Seewölfe - Piraten der Weltmeere 85. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954394029
Скачать книгу
Schatten, der sich brettflach von der Strommitte aus auf sie zuschob. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Fast ging er unter. Nur, mit Mühe konnte er sich halten.

      Ein Kaiman!

      Der Regen rauschte wie ein Wasserfall, aber die Laute vermochten das Geschrei im Fluß nicht zu überdecken. De Guaramas hörte Stimmen heraus, die ihm wohlbekannt waren – Männer seiner Karavelle. Er wußte, warum sie in Todesangst brüllten, er gab sich keinen Illusionen hin.

      „Du“, stieß er hervor. „Komm!“

      Der Seemann paddelte wie ein Hund auf ihn zu, verzweifelt, mit panisch geweiteten Augen. De Guaramas drehte sich im Wasser und stieß ihm mit größter Überwindung ein Stück entgegen.

      „Gracias“, stammelte der einfache Decksmann. „Danke, ich …“

      Augusto de Guaramas packte ihn, klammerte sich an ihm fest und drückte ihn mit dem Kopf unter Wasser. Er ließ ihn wieder auftauchen. Der Mann japste, röchelte, schlug mit den Fäusten um sich. De Guaramas knallte ihm die Faust unters Kinn, dann beförderte er ihn auf den heranschnellenden Alligator zu.

      Er selbst drehte sich im Wasser und schwamm von dem Unglücklichen fort. Zwei, drei Züge hatte er getan, da hörte er das Kreischen seines Landsmannes.

      Der Alligator war beschäftigt und konnte sich de Guaramas nicht widmen. De Guaramas gelangte unter Aufbietung aller seiner Kräfte ans Ufer. Prustend kroch er an Land. Er wälzte sich, kratzte sich, tastete seinen Körper ab. Ekel stieg in ihm auf. Irgend etwas hatte sich an ihm festgesogen.

      Jemand griff ihn beim Arm und zog ihn ins Dickicht. Es war Hermano Falla-Pueblos.

      „Gut so, paisano, Landsmann“, sagte er grinsend. „Ich wußte schon immer, daß du die richtige Auffassung von den Dingen hast. Ich habe beobachtet, wie du diesen Burschen dort – geopfert hast. Gemeines Decksvolk. Primitiver Abschaum der Menschheit. Nicht schade drum, glaub’s mir.“

      „Warum hast du mir nicht geholfen?“ fragte der Steuermann lauernd.

      „Jeder ist sich selbst der Näschte.“

      „Es lebe die Ehrlichkeit“, erwiderte de Guaramas dumpf. „Was tun wir jetzt?“

      „Wir dringen tiefer in den Busch ein. Der Rest findet sich. Warte.“ Falla-Pueblos griff seinem Decksgenossen an den Leib und riß ihm etwas von der Haut.

      „Au, verflucht, was ist denn das?“ De Guaramas ließ die lästerlichsten Verwünschungen los, aber irgendwie fühlte er sich plötzlich doch wohler. Das Jucken und Beißen, das ihm zugesetzt hatte, hatte aufgehört.

      „Blutegel“, sagte der erste Offizier lakonisch.

      „Pfui Teufel!“

      „Du kannst noch froh sein, daß die Piranhas dich nicht angefallen und vertilgt haben. Oder die Stachelrochen oder die Zitteraale.“

      „Und die Krokodile? Hast du die vergessen?“

      „Die hast du ja erfolgreich abgewehrt“, sagte Falla-Pueblos grinsend.

      De Guaramas stöhnte auf. „Hör auf, mir ist so schon schlecht genug.“

      Der Erste atmete tief und regelmäßig durch, dann erwiderte er: „Hörmal, paisano, eins mußt du mir ganz ehrlich sagen. Warum hast du die Karavelle, die Mannschaft und unseren edlen Capitàn so schmählich im Stich gelassen? Empfindest du überhaupt keine Skrupel?“

      „Nein.“

      „Du bist ein seelenloser Schurke, de Guaramas.“

      Der beleibte Mann lachte leise auf. „Und du, Falla-Pueblos? Hast du nicht schon lange geplant, der Seefahrt, der Krone und allem damit Verbundenem adios zu sagen? Vielleicht hättest du irgendwann eine Meuterei angezettelt, wer weiß. Auf jeden Fall hattest du die Nase gestrichen voll, schon bevor wir in diese Schlacht zogen.“

      „Ja. Wir leben, Augusto.“

      „Die meisten anderen hat es erwischt. Es war ein Massaker.“ De Guaramas spuckte aus. „Was unternehmen wir in diesem verteufelten, stinkenden, verwunschenen Urwald, Kamerad?“

      „Ich weiß nicht. Machen wir das Beste daraus.“ Falla-Pueblos zuckte mit den Schultern. Er grinste immer noch. Während draußen auf dem Strom das Geschrei der von den Alligatoren Angegriffenen verstummte, dachte er schon darüber nach, wie er aus der Grünen Hölle entkommen konnte und wie sein neues Leben aussehen würde.

