„Arkana“, sagte er, und sein Blick war dabei durch die Männer hindurch in eine unendliche Ferne gerichtet. „Meine Freunde und ich werden weiter für die Freiheit kämpfen.“
Der Klang seiner Stimme jagte den Männern einen Schauer über den Rücken. Sie wußten alle: Diese Worte, die der Seewolf eben ausgesprochen hatte, waren das Vermächtnis Arkanas für sie. Es war das Vermächtnis der Schlangenpriesterin, die den Untergang der Schlangen-Insel und ihren eigenen Tod vorhergesehen hatte. Ebenso, wie auch Araua ihren Tod geahnt hatte. Hasard beugte sich zur Seite, tauchte die Statue unter Wasser und löste seinen festen Griff.
Mit einem goldfarbenen Flirren verschwand der kostbare Kultgegenstand in der Tiefe der kristallklaren Fluten.
Hasard forderte die Männer mit einem Nicken auf, weiterzupullen. Sie verstanden. Er wollte die Fundstücke in weitem Umkreis verteilen, um etwaigen künftigen Grabschändern die Suche zu erschweren.
Diese jetzt so klaren Fluten erinnerten durch nichts mehr an das Bild des Schreckens, das sich den Heimkehrenden damals geboten hatte. Schwarz vom Ruß des unterseeischen Vulkanausbruchs war das Wasser gewesen, und es hatte ihnen allen einen Schauer über den Rücken gejagt.
Jerry Reeves und die Männer, die seinerzeit mit der „Isabella“ auf Patrouillenfahrt um Coral Island und die Schlangen-Insel gewesen waren, hatten das furchtbare Geschehen als erste Augenzeugen miterlebt. Doch glücklicherweise waren sie so weit entfernt gewesen, daß ihnen das durch den Vulkanausbruch ausgelöste Seebeben nichts hatte anhaben können.
An einen Navigationsfehler hatten Reeves und seine Gefährten anfangs geglaubt. Sie hatten zunächst auf Coral Island nach dem Rechten sehen wollen und geglaubt, die vertraute Insel verfehlt zu haben. Dann aber, durch schwimmende Trümmer der Timucua-Hütten, haben sie die schreckliche Gewißheit erlangt: Coral Island war untergegangen. Es hatte keine Überlebenden gegeben.
Nicht minder fassungslos waren auch Hasard und die anderen gewesen, als sie an jenem Nachmittag des 12. April mit der „Goldenen Hen“, der „Caribian Queen“, der „Empress of Sea II.“ und dem „Schwarzen Segler“ die Position der Schlangen-Insel erreichten. Schlagartig war der Frohsinn, den sie alle beim kurzen Besuch auf Tortuga genossen hatten, wie weggewischt gewesen.
Trümmerstücke, die auf den Wellen dümpelten, hatten den letzten Beweis geliefert, obwohl es keiner der Männer und Frauen glauben konnte. Sie hatten die Kiste gefunden, auf der drei Brieftauben hockten. Gotlinde, die Frau des Wikingers, hatte die Tiere in Gewahrsam genommen. Auch hatte es Trümmerstücke von der „Tortuga“ und der „Lady Anne“ gegeben. Und Aufatmen dann, als die „Isabella“ mit Jerry Reeves und der Wachdienst-Crew auf der Bildfläche erschienen waren. Wenigstens sie hatten überlebt und waren der Katastrophe durch eine gütige Fügung entgangen.
Die Männer rissen ihre Gedanken aus der Erinnerung los, als Hasard erneut Befehl zum Streichen gab.
In weitem Umkreis übergab er die Kostbarkeiten wieder der See.
Die Männer empfanden die gleiche Erleichterung wie der Seewolf, als sie schließlich zur „Isabella“ zurückpullten. Eine schwere Last war von ihnen genommen. Ähnlich erging es auch den Gefährten auf der „Isabella“ und den beiden anderen Schiffen. Die bis eben noch düstere Stimmung hellte sich auf.
Philip Hasard Killigrew hatte das Entscheidende getan, um die Dinge ins Lot zu bringen.
Die Taten der Leichenfledderer waren ungeschehen gemacht.
Und ein zweites Mal sollten sie nicht zuschlagen können.
In den späten Nachmittagsstunden entstand mehr und mehr der Eindruck, als hätte sich die Crew der „Isabella“ buchstäblich aus einer Erstarrung gelöst.
Will Thorne hatte mit einer Gruppe von Helfern begonnen, in der Segellast für Ordnung zu sorgen. Auch wenn es dort nichts zu ordnen gab und sämtliches Tuch in einwandfreiem Zustand war, hielten es doch alle Beteiligten für an der Zeit, das gesamte Material auf etwaige Schäden zu untersuchen.
