„Zumindest vorerst nicht“, sagte Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, mit gedämpfter Stimme. „Trotzdem haben wir uns nicht umsonst in den Geheimgang verholt.“
„So ist es“, sagte Big Old Shane. „Jetzt gilt es, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. Wenn wir bis dahin schon mal über unsere Möglichkeiten nachdenken würden, könnte das wohl nicht schaden. Wären wir an Deck geblieben, müßten wir uns jetzt wohl oder übel genauso von diesem Busenteufel in den Achtersteven treten lassen wie die anderen. Von hier aus aber haben wir zumindest eine Chance, etwas zu unternehmen.“
Plymmie begann leise zu winseln. Trotz der Dunkelheit war deutlich zu spüren, daß sie auf jedes Geräusch achtete.
„Mach bloß keinen Quatsch, Plymmie“, mahnte Sam Roskill, der der Wolfshündin nicht recht zu trauen schien.
Batuti kümmerte sich nach wie vor um das Tier.
„Plymmie ist ein guter Hund“, sagte er mit verhaltener Stimme. „Sie spürt die Gefahr, aber sie bellt nicht. Da mußt du nicht nervös werden, Mister Roskill.“
„Ich – nervös?“ Sam wollte aufbegehren, aber Big Old Shane, der einstige Waffenschmied der Feste Arwenack in Falmouth, legte ihm sofort die Hand auf die Schulter. Er brauchte dazu nicht einmal in der Finsternis herumzutasten, denn Sam hockte unmittelbar neben ihm.
„Schon gut“, fuhr der ehemalige Karibik-Pirat fort. „Aber ich bin nicht nervös. Nur finde ich es ein bißchen riskant, daß wir Plymmie bei uns haben. Sie ist ja ein lieber Kerl, aber ein Tier bleibt doch immer unberechenbar.“
Big Old Shane nickte.
„Grundsätzlich hast du nicht unrecht, Sam. Aber wie du weißt, hat es seinen guten Grund, daß Plymmie bei uns ist. Vergiß nicht, daß sie im Hafen von Havanna, während sie die Stelling der ‚Wappen von Kolberg‘ bewachte, der Black Queen beinahe an die Kehle gesprungen wäre. Die Sache hätte uns verdammt viel Ärger einbringen können, wenn Hein Ropers nicht so beherzt eingegriffen hätte. Vor allem für Arne wären die Folgen katastrophal gewesen. Auch jetzt ist es nur von Vorteil, wenn die Black Queen Plymmie nicht zu sehen kriegt, allein schon wegen Arne und seiner Männern.“
„Du hast recht“, pflichtete ihm Sam Roskill bei. „Da ist es schon besser, Plymmie ist bei uns.“
„Na also“, ließ sich Batuti vernehmen. „Jetzt bist du vernünftig, Mister Roskill, und nicht mehr nervös.“
Sam glaubte, das breite Grinsen des schwarzen Riesen und das Aufblitzen seiner perlweißen Zähne trotz der Dunkelheit zu sehen, aber er schluckte seine Erwiderung trotzdem hinunter.
Natürlich war keiner von ihnen wirklich nervös. Dazu hatten sie alle schon zuviel erlebt, und jeder von ihnen hatte dem Teufel auf allen Meeren der Welt bereits mehr als ein Ohr abgesegelt. Dennoch konnten sie nicht verleugnen, daß sie nach wie vor unter einer gewissen Anspannung standen, denn das Treiben da draußen ging an die Nieren, ob man das wahrhaben wollte oder nicht. Hätten sie aufspringen und zupacken können, wäre das noch akzeptabel für sie gewesen, so aber setzte ihnen die momentane Ungewißheit und Untätigkeit zu.
Bald stellten die Arwenacks fest, daß das Getrappel auf den Decksplanken merklich nachließ. Auch die polternden und schabenden Geräusche, die die an- und ablegenden Boote an der Bordwand verursachten, waren seit einiger Zeit nicht mehr zu hören. Schließlich setzte eine lähmende Stille ein.
Stenmark wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht.
