„Das kann ich nicht glauben.“
Einige Stunden lang hatte er das spanische Schiff sehen können. Der Kapitän war ein ebenbürtiger Seemann, sein Schiff allerdings weniger schnell als die Schebecke. Bestimmt hatte der Spanier die Schebecke nicht aus den Augen verloren, und auch nicht die langsamere Galeone, auf der ein knappes Dutzend seiner Arwenacks segelte.
„Ich hab’s gewußt!“ rief er plötzlich.
Die Segel einer Karavelle!
Sie erschien aus dem westlichen Quadranten und hatte höchstwahrscheinlich nach einem Schlag nach West wieder den Kurs eingeschlagen, der sie eindeutig als Verfolger auswies. Und schräg dahinter entdeckte der Seewolf ein zweites Schiff.
Es war, seine Ahnungen hatten sich bestätigt, ebenfalls eine Karavelle. Er nickte und war halb zufrieden, halb beunruhigt. Er beging nicht den Fehler, anzunehmen, daß er ausgerechnet vor ihren eigenen Küsten den Spaniern davonsegeln konnte. Schon gar nicht mit der wertvollen Beute, um die er sich ebenso zu kümmern hatte wie um das eigene Schiff.
„Nur zwei Schiffe? Ich wette, daß es noch mehr sind.“
Ein Windstoß brachte ihm den Geruch in die Nase, der über Deck strömte. Dem Kutscher war es gelungen, über dem gesicherten Feuer seinen Kessel nicht umkippen zu lassen. Also gab es aus den schwindenden Vorräten bald eine heiße, fette Suppe, deren Pfeffer ihnen allen einheizen würde. Hasard hing in dem Tauwerk und suchte die See ab, aber er zählte nicht mehr als diese beiden Karavellen.
Er turnte zurück und blieb beim Rudergänger stehen.
„Hast du sie gesehen?“ erkundigte sich Dan O’Flynn aufmerksam. Er hatte seine Hände mit breiten Stoffstreifen umwickelt und stemmte sich gegen die geschwungene Pinne.
„Ich bin sicher, daß wir von mehreren Schiffen verfolgt werden. Zwei Karavellen habe ich entdecken können. Eine davon verfolgt uns seit langem. Und wo zwei sind, gibt’s auch drei oder vier. Ich lasse dich ablösen, nachdem wir unsere Suppe gegessen haben.“
„Aye, aye, Sir“, antwortete Dan ruhig. „Ich werde einen Blick durch dein Spektiv werfen. Dann wissen wir, wie viele Olivenfresser den Seewolf jagen.“
„Ein Vergleich“, sagte Hasard, „den ich gar nicht gern höre.“
Bei dem Seegang, der die Schiffe schlingern ließ, war es unmöglich, in Ruhe zu essen. Nacheinander verschwanden die Männer in der Kombüse, um sich ihre Schüssel abzuholen und zu versuchen, die kochendheiße Suppe zu löffeln, ohne daß sie sich etwas davon über die Schenkel schütteten. Die knurrenden Mägen beruhigten sich. Die Stimmung wurde besser, selbst als Hasard berichtete, wie er die Lage sah.
„Bis zum Abend kann sich alles geändert haben. Meinst du, daß sie uns einholen können?“ fragte Ben Brighton und schielte zu Al Conroy, der seit Stunden ein verkniffenes, abweisendes Gesicht zur Schau trug.
„Das ist durchaus möglich“, mußte Hasard zugeben. „Selbst bei den Dons soll’s gute Schiffe und ebensolche Kapitäne geben, habe ich mir sagen lassen.“
„Nicht von mir“, brummte Ferris Tucker und hielt dem Kutscher seinen Napf hin.
Der füllte einen zweiten Schlag ein und schaute den Kapitän an. „Haben wir Grund zur Aufregung?“
„Das wird sich zeigen“, erklärte Carberry, stellte seine leergegessene Schüssel weg und stand auf. Er bückte sich, um nicht mit dem Schädel gegen die Stringer zu stoßen. „Ich sehe nach, ob es noch hell ist.“
„Noch haben wir keinen Grund dazu.“ Hasard beantwortete Tuckers Frage und nickte dem Kutscher anerkennend zu. „Ich könnte mir vorstellen, daß die Spanier mindestens drei Schiffe hinter uns herschicken. Vielleicht jagen sie auch ihre Kuriere nach Norden, nach La Coruña zum Beispiel. Dann können sie uns in die Zange nehmen.“
„Ruhe, du Kracheule!“ schimpfte der Kutscher und meinte Sir John, der mit seinen Flügeln schlug und unverständliche Schimpfwörter krächzte oder etwas, das stark danach klang.
