Wenn er die Spanier auf Corvo aussetzte, würde sich schon irgendeine Gelegenheit für sie ergeben, von einem zum Mutterland zurücksegelnden Schiff mitgenommen zu werden. Das sollte seine geringste Sorge sein.
Hatte er sie abgesetzt, würde er Flores anlaufen.
Der Schiffsort von Capitan Descola hatte fast haargenau mit Hasards übereingestimmt. In der Nacht waren sie dann vom Wind in nordöstliche Richtung versetzt worden, nachdem sie beigedreht hatten. Das bedeutete eine Verschiebung vom letzten Schiffsort bis zu dem Punkt, von dem sie dann am Morgen losgesegelt waren. Aber diese Verschiebung war nach Hasards Schätzung nicht allzu groß. Wenn er Kurs, Zeit und Distanz zu den Azoren richtig berechnet hatte, sollten sie morgen um die Mittagszeit gesichtet werden – vorausgesetzt, Windstärke und Windrichtung blieben konstant. Wenn sie in einer Flaute hängenblieben, waren sowieso sämtliche Berechnungen zum Teufel.
Hasard ließ stündlich loggen, um die eigene Schiffsgeschwindigkeit festzustellen. Sie ermöglichte es ihm, die zurückgelegte Distanz zu berechnen und mit dem Kurs auf die Seekarte einzutragen. Dabei ging ihm Donegal Daniel O’Flynn zur Hand, der vor Wißbegierde zappelte und sich alles hundertmal erklären ließ.
Hasard merkte rasch, daß das Bürschchen durchaus die Anlagen hatte, einmal ein guter Pilot zu werden.
Hasard ging wieder zurück aufs Achterdeck, kontrollierte automatisch den Stand der Segel, den Kompaßkurs, nickte dem Rudergänger – es war Blacky – zu und rief den Schiffszimmermann zu sich.
Ferris Tucker turnte die Großwanten hinunter und stieg aufs Achterdeck.
„Sag mal“, fragte Hasard, „wie lange Zeit brauchst du, um für die ‚Santa Barbara‘ einen neuen Fockmast zu bauen?“
Ferris Tucker kratzte sich hinter dem Ohr und überlegte, „Wenn ich auf Anhieb einen guten Stamm finde, etwa zwei bis drei Tage. Er muß gefällt und abgeschält werden – eine alte Fockrah hab ich übrigens im Vorschiff entdeckt, die Vormarsrah krieg ich auch hin – na ja, dann muß ich das Ding insgesamt neu aufriggen, da vergeht schon allerlei Zeit.“ Er grinste. „Hast du’s so eilig?“
„Kapitän Drake warnte mich vor den Azoren – wegen der Dons, die sich dort herumtreiben. Wieweit die Portugiesen ihnen gefällig sind, kann ich nicht beurteilen. Da kann es immer einen geben, der neugierig wird, feststellt, daß wir gar keine Spanier sind und nichts Eiligeres zu tun hat, als den Dons unsere Anwesenheit zu melden.“
Ferris Tucker nickte. „Verstehe. Aber Flores liegt ziemlich weit westlich der anderen Azoreninseln, da kreuzt so schnell kein Don auf.“
„Eben, darum laufen wir sie ja auch an. Nur müssen wir davon ausgehen, daß jeder weitere Tag, den wir dort herumliegen, die Gefahr einer Entdeckung vergrößert.“
„Ich werde mich beeilen“, sagte Ferris Tucker. „Und wie willst du das Problem der Spanier und Neger lösen? Wenn wir die zusammen auf Flores an Land setzen, gibt’s Mord und Totschlag. Die Schwarzen würden am liebsten schon jetzt den Dons den Hals umdrehen. Und weißt du, warum? Dieser verdammte Descola hat sich alle paar Nächte irgendeine der siebzehn schwarzen Täubchen in die Kammer geholt – nicht zum Plauderstündchen, verstehst du? O nein, er hat sie vernascht. Unser Herkules hat mir da einiges erzählt, da kann’s einem glattweg schlecht werden.“
Hasard preßte die Lippen zusammen. Dann sagte er: „Ich setze zuerst die Spanier aus – auf Corvo. Ich habe mir das eben auf der Karte angeschaut. Die Insel liegt nördlich von Flores, knapp acht Meilen von ihr entfernt. Dann segeln wir zurück nach Flores, und dort werden die Neger gelandet. Was soll ich sonst tun? Ich bin kein Kindermädchen. Schau sie dir an, Ferris. Alles junge, kräftige Burschen. Die sollten doch in der Lage sein, sich zu wehren und für ihre Freiheit zu kämpfen. Wir werden ihnen Waffen und Werkzeuge zurücklassen. Alles andere sollen sie dann selbst in die Hand nehmen.“