Möglich war immerhin, daß sich Mäuse oder andere Nager eingenistet hatten. So war es also durchaus sinnvoll, möglichen bösen Überraschungen vorzubeugen, die am allerwenigsten in einem Notfall eintreten durften, wenn man Reservetuch dringend brauchte.
Eine weitere Gruppe von Arwenacks hatte unter Führung von Ferris Tucker begonnen, die schlanke Galeone vom Kielschwein bis zu den Masttoppen zu untersuchen. Keiner rechnete damit, irgendwo ernsthafte Schäden zu entdecken, die Reparaturen unter der fachmännischen Anleitung des Schiffszimmermanns erforderten. Was die Männer indessen samt und sonders antrieb, war der Wunsch, nicht länger Löcher in die Luft zu starren.
Haargenau so erging es auch den Mannen an Bord der „Caribian Queen“ und der „Le Griffon“. Nach der lähmenden Niedergeschlagenheit der vergangenen Stunden brauchte man das Gefühl, endlich einmal wieder richtig zuzupacken. In den Kombüsen wurde bereits für das abendliche Backen und Banken gebrutzelt und gekocht, und die verlockendsten Düfte wehten über die Decks. Auch waren wieder die ersten Scherze zu hören, und verhaltenes Gelächter wurde hier und da laut.
Hatten Ed Carberry und die anderen anfangs noch verstohlen zum Achterdeck gelinst, so stellten sie nun erleichtert fest, daß der Seewolf ihre Wortgefechte wieder mit einem Lächeln quittierte – wie sie es gewohnt waren.
Dan O’Flynn, der seinen Posten als Ausguck im Großmars beibehalten hatte, erhielt flügelklatschenden Besuch von Sir John.
„Affenarsch! Klosterbruder!“ krakeelte der feuerrote Arara-Papagei und fügte nach einer Atempause hinzu: „Rübenschwein! Gelbgestreifte Miesmuschel!“
Ed Carberry, Smoky und Big Old Shane, die Drehbassenlafetten und Nagelbank auf der Back überprüften, hielten inne, legten den Kopf in den Nacken und grinsten.
„Welch ein kluger Vogel!“ brüllte Carberry begeistert. „Findet doch für jeden die passenden Worte! Der kann einen Kerl bis auf die Knochen durchschauen, was, wie?“
Auch die anderen an Deck fingen an zu glucksen.
Dan O’Flynn musterte unterdessen scharf seinen gefiederten Besucher, der sich auf seinem Unterarm niedergelassen und mächtig aufgeplustert hatte. Mit einem heiseren Krächzen schickte sich Sir John an, einen neuen Wortschwall vom Stapel zu lassen.
Dan kam ihm freundlich und mit halblauter Stimme zuvor.
„Hühnerbändiger, Goldeierleger.“
Sir John verstummte, sah den schlanken Mann aufmerksam an, legte den Kopf schief und stieß ein erneutes Krächzen aus. Nach einem kurzen Schlafaugenblinzeln drehte er sich um, stürzte sich senkrecht in die Tiefe, segelte gleich darauf haarscharf über die Fockrah hinweg und landete nach einem eleganten Kreis auf der Schulter des Profos.
„Kluges Kerlchen“, sagte Ed Carberry lobend. „Triffst immer wieder den Nagel auf den Kopf.“
Sir John räusperte sich kurz und trocken und ließ dann laut und vernehmlich seine Antwort hören.
„Hühnerbändiger! Goldeierleger!“
Atemzüge lang herrschte Stille auf der „Isabella“. Dann grölten die Männer los, und auch Hasard und Ben Brighton auf dem Achterdeck lachten.
Ed Carberry lief krebsrot an. Einen Moment sah es aus, als würde er anfangen zu toben. Doch er verkniff es sich und spähte lediglich besorgt zum Niedergang, als rechne er jede Sekunde damit, daß Mac Pellew aus der Kombüse auftauchte und ihn wegen jener goldenen Eier zur Rede stellte, der die Karavelle „The Golden Hen“ ihren Namen verdankte.
„Brav, brav, Sir John!“ rief Dan O’Flynn aus dem Großmars und äffte dabei den Tonfall des Profos nach: „Triffst doch immer wieder den Nagel auf den Kopf! Und was für ein kluges Kerlchen du bist!“
Sir John plusterte sich auf der Schulter Carberrys auf.
„Hühnerbändiger!“ gab er das soeben gelernte Wort noch einmal von sich und wollte fortfahren.
Ed Carberry