SONNENBRAND. Peter Mathys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Mathys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658593
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      Peter Mathys

      SONNENBRAND

      Science-Fiction-Erzählungen

      AndroSF 140

      Peter Mathys

      SONNENBRAND

      Science-Fiction-Erzählungen

      AndroSF 140

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      © dieser Ausgabe: Mai 2021

      p.machinery Michael Haitel

      Titelbild: Robert na’Bloss unter Verwendung von Motiven von Doreen Sawitza, J