„Ich bin bereit“, sagte Al Conroy überraschend. Seine braunen Augen hatte er zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen. Er wirkte plötzlich im Halbdunkel unter Deck recht fremdartig. Jeder, der ihn verstand, war sicher, zu wissen, was der Stückmeister meinte.
„Soweit ist es wohl noch nicht“, entgegnete der Seewolf. Er ließ sich aus dem halbvollen Kessel, der an den dünnen Ketten schlingerte, noch eine Portion geben. Wieder einmal hatte der Kutscher bewiesen, daß er auch dann etwas Passables kochen konnte, wenn die Vorräte zur Neige gegangen waren. „Aber wir müssen wachsam bleiben.“
Ben Brighton machte sich fertig, um Dan O’Flynn abzulösen, Hasard gab ihm das Spektiv und sagte: „Dan soll sich genau umsehen. Vielleicht entdeckt er mit seinen scharfen Augen mehr als der halbblinde Kapitän.“
„Wird ausgerichtet, Sir“, brummte der Erste Offizier und hangelte sich an Deck.
Unter den Decksplanken war es trocken und warm. Der größere Teil der Crew hielt sich jetzt hier auf. Der Schimpanse hockte in einer Ecke und schien zu schlafen. Wind und Wetter draußen schienen ihm keineswegs zu behagen.
Ein paar Männer schaukelten in den Hängematten und schnarchten lauter als die Geräusche des Schiffsrumpfes, der sich mit knarrenden Verbänden durch die Wellen kämpfte. Der Seewolf schloß die Augen und lehnte sich zurück.
Seltsam, sagte er sich. Sie waren durch alle Meere gesegelt und nie wirklich unruhig geworden oder unsicher. Die Neugierde hatte stets über die schier endlosen Entfernungen der unbekannten Seegebiete gesiegt. Jetzt änderte sich die Einstellung seiner Arwenacks.
Sie kannten das Gewässer und wußten, daß ihre Heimat voraus lag. Sie konnten es kaum erwarten, an Land zu gehen, die Themse hinauf zusegeln mit der Flut, London wiederzusehen oder Plymouth. Ihre Geduld wurde von Stunde zu Stunde auf eine immer härtere Probe gestellt, und jedes noch so kleine Hindernis störte, regte auf und stimmte wütend.
Philip Hasard Killigrew sagte sich, daß es vermessen wäre, etwas anderes zu erwarten als weitere Zwischenfälle und gefährliche Abenteuer – sie waren noch lange nicht in England. Niederländer, Piraten, Franzosen und Spanier verunsicherten den Ost-Atlantik. Die Tüchtigkeit und das Glück der Mutigen waren keine Garantie für die Sicherheit der Arwenacks, und zwei oder mehrere Verfolgerschiffe konnten das Ende der langen Reise bedeuten.
Die Dons würden kein Erbarmen kennen. Mit den Seewölfen gab es einige Rechnungen zu begleichen.
Hasard holte tief Luft, winkte den Zwillingen und kletterte an Deck.
Während er zuschaute, wie Dan O’Flynn das Spektiv handhabte, sagte er zu Jung Hasard: „Al Conroy wird Hilfe brauchen. Wir sind kein Schiff, das sich leisten kann, mit Serien von Breitseiten zu kämpfen. Unser Stückmeister hat, so denke ich, eigene Ideen über unsere Gegenwehr.“
„Ich weiß“, sagte Philip eifrig, „er spricht ständig vom venezianischen Schießpulver.“
„Ihr helft ihm, ja? Ich weiß nicht, wie es weiter nördlich aussieht. Die Spanier werden in ein paar Stunden aufgeschlossen haben.“
„Natürlich helfen wir“, versprachen sie. „Al wird uns sagen, was er von uns haben will.“
„Hast du mehr gesehen als ich?“ rief Hasard Dan zu. „Sind sie schneller als wir?“
An Backbord wuchsen die Gewitterwolken höher und höher. Noch waren sie milchig weiß, aber an den Rändern begannen sie sich bereits schwarz zu färben. Vorübergehend war der gleichmäßige Wind schwächer geworden. Das Land