„Ja, du hast recht. Eine bessere Lösung gibt es nicht.“
„Doch“, sagte Hasard, „aber es wäre nicht die bessere Lösung für uns. Wir könnten die Fracht der ‚Santa Barbara‘ auf die ‚Barcelona‘ umladen und den Negern die „Santa Barbara‘ zur Verfügung stellen. Mit der könnten sie nach Afrika zurücksegeln.“
Ferris Tucker grinste. „Die Affen wissen doch noch nicht einmal, wo hinten und vorn bei einem Schiff ist.“
„Dann lernen sie es“, sagte Hasard. „Aber es ist eben nicht die bessere Lösung für uns, denn ich will beide Galeonen nach England bringen. Und für diese Galeone hier haben wir Kopf und Kragen riskiert. England braucht jedes Schiff. Das ist es.“
„Genau. Soll ich weiter mit den Affen exerzieren?“
„Ja, je mehr sie lernen, um so besser. Und wer weiß, was uns noch blüht, bis wir die Azoren erreichen.“
Hasard nahm seinen Marsch auf dem Achterdeck wieder auf, und Ferris Tucker widmete sich den „Affen“. Batuti mußte dolmetschen. Wie die Segel gesetzt und wieder geborgen wurden, hatten seine Schüler inzwischen verstanden. Jetzt brachte er ihnen bei, wie sie bedient wurden und bei den verschiedenen Windrichtungen stehen mußten. Zwischendurch fluchte Ferris Tucker, und die Flüche übersetzte Batuti getreulich mit. Sie hatten viel Spaß.
Am Nachmittag standen sie abwechselnd am Ruder und steuerten Zickzackkurse oder Kringel, bis auch daraus ein geraderes Kielwasser wurde. Als Ferris Tucker mit ihnen die gebräuchlichsten Knoten üben wollte, stellte sich heraus, daß sie die schon kannten. Natürlich hieß bei ihnen der Webleinenstek nicht Webleinenstek, sondern irgend etwas Unaussprechliches. Aber Ferris Tucker begriff, daß die „Affen“ auch Menschen waren – logisch, wer seemännische Knoten beherrschte, konnte kein Affe sein.
Batuti erklärte ihm, wozu sie die verschiedenen Knoten brauchten – zum Bau ihrer Hütten, beim Zusammenbinden von Flößen, für die Sehnenbespannung ihrer Kampfbögen, für die Herstellung von Tierfallen und Fischfangnetzen. Ferris Tucker geriet ganz schön ins Staunen. Und als ihm Batuti nur mit einem Messer, aber sehr flinken und geschickten Fingern vorführte, mit welcher Geschwindigkeit und Exaktheit er aus einem Vierkantholz einen etwa fingerdicken Pfeil zu schnitzen vermochte, da stand Ferris Tucker ganz schön dumm da.
Und Hasard meinte, ob er, Ferris, immer noch der Ansicht sei, daß die Affen vorn und hinten bei einem Schiff nicht zu unterscheiden wüßten.
Ferris Tucker schwenkte restlos um.
„Das ist eine ganz gerissene Bande, ist das, ich hab’s ja gleich gesagt.“
„So, so“, sagte Hasard. „Hattest du sie nicht auf eine Stufe mit Affen gestellt?“
„Ach verdammt, hab ich das?“ Ferris Tucker brummelte etwas Undeutliches vor sich hin.
„Wie bitte?“ fragte Hasard sehr höflich.
„Ich sagte, sie seien dennoch schwarz.“ Ferris Tuckers Gesichtsfarbe war so rot wie sein Haar.
„Und wir sind weiß“, sagte Hasard, „und haben Kopf und Arme und Leib und Füße genau wie sie. Und dann schau dir mal ihre Zähne an.“
„Perlen“, sagte Ferris Tucker begeistert.
„Eben“, sagte Hasard und fuhr in seiner liebenswürdigen Art, gemischt mit einer gehörigen Portion Sarkasmus, fort: „Unsere Pferdehändler in Falmouth pflegten beim Ankauf von Pferden zuerst die Zähne zu untersuchen. Und je besser das Pferdegebiß war, um so höher war der Preis des Verkäufers. Merkst du was, Ferris?“
Ferris Tucker schnaufte. „Aber du sprichst doch von Pferden.“
„Du hattest von Affen gesprochen“, sagte Hasard ziemlich brutal. „Aber du meintest Menschen. Und ich bin überzeugt, daß dieser Descola seine menschliche Ware nach der Methode der Pferdehändler ausgesucht hat. Haben wir uns jetzt verstanden?“
„Aye, aye, Sir“, sagte Ferris Tucker erschüttert.
Batuti, der diesem Dialog mit wachsendem Interesse gefolgt war, grinste über das ganze Gesicht