektive sinken und sahen den Spanier an.
Unterdessen entfernte sich die Karavelle zunehmend rascher nach Westnordwest.
„Wenn du recht hast“, sagte der Seewolf, „dürfen wir uns zu dieser Begegnung beglückwünschen.“
Er brauchte nichts hinzuzufügen. Mit den Iren war es eine besondere Sache. Die Arwenacks hatten da ihre einschlägigen Erfahrungen. Die Bewohner der grünen Insel waren eine Sorte für sich. In ihren Adern floß das Blut der keltischen Vorfahren und das der Wikinger, die vor ungefähr acht oder neun Jahrhunderten als Eroberer aufgekreuzt waren und sich auf Eire ausgebreitet hatten.
Hitzköpfig waren sie, diese Iren – starrsinnig, streitsüchtig und ohne jede Logik in ihrem Handeln, wenn ihr Blut erst einmal in Wallung geraten war. Andererseits sagte man ihnen einen übertriebenen Hang zur Melancholie nach – ebenso, wie sie alles andere als Kinder von Traurigkeit waren. Die Lieder, die sie sangen, waren wie sie selbst – ausgelassen und voller Fröhlichkeit, doch gleich darauf zu Tode betrübt.
Königin Elizabeth I. hatte die Iren als ein unregierbares Volk bezeichnet, wobei zu berücksichtigen war, daß die Iren allerdings nicht den geringsten Wert darauf legten, von Engländern regiert zu werden.
Noch wußten die Burschen dort drüben auf der Karavelle nicht, daß der Mittelmeerdreimaster von einer englischen Crew gefahren wurde. Wenn sie es herauskriegten, würden sie wahrscheinlich einen Brüllchor des Jähzorns anstimmen.
„Viele Iren stehen als Seefahrer in spanischen Diensten“, erklärte Don Juan. „Ich könnte mir vorstellen, daß unsere Freunde“, er deutete mit einer Kopfbewegung zu dem Zweimaster, „für Patrouillenfahrten zwischen Spanien und Irland zuständig sind.“
„In dem Aufzug?“ entgegnete Hasard stirnrunzelnd. „So, wie die Burschen aussehen, gereichen sie Spanien nicht gerade zur Ehre.“
Don Juan zog die Schultern hoch. „Was ihre wirkliche Aufgabe ist, verraten sie uns vielleicht noch. Zutrauen würde ich es ihnen.“
In dem Punkt konnte der Seewolf dem spanischen Freund nicht widersprechen.
Sie setzten die Beobachtung mit den Spektiven fort.
Wenig später ging die Karavelle auf den ursprünglichen Kurs zurück. Als die Karavelle etwa drei Kabellängen von Backbord voraus heranrauschte, blitzte es in der vorderen Stückpforte an ihrer Steuerbordseite auf.
Das Geschoß orgelte heran und ließ eine Wassersäule vor dem Bug der Schebecke aufsteigen.
Die Arwenacks fluchten.
Hasard nickte Ben Brighton zu. Der Erste Offizier wandte sich nach vorn und gab Befehl, die Segel wegzunehmen. Die Männer reagierten mit enttäuschten und verständnislosen Gesichtern. Doch sie wußten nur zu gut, daß das Verhalten des Seewolfs, keine unnötigen Gefechte anzuzetteln, berechtigt war.
Sie mußten jederzeit mit dem Auftauchen anderer spanischer oder portugiesischer Schiffe rechnen. Dann konnte sich das Blatt sehr schnell zu ihren Ungunsten wenden.
Nicht von ungefähr beobachtete Dan O’Flynn auch jetzt weiter die Kimm in allen Richtungen – besonders nach Osten hin, wo sich außer Sichtweite die Küste Portugals befand.
Die Schebecke verlor an Fahrt. Ben Brighton ließ zusätzlich einen Treibanker ausbringen.
Unterdessen wurden auch auf der Karavelle die Lateinersegel geborgen. Wie der Seewolf erwartet hatte, nahmen die Iren eine Position in einer Kabellänge