Was ist der Preis, den ich zu zahlen habe?
Das sind erschreckende Fakten, die uns erkennen lassen: Wir sind offenbar nicht klüger geworden, als es die Trojaner vor drei Jahrtausenden waren, die alle Warnungen in den Wind schlugen und siegesberauscht das verderbenbringende hölzerne Pferd in ihre Stadt zogen. Auch bei uns fehlte es nicht an ernst zu nehmenden Warnungen, und doch wurde die «schöne neue Welt» der Medien gefeiert und bedenkenlos in den privaten Alltag aufgenommen. Anders als in Troja tötet sie nicht, bedroht aber die seelische Gesundheit von Millionen Menschen und könnte sogar, wie es der Facebook-Manager Chamath Palihapitiya schon andeutete, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zerstören.
Was in der Antike das Trojanische Pferd symbolisierte, nämlich das tragische Verkennen einer tödlichen Gefahr, das wurde Jahrtausende später zum Eingangsmotiv einer Dichtung, die uns Heutigen geradezu auf den Leib geschrieben zu sein scheint. Auch in diesem Werk hängt das Wohl oder Wehe des Menschen von dem rechtzeitigen Erkennen oder Verkennen der feindlichen Macht ab. Die Rede ist von Goethes Faust, dem Menschheitsdrama der Neuzeit schlechthin. Mephisto versucht dort, Faust zu ködern mit dem untertänigsten Angebot, ihm auf der Stelle jede erdenkliche Annehmlichkeit, jedes ersehnte Abenteuer und jedes irdische Glück herbeizuschaffen. Faust aber, obwohl noch ein Bürger des Mittelalters, bekreuzigt sich nicht gegen den Versucher und lehnt einfach ab, sondern stellt die entscheidende Frage, die auch der Mensch des 20. Jahrhunderts unbedingt hätte stellen müssen: Was ist der Preis, den ich dafür zu zahlen habe?
Mephisto vermeidet eine klare Antwort und versucht den Anschein zu erwecken, dass alles kostenlos sei, trifft aber bei Faust auf einen erfahrenen Forscher, der hinter dem sinnlichen Schein der Gestalt, die vor ihm steht, dessen übersinnliche Realität erkennt. Auf sein Drängen muss Mephisto zugeben, dass doch ein Preis zu zahlen ist: Er verlangt Fausts Seele nach dem Tode. Das unvergängliche Selbst des freien Menschen soll also eingetauscht werden gegen flüchtige irdische Genüsse.
Hochbedeutsam ist nun die Tatsache, dass Faust nicht bereit ist, diesen Preis zu zahlen, gleichwohl aber nicht auf Mephistos Dienste verzichten möchte. Entgegen der mittelalterlichen Tradition wählt er daher einen völlig neuen, unerhörten Weg: Er schließt keinen Vertrag mit Mephisto, sondern eine Wette, deren Ausgang bis zum Tode offenbleibt. Und worum wird gewettet? Um die Fähigkeit des Menschen, ständig in Entwicklung zu sein, immer wieder neue Schritte zu höheren Zielen zu gehen, ohne sich auf dem Erreichten auszuruhen. Faust geht also dem Bösen nicht aus dem Wege, sondern lässt sich auf ein lebenslanges Ringen mit ihm ein, bei dem er sein Menschsein nur dadurch retten kann, dass er sich selbst ständig weiterentwickelt.
Darin dürfte der entscheidende Wink liegen für den modernen Menschen, der mit den Gegenmächten zu ringen hat. Denn es geht nicht um Technikfeindlichkeit, sondern um die begründete Sorge, dass uns die Autonomie und die Freiheit des Individuums abhandenkommen. Die entscheidende Frage lautet: Sind wir noch Herr über das von uns selbst geschaffene digitale Reich? Oder ergeht es uns wie Goethes Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nicht zu beherrschen weiß und in die Katastrophe stolpert? Wo soll der «alte Meister», der in Goethes Gedicht in höchster Not die Rettung bringt, heute zu finden sein, falls die Träume vom Achten Schöpfungstag platzen?
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