„Wahrscheinlich sind wir jetzt die einzigen an Bord“, sagte er leise. „Verdammt, was hat dieses Schnapphuhn nur vor?“
„Das läßt sich unschwer erraten“, erwiderte Ferris Tucker. „Wenn man sich in die Lage der Black Queen versetzt, scheint das, was sie tut, logisch zu sein. Sie hat nur diesen dicken Kreolen als Helfer, und das ist zu wenig, um zwei Schiffe samt Besatzungen zu bewachen. Also hat sie die ‚Isabella‘ abgeräumt und die Crew auf der ‚Caribian Queen‘, die sie wohl immer noch als ihr Eigentum betrachtet, unter Verschluß gesetzt.“
„Na, dann viel Spaß“, sagte Stenmark sarkastisch. „Hoffentlich flüstert ihr der Teufel nicht noch einige weitere Schandtaten ins Ohr, sonst verfällt sie womöglich auf die Idee, die ‚Isabella‘ zu versenken oder anzuzünden.“
„Zuzutrauen ist diesem Weibsbild alles“, sagte Ferris Tucker. „Dennoch ist ihr weiteres Handeln ganz von ihren Plänen abhängig, und die kennen wir noch nicht. Also müssen wir verdammt auf der Hut sein.“
Big Old Shane räusperte sich verhalten.
„Die Queen hat bestimmt nicht vor, einige neckische Spielchen mit uns zu treiben und sich dann zu verholen, o nein. Sie haßt uns vielmehr wie die Pest, und deshalb müssen wir mit allem rechnen. Meiner Meinung nach sollten wir sofort etwas unternehmen. Wer weiß, wie lange wir noch die Möglichkeit dazu haben.“
„Dafür bin ich auch“, sagte Matt Davies. „Aber was können wir tun? Hast du einen Vorschlag?“
„Ich habe einen“, erwiderte Old Shane.
„Dann laß ihn endlich hören.“ Die Stimme des grauhaarigen Mannes, dessen rechte Hand durch eine gefährliche Hakenprothese ersetzt wurde, klang ungeduldig.
„Na schön“, fuhr Big Old Shane fort. „Es ist natürlich klar, daß unsere Möglichkeiten beschränkt sind. Dennoch müssen wir das Beste aus unserer Situation herausholen, wenn wir nicht bis zum Jüngsten Tag tatenlos hier herumhocken wollen. Ich schlage deshalb folgendes vor: Drei Mann verlassen den Gang durch den Ausstieg im Mannschaftslogis und drei durch den geheimen Ausgang in meiner Achterdeckskammer …“
„Und zu was soll das alles gut sein?“ unterbrach ihn Sam Roskill voller Tatendrang.
„Nur langsam, Sam“, sagte Old Shane. „Ich bin noch nicht am Ende. Es könnte ja sein, daß sich der Kreole noch an Bord befindet. Wenn das der Fall wäre, könnten wir ihn von vorn und achtern in die Zange nehmen. Nur müßte das in einem sehr schnellen Handstreich geschehen – möglichst, bevor der Kerl die Black Queen alarmieren kann. Sind wir aber erst einmal an Deck, dürfte es nicht besonders schwierig sein, das Treiben auf der ‚Caribian Queen‘ zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden.“
„Das ist ein guter Vorschlag“, sagte Ferris. „Sobald wir von Deck aus die Lage gepeilt haben, können wir immer noch an Ort und Stelle entscheiden, was wir weiter unternehmen. An Waffen fehlt es uns nicht, wir haben genug davon hier im Versteck, zudem sind da noch die geheimen Waffenkammern vorn und achtern, die wir beide von diesem Gang aus erreichen können.“
„Das sind doch schon recht vielversprechende Aussichten“, meinte Sam Roskill, dem es gewaltig in den Händen juckte. „Ich verspüre nämlich nicht die geringste Lust, hier im Gang alt und grau zu werden.“
Auch die anderen Männern brachten ihre Zustimmung zum Ausdruck.
„Davonsegeln wird uns das Teufelsweib vermutlich nicht so rasch“, sagte Stenmark. „Allein mit dem Kreolen kann sie das unmöglich schaffen. Zudem dürften die beiden alle Hände voll zu tun haben, um ihre Gefangenen und die Geiseln im Auge zu behalten.“
„Das ist anzunehmen“, sagte Big Old Shane. „Zumindest jetzt, in der Nacht, wird sich da nichts tun. Und gerade darin liegt unsere Chance.“
Die Arwenacks verloren keine Zeit mehr. Das Unbehagen darüber, was wohl mit ihren Kameraden geschah, saß ihnen im Nacken. Sie gingen so vor, wie Big Old Shane vorgeschlagen hatte. Ferris Tucker, Batuti und Matt Davies krochen nach vorn zum Ausgang im Mannschaftslogis. Big Old Shane hingegen wandte sich zusammen mit Sam Roskill und Stenmark dem Ausgang in seiner Kammer zu.
Plymmie blieb den Männern dicht auf den Fersen und verhielt sich mucksmäuschenstill.
Es war schwül und warm, nur die leichte Brise aus Nordnordost brachte zeitweise ein wenig