      Der Regen hatte Intensität und Ausdauer. Fast schien es, als wolle er versuchen, die schwarzhaarige Frau und die Männer vom Oberdeck der Galeasse zu spülen.

      Hasard blickte angestrengt zu der halbwegs intakt gebliebenen Karavelle hinüber. Etwa der Hälfte der Schiffbrüchigen war es gelungen, aufzuentern und sich so vor den Kaimanen zu retten. Rufe der Erleichterung drangen herüber. Hasard verfolgte, wie die Karavelle platt vor den jetzt von stromauf wehenden Wind ging. Beide Schiffe, die Karavelle und die Galeasse, hatten die Biegung jetzt vollends passiert.

      „Auf was warten wir noch?“ sagte Siri-Tong. Der Regen preßte die Kleidung wie eine zweite Haut an ihren Körper. Mit einer fahrigen Bewegung strich sie sich die langen Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Besorgen wir es auch diesem Schiff. Die Dons haben es nicht besser verdient.“

      „Da hast du recht.“

      „Also, gib den Befehl zum Rammen!“

      „Nein.“

      Überrascht riß sie die Augen auf. „Ich höre wohl nicht richtig. Du willst diese Hundesöhne verschonen? Ich erkenne dich nicht wieder. Haben diese braunhäutigen Urwaldweiber dich so weit um den Verstand gebracht, daß du jetzt schon falsche Entscheidungen triffst?“

      Sein Blick bohrte sich in ihre Augen, aber sie hielt ihm stand.

      „Korsarin“, sagte Hasard. „Du bist der Kapitän auf dem schwarzen Schiff, und von mir aus kannst du tun, was du willst. Ich jedenfalls lasse die Dons reisen.“

      Sie streckte den Arm aus und wies mit bebendem Finger auf die Karavelle. „Diese Bastarde! Sie hätten die ‚Isabella‘ und mein Schiff versenkt und ein Blutbad angerichtet, wenn wir nicht eingegriffen hätten. Was ist in dich gefahren? Laß uns sofort angreifen.“

      „Nein.“

      Sie hob die Fäuste vor sein Gesicht. „Das kannst du nicht tun. Ich kratze dir die Augen aus, ich trete dich, ich …“

      Der Seewolf fiel ihr hart ins Wort. „Sei nicht albern. Zwinge mich nicht, dich vor versammelter Mannschaft zusammenzustauchen. Wir lassen den Spanier abhauen und damit basta.“ Er schritt aufs Hauptdeck hinunter und trat vor Della Latta hin.

      Siri-Tong stampfte mit dem Fuß auf. Sie hatte große Lust, auf eigene Faust zu handeln. Jawohl, sie konnte tun und lassen, was sie wollte. Ein rasches Manöver, ein Überwechseln auf das schwarze Schiff, und sie würde es diesen eingebildeten Dons schon zeigen!

      Aber sie dachte auch weiter. Sie hatte Hasard begleiten wollen, wollte an seiner Seite sein, wenn er Kap Horn rundete und den Großen Ozean überquerte. Unternahm sie jetzt aber etwas, das ihm gegen den Strich lief, konnte sie den Amazonas verlassen und ihm auf Nimmerwiedersehen den Rücken kehren. Er hatte das Oberkommando. Er war der Stärkere, das mußte sie wieder mal eingestehen.

      „Della Latta“, sagte Hasard zu dem Venezianer. „Wir müssen uns hier und sofort wieder voneinander trennen. Folge dem Spanier in gebührendem Abstand und paß auf, was er tut. Wenn er wieder umkehrt oder sich auf andere Art vorwitzig zeigt, schießt ihr ihn zusammen.“

      „Ja. Aber warum begibst du dich absichtlich in Gefahr? Die Männer der Karavelle werden Verstärkung holen“, gab Della Latta zu bedenken.

      „Meinetwegen. Ich plane etwas Taktisches.“

      „Erklärst du mir, was, Seewolf?“

      „Später.“

      „Gut“, erwiderte der Kommandant der Galeasse ruhig. „Wie du