Seewölfe - Piraten der Weltmeere 364. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954397617
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daß Annamaria seine Tochter wäre, aber niemand nahm ihm das ernsthaft ab.

      Der Spott, mit dem man ihn verfolgte, hatte ihn dazu veranlaßt, vom Hafen in den Dschungel zu ziehen. Hier sammelte er Wurzeln und seltene Früchte, die er in Punta Gorda verkaufte. Er konnte feilschen wie ein Levantiner und ließ sich von keinem übers Ohr hauen.

      Ganz leise hatte Amintore Sarraux’ Pfiff vernommen und trat vor seine Hütte. Er sah die Flagge munter im Nordostwind flattern und wußte Bescheid.

      „Annamaria“, sagte er. „Lauf zum Hafen. Sag den Männern Bescheid, daß sich ein Dreimaster aus Nordwesten nähert. Er segelt schon dicht unter Land. Beeil dich.“

      Annamaria verließ die Hütte und eilte leichtfüßig wie eine Gazelle davon. Amintore sah ihr etwas verärgert nach. Wieder trug sie nur einen Fetzen am Leib, obwohl er sie schon oft ermahnt hatte, sich besser zu kleiden. Sie gab dann aber immer ziemlich patzig zurück, daß sie nichts anzuziehen habe. Amintore wußte dagegen nichts einzuwenden, er war machtlos. Annamarias Auftauchen im Hafen würde wie üblich einiges Aufsehen erregen. Aber sie wußte sich gegen die schmierigen, grinsenden, verwahrlosten Kerle zur Wehr zu setzen.

      Rechtzeitig, bevor das fremde Schiff das Kap rundete, das Punta Gordas Bucht nach Westen hin vorgelagert war, würde man im Hafen also unterrichtet sein und Vorkehrungen treffen. Die Einmaster wurden bemannt, die Geschütze an Land besetzt, und in den Häusern verschanzte sich jeder, der eine Muskete hatte, um etwaigen Angreifern einen heißen Empfang zu bereiten. Schon mancher Angriff auf Punta Gorda war auf diese Weise zurückgeschlagen worden. Wilde Kämpfer waren die Kerle, die hier lebten, sie ließen sich so leicht nichts wegnehmen.

      Das Warnsystem hatte sich als gut und brauchbar herausgestellt, es war sozusagen eine Sicherheitsgarantie für das Leben der Bewohner. Aus diesem Grunde wurde es auch nicht vernachlässigt, es hockte immer jemand hoch oben auf der Zypresse am Meeresufer und hielt Ausschau – und Dodger und Amintore verließen ihre Plätze nur in Ausnahmefällen.

      Sonst aber gab es nichts richtig Organisiertes in Punta Gorda. Es herrschte ein buntes, quirliges Treiben ohne jegliche „ordnende Hand“, es gab keine Obrigkeit und auch keine sonstige Autorität. Jeder war sein eigener Herr, das Leben verlief in den paradiesischen Bahnen vollendeter Freiheit.

      Neben Freibeutern, Hafenmädchen und Galgenstricken aller Art trafen sich in Punta Gorda auch Männer, die wie Sarraux, Nazario, Amintore oder Doger auf Hispaniola seßhaft werden wollten. Siedler – manche nannten sie auch die Bukanier. Sie besorgten sich das, was sie zum Leben brauchten, durch Jagd, Ackerbau, Fischfang und Küstenpiraterie.

      Rosa, die Dicke, tat nichts von alledem. Sie ließ sich von Amintore und Annamaria umsorgen und verhätscheln. Eben leckte sie sich die Finger ab, die sie in den Feigenmarmeladentopf gesteckt hatte, schmatzte genüßlich und sagte: „Es gibt also Verdruß? Sollen die Kerle sich die Köpfe abhacken lassen, soll ganz Punta Gorda verrecken. Ich rühre mich von hier nicht weg.“

      „Das habe ich mir fast gedacht“, sagte Amintore höhnisch.

      Joao Nazario war unterdessen zur vereinbarten Zeit von einem anderen Freibeuter abgelöst worden, der seinen Platz in der Astgabel der Zypresse einnahm. Der Posten sah eben noch, wie der Zweidecker in einer Nebenbucht vor Anker ging, dann verlor er ihn aus den Augen.

      „Keine Sorge“, zischte Nazario ihm zu, während er nach unten kletterte. „Gilbert und ich behalten den Kahn im Auge und bespitzeln die Mannschaft. Sollten die Hunde an Land gehen, geben wir ein Zeichen.“

      Er landete mit einem Satz auf dem Boden und eilte mit Sarraux davon. Daß der düstere Zweidecker in einer westlichen Nebenbucht vor Anker ging und Punta Gorda nicht direkt anlief, konnte ein gutes Zeichen sein: Der Kapitän wollte keine Konfrontation mit den Bewohnern des Hafens. Er fühlte sich nicht stark genug für einen Kampf. Vielleicht wollte er nur die Gefechtsschäden ausbessern lassen.

