Caligula lachte rauh, denn die Leute, die sie bisher angetroffen hatten, schienen die Gastfreundschaft nicht gerade erfunden zu haben. Man hatte ihnen deutlich angemerkt, daß sie die Black Queen und ihre Begleiter als unwillkommene Besatzungsmacht ansahen. Aber das störte die Schnapphähne nicht, denn sie verstanden es hervorragend, wo immer es nötig war, der Gastfreundschaft ein bißchen nachzuhelfen.
Jaime Cerrana sagte: „Laß doch die Tagediebe, die hier überall herumlungern, antreten und die Unterkünfte bauen. Da hat das Pack wenigstens etwas zu tun.“
Willem Tomdijk winkte ab.
„Gar nicht nötig“, erklärte er. „Meine Leute können selber kräftig zupacken. Dreihundert harte Männer brauchen schließlich nicht wie Wickelkinder behandelt zu werden. Sie werden schon selber in die Hand nehmen, eine Behausung für sich auf die Beine zu stellen, man muß ihnen nur sagen, wo. Und außerdem …“
Der Bierbrauer aus den fernen Niederlanden und ehemaligen Bürgermeister von El Triunfo wurde durch den Ruf eines Maultieres unterbrochen.
Die Laute stammten jedoch nicht von einem ihrer Reittiere, sondern schienen etwas weiter entfernt ausgestoßen worden zu sein. Durch die weit ausladenden Farnbäume war jedoch nichts zu sehen.
Sofort hob die Black Queen die rechte Hand und stoppte ihren Trupp.
Ohne daß es eines besonderen Befehles bedurfte, rissen die Piraten ihre Musketen hoch. Die Queen selbst zog ihre doppelläufige Pistole aus dem Gürtel. Ihre wohlproportionierte Gestalt straffte sich, während ihre Augen flink die Umgebung abtasteten. Ihre Nasenflügel blähten sich auf wie bei einem witternden Raubtier.
Doch die Vorsicht erwies sich als unnötig. Das Maultier, das in das Blickfeld der Piraten geriet, wurde von einem nahezu unbewaffneten Mulatten geführt und war mit drei kleinen Holzfässern beladen.
Der dunkelhäutige Mann erschrak heftig, als er sich plötzlich der schwerbewaffneten Schar gegenübersah. Er hielt sein Tier an und starrte abwartend auf die Frau an der Spitze des Trupps.
„Tritt näher!“ befahl die Queen herrisch. „Oder erwartest du, daß wir zu dir kommen?“
Der Mulatte gehorchte zögernd. Zehn Schritte vor dem Maultier der Black Queen verhielt er jedoch und warf der halbnackten Frau einen mißtrauischen Blick zu.
„Wie heißt du, und wohin willst du?“ fragte die Queen.
„Ich heiße Paolo, Señora, und ich war im Hafen. Ich – ich habe diese drei Fässer eingekauft.“ Er deutete auf die Behälter, die auf dem Rücken des Maultieres festgebunden waren.
„Was ist da drin?“
Der Mann zögerte, denn er ahnte, wen er vor sich hatte. Im Hafen von Tortuga gab es kein anderes Gesprächsthema als die Black Queen. Schließlich sagte er: „Getränke, Señora.“
„Verdammt, ich weiß, daß du keinen Sand in diese Fässer gefüllt hast“, fauchte die schwarze Piratin. „Laß dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen!“
Der Mulatte zuckte zusammen. „In zwei Fässern ist Wein, Señora. In dem anderen – ist Rum.“
Caligula begann dröhnend zu lachen und hieb sich mit der rechten Hand auf den Oberschenkel.
„Das trifft sich ja bestens“, brüllte er. „Sicher hast du gewußt, daß man eine trockene Kehle kriegt, wenn man diese verdammte Insel durchstreift. Nett von dir, daß du uns die drei Fässer als Erfrischung anbieten willst.“
„Aber Señor!“ Der Mulatte geriet ins Stammeln. „Das – das kann ich nicht …“ Seine Blicke huschten nervös von einem zum anderen.
„Was kannst du nicht?“ fragte Caligula lauernd. „Soll das vielleicht heißen, daß du der Black Queen und ihren Begleitern diese drei lächerlichen Fäßchen verweigern willst? Wir sind neun Männer und eine Frau – wie du siehst, und wir sind seit vielen Stunden unterwegs. Und du sagst einfach nein! Ist das die vielgepriesene Gastfreundschaft auf dieser Insel?“
Der Mann wand sich. „Señor, lassen Sie mich doch erklären! Der Inhalt dieser Fässer gehört mir nicht. Ich wurde lediglich von anderen Fischern beauftragt, den Wein und den Rum bei Diego abzuholen. Ich – ich kann doch nicht einfach …“
Willem Tomdijk mischte sich ein. „Lassen wir ihn weiterziehen, es mag sich durchaus so verhalten, wie er sagt.“
„Halte dich da raus, Tomdijk!“ herrschte ihn die Queen an. „Das ist eine Sache, die dich nichts angeht!“
Der Niederländer schwieg betreten.
Caligula glitt behende von seinem Maultier und zog seine Peitsche aus dem Gürtel. Bevor der Mulatte noch etwas sagen konnte, stand der muskulöse Neger vor ihm.
„So, du kannst also nicht“, sagte Caligula. „Hauptsache, das faule Fischerpack kriegt seihen Wein und kann sich die Hucke vollsaufen, alles andere ist dir egal.“
Caligula redete meist nicht viel, doch jetzt betrachtete er das Ganze als eine Art Spiel. Er liebte es, seine Opfer zu quälen.
Der Mulatte durchschaute dieses Spiel jedoch nicht. Er zog ein weinerliches Gesicht und verlegte sich aufs Jammern.
„Aber Señor, ich schwöre Ihnen bei der heiligen Madonna und bei …“
Caligula hatte keine Geduld mehr. Und Skrupel kannte er ohnehin nicht. Die Lederriemen seiner Peitsche zischten jäh durch die Luft.
Einmal, zweimal, dreimal.
Der Mulatte brach laut schreiend zusammen und hob abwehrend die Hände vors Gesicht.
Doch Caligula ließ sich dadurch nicht abhalten. Mit brutaler Gewalt verabreichte er dem Mann drei weitere Hiebe, bis sich dieser stöhnend und wimmernd am Boden wand.
Dann erst steckte der Liebhaber der Queen die Peitsche weg und gab einem der Kerle von der „Caribian Queen“ einen Wink. Dieser ritt an das Maultier des Mulatten heran und nahm die Zügel auf. Mit der „Beute“ im Schlepp setzte sich der Trupp wieder in Bewegung. Niemand würdigte den zusammengeschlagenen Mann noch eines Blickes.
„Bei der nächsten Rast werden wir uns einen Schluck genehmigen!“ rief Caligula mit einem höhnischen Grinsen. „Ich spendiere euch das Zeug!“
Jaime Cerrana brachte einen Hochruf auf Caligula aus, in den die sechs Kerle vom Begleitschutz begeistert mit einstimmten.
„Sie kommen!“ El Toros Gesicht verzog sich voller Haß. Er schob den Kieker in den Gürtel zurück und kletterte rasch von dem Felsblock hinunter, der ihm trotz der sengenden Hitze viele Stunden lang als Ausguck gedient hatte.
Die Männer, die schon seit der vergangenen Nacht auf der Lauer lagen, hatten ihrem Anführer immer wieder ungeduldige Blicke zugeworfen. Jetzt endlich war die erwartete Meldung erfolgt.
Es erfüllte El Toro mit Genugtuung, daß seine Kalkulation aufgegangen war. Er hatte von Anfang an damit gerechnet, daß die Piraten das von unzähligen Felsblöcken übersäte Geröllfeld dem mühsamen und schwer zugänglichen Weg durch die zerklüfteten Berge vorziehen würden.
El Toro und seine Männer waren längst kampfbereit. Die drei Maultiere, die sie vorsichtshalber mitgebracht hatten, waren weit genug vom Schauplatz entfernt am Stamm einer Palme festgebunden worden, damit sie von niemandem gehört werden konnten.
Die versteckte Höhle, in der die Leichen der Piraten für ewige Zeiten verschwinden sollten, lag nur eine knappe Meile von dem Geröllfeld entfernt am Fuße eines Bergmassivs.
Die Männer waren hinter mächtigen Felsbrocken in Deckung gegangen, die aussahen, als habe sie die Natur in einem gewaltigen Wutausbruch wahllos in die Gegend geschleudert.
Die Strategie war genau abgesprochen worden. Als erstes sollten die Musketen abgefeuert werden, dann die Pistolen. Die „Feinarbeit“, sollte, wie El Toro grinsend erklärt