Der Gesichtsausdruck des Teniente erhellte sich. Er hob die Rechte zum Gruß. Respektvoll nahm er Haltung an.
„Ich bitte höflichst um Verzeihung, Señor de Alcazar. Es war nicht meine Absicht, Sie in irgendeiner Weise zu behindern. Kann ich Ihnen behilflich sein?“
Don Juan winkte lächelnd ab.
„Nicht nötig, Teniente. Vielen Dank.“
„Ich erinnere mich jetzt an Sie!“ rief der Offizier, und sein Tonfall war weniger militärisch. „Es ist mir außerordentlich peinlich, daß ich Sie nicht sofort erkannt habe. Aber, mit Verlaub, Sie haben sich ein wenig verändert, seit ich Sie das letzte Mal gesehen habe.“
Don Juan nickte, und sein Lächeln verlor sich. Zuletzt hatte er in Jaguey in einen Spiegel geschaut, und er war über seinen eigenen Anblick erschrocken gewesen. Sein Gesicht war hager geworden, die Wangen eingefallen und die grauen Augen glanzlos. Die Verwundung und das anschließende Fieber hatten ihn gezeichnet. Zweifellos sah er jetzt, nach den Tagen auf See, keinen Deut besser aus.
„Wir sind uns also schon einmal begegnet?“ sagte Don Juan stirnrunzelnd.
„Jawohl, Señor, und ich bin stolz darauf, mit Ihnen gemeinsam gegen die Horden der Plünderer gekämpft zu haben. Allerdings habe ich nur einen sehr kleinen Beitrag dazu geleistet. Was Sie geleistet haben, war mehr als bravourös. Wenn Sie nicht diesen Galgenstricken von Anfang an die Zähne gezeigt hätten, läge Havanna heute wahrscheinlich in Schutt und Asche.“
Unvermittelt fiel es Don Juan wie Schuppen von den Augen.
„Aber natürlich!“ rief er. „Sie waren es, der mir im Gouverneurspalast das Leben gerettet hat.“
„O nein, Señor. Sie wissen, das war allein das Verdienst von Señor von Manteuffel. Unter seinem Kommando sind wir in den Palast eingedrungen, um dieses Gesindel zu beseitigen. Ohne ihn wäre ich ein solches Risiko niemals eingegangen.“
De Alcazar sah wieder die Szene im Palast des Gouverneurs vor Augen. Mitten im Kampfgetümmel hatte der Kreole Catalina seine Pistole auf ihn angelegt. Und er, Don Juan, war wegen seiner Fesseln völlig hilflos gewesen. Buchstäblich im letzten Sekundenbruchteil hatte der Teniente den entscheidenden Schuß abgefeuert und den Kreolen getötet.
Gleichzeitig keimte aber auch die Erinnerung an Arne von Manteuffel wieder auf. Und eben diese Tatsache führte Don Juan den wichtigsten Grund seiner Rückkehr nach Havanna in jäher Deutlichkeit vor Augen.
„Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel“, sagte er, „ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Teniente. Ich hoffe, wir sehen uns bald an Land.“
„Das hoffe ich auch, Señor de Alcazar. Es wird mir eine Ehre sein.“ Der Offizier salutierte abermals.
Er gab ein knappes Kommando, und der Einmaster drehte ab, um seine Patrouillenfahrt wieder aufzunehmen.
Das Fischerboot glitt auf den Hafen zu. Pedro Murena rüttelte seinen Sohn wach, damit ihm der seltene Anblick nicht entging.
„Hoch mit dir, Luis! Wann wirst du jemals einen so großen Hafen und eine so schöne Stadt wiedersehen! Schlafen kannst du immer noch, wenn wir wieder auf See sind.“
In der Tat bot der Hafen mit seinen vertäuten Schiffen ein imposantes Bild. An den Piers und an den Kaimauern lagen Segler unterschiedlichster Größe – von den schweren dreimastigen Galeonen bis zu den wendigen kleinen Zubringerfahrzeugen, wie sie in allen Häfen der Welt ihren Dienst verrichteten.
Durch das Gewirr von Masten, Rahen und Takelage waren die Giebel der Häuser zu sehen, die durch ihre Bauweise den Eindruck vermittelten, als handele es sich um eine Stadt im heimatlichen Spanien. Alles überragend reckte sich der Gouverneurspalast in den diesigen Morgenhimmel. Der Gedanke an den feisten Don Antonio de Quintanilla veranlaßte Don Juan ungewollt zu einer Grimasse.
Durch eben jenen Gouverneur hatte sein Bild von einem wohlgeordneten und makellosen Machtbereich der spanischen Krone erheblich gelitten. Wenn es mehr Leute vom Schlage eines Don Antonio gab, die sich in der Neuen Welt durch Vetternwirtschaft und sonstige undurchsichtige Geschäfte bereicherten, dann war es an der Zeit, mit einem eisernen Besen auszukehren.
Aber im Vordergrund stand für Don Juan zunächst zwingend die Aufgabe, wegen der er nach Kuba geschickt worden war.
Pedro Murena steuerte sein Boot auf eine der Piers zu, die sich in der Nähe der Werft befanden. Dort hatte das verhängnisvolle Geschehen seinen Lauf genommen, als Don Juan vom Gouverneur gezwungen worden war, gemeinsam mit den Galgenstricken unter dem stiernackigen Zapata die Silbergaleonen von ihrem Muschelpanzer zu befreien.
Er ließ seinen Blick über die Häuser in Hafennähe gleiten. In der Zeit seiner Abwesenheit waren die Bürger von Havanna überaus fleißig gewesen. Die Spuren der Brandschatzung waren fast überall verschwunden. Nur an wenigen Stellen ragten noch verkohlte Balken hervor, die an jene Nacht der langen Messer erinnerten, in der Havanna fast unter die Herrschaft der mordenden und plündernden Horden geraten wäre.
Die Faktorei Arne von Manteuffels war nun ebenfalls schon deutlich zu sehen. Ein schmuckes Gebäude, das von seinem deutschen Eigentümer stets sorgfältig in Schuß gehalten wurde.
So sehr er sich auch mühte, konnte Don Juan doch die Gedanken nicht unterdrücken, die der Anblick des Vertrauten in ihm aufsteigen ließ.
Seine tiefschürfende Nachdenklichkeit beruhte keineswegs nur auf der Tatsache, die für ihn im Vordergrund stehen mußte: Es war ihm bislang nicht gelungen, den Mann in Gewahrsam zu nehmen, den er laut Auftrag der spanischen Krone jagen sollte.
Denn das Erstaunliche war, daß ihn diese unwiderlegbare Tatsache tief in seinem Inneren nicht so sehr beunruhigte, wie es – gemessen an seiner Loyalität zum Königshaus – eigentlich angebracht gewesen wäre.
Dieser Umstand rührte zum einen daher, daß er dem Seewolf sein Leben zu verdanken hatte. Zum anderen hatten ihm Pedro Murena und sein Sohn in geradezu überschwenglicher Begeisterung geschildert, mit welcher todesverachtenden Tapferkeit sich der Engländer in einem letzten Kampf der Piratenschaluppe entgegengestellt und schließlich ganz allein geentert hatte.
Seit jenem Zeitpunkt, als er mit Philip Hasard Killigrew von Lobos Cay geflohen war, hatte sich Don Juans Einstellung wesentlich gewandelt. Die innere Stimme, die sich immer dagegen gesträubt hatte, war leiser geworden. Gewandelt hatte sich das Bild des Jägers, der er selbst sein sollte. Und noch mehr gewandelt hatte sich sein Bild von dem Gejagten.
Dieser Mann war ein Ritter ohne Furcht und Tadel, ein Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle – alles andere als ein beutegieriger und mordlüsterner Schnapphahn.
Nichtsdestoweniger war ihm bei seinem zwangsläufigen engen Kontakt mit dem Engländer dessen frappierende Ähnlichkeit mit Arne von Manteuffel aufgefallen. Diese Ähnlichkeit hatte er zwar bereits unmittelbar nach seiner ursprünglichen Ankunft in Havanna festgestellt. Das Medaillon mit dem Ölbildchen des Seewolfs hatte als wichtige Grundlage seiner Mission gedient, aber es hatte nur Hinweise auf das Äußere des Gesuchten geben können.
In Wirklichkeit waren die Übereinstimmungen zwischen Philip Hasard Killigrew und Arne von Manteuffel noch verblüffender. Das äußerte sich unter anderem in der Haltung, in den Gesten und in der Sprechweise der beiden Männer. Auch in einem weiteren Punkt ähnelten sie sich sehr, nämlich in ihrer Ritterlichkeit und Tapferkeit.
Es spielte keine große Rolle, daß er das Medaillon bei den Piraten hatte zurücklassen müssen.
Das Bild des Seewolfs hatte sich ohnehin unauslöschlich in sein Gedächtnis eingeprägt.
2.
Die Öllampen streuten ihr blakendes Licht in das Kontor. Das trübe Tageslicht, durch die Fenstervorhänge noch gedämpft, reichte nicht aus, um den Raum auch nur annähernd zu erhellen.
Jörgen