      Nazario und der Bretone eilten durch das Dickicht zu der Bucht, die sie selbst bestens kannten. Sie schlichen sich an, ohne von der Mannschaft des fremden Schiffes entdeckt zu werden. Im Unterholz kauerten sie sich hin, teilten die Zweige und Blätter vorsichtig mit den Händen und hatten den Blick frei auf das unheimlich wirkende Schiff, das einem unheilverkündenden Schicksalsboten gleich in die Bucht gesegelt war.

      Nazario zog den Kieker wieder auseinander und spähte hindurch.

      „Der Teufel soll mich holen“, raunte er seinem Kumpan zu. „Die ganze Crew besteht aus Dunkelhäutigen – und auf dem Achterdeck steht eine Negerin mit nackter Brust. Wie die sich benimmt, scheint sie der Kapitän zu sein.“

      „Das gibt’s nicht“, flüsterte der Bretone, dann verlangte er das Spektiv. Er sah selbst hindurch und konnte das, was der Portugiese erspäht hatte, nur bestätigen.

      Eine Galeone mit einer Crew von Schwarzen, Kreolen, Mulatten und Mestizen, aus deren Schar ein dunkler Riese mit krausem Vollbart herausragte – und eine Frau als Anführerin. Tatsächlich war sie nur mit einem Lendenschurz bekleidet und lenkte die Blicke der Beobachter wie in einem magischen Bann auf sich.

      Wer war diese Frau? Was wollte sie? Und wer hatte ihr Schiff derart zugerichtet?

      Caligula überwachte das Ankerwerfen und das Auftuchen der Segel, dann gab er den Befehl, das Beiboot der „Caribian Queen“ abzufieren. Er drehte sich auf dem Hauptdeck zu der Black Queen um und schaute zu ihr auf. Sie stand an der Querbalustrade des Achterdecks und hatte beide Hände aufgestützt.

      „Wir haben Glück“, sagte Caligula, „und scheinen nicht bemerkt worden zu sein. Dabei ist Punta Gorda nur ein paar Meilen entfernt.“

      „Ja, Glück haben wir wirklich“, sagte sie mit zynischer, verächtlicher Miene. „Besonders in der letzten Zeit. Aber paß auf, es könnten Beobachter im Busch stecken, die uns nicht aus den Augen lassen. Die Leute von Punta Gorda sind keine einfältigen Narren. Wir dürfen sie auf keinen Fall unterschätzen.“

      „Natürlich nicht. Aber unsere Absichten sind friedlich.“

      „Wir brauchen Proviant, Trinkwasser und Munition“, sagte sie. „Und wir werden dafür bezahlen.“ Sie sprach laut genug – für den Fall, daß sie jemand belauschte.

      Nach der Niederlage im Gefecht gegen den Seewolf und dessen Verbündete hatte es auf der Hand gelegen, nach Hispaniola zu segeln. In erster Linie hatte die Queen die Absicht, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Feind zu legen. Sie hatte mit einer Verfolgung gerechnet und sich darauf vorbereitet, Hispaniola ganz zu umrunden. Doch kein Fühlungshalter hatte sich ihr an die Fersen geheftet. Den Grund dafür konnte sie vorläufig nur erahnen – vielleicht ging es dem Seewolf zunächst darum, jetzt seine Position auf Tortuga zu festigen.

      So bot es sich an, in Punta Gorda Station einzulegen, die „Caribian Queen“ instand zu setzen und die Vorräte in den Lagerräumen zu erneuern. Die Verwundeten konnten sorgfältig verarztet werden, und vielleicht gelang es der Queen und Caligula, im Hafen ein paar neue Männer für ihr Schiff anzuwerben. Die Galeone war zwar nicht unterbemannt, aber die Verluste machten sich doch bemerkbar.

      Das Boot lag zum Ablegen bereit an der Bordwand. Die Black Queen suchte vier Männer als Begleiter aus und ließ sie abentern. Dann stieg auch sie in die Jolle, begleitet von Caligula. Einer der Kerle drückte mit dem Peekhaken gegen die Bordwand des Schiffes, und die Jolle dümpelte ein Stück davon. Dann griffen die Männer zu den Riemen und begannen zu pullen.

      Schweigend verlief die kurze Überfahrt zum Ufer der Bucht, Stille herrschte auch an Bord der „Caribian Queen“. Über was sollte auch groß gesprochen werden? Geflucht hatten sie alle ausgiebig. Wenn sich alles bewahrheitete, würden die Seewölfe und ihre Verbündeten bald in den tiefsten Schlünden der Hölle schmoren. Die Schlacht von Tortuga bedurfte keines Kommentars – es gab an der Niederlage nichts zu beschönigen und nichts hinzuzufügen.

      Das Boot schob sich auf den weißen Ufersand, die Frau und die fünf Männer stiegen aus. Die Kerle sicherten das Boot, und einer blieb als Wachtposten zurück. Mit Caligula und den drei anderen Piraten schritt die Black Queen auf das Dickicht zu und verschwand darin.

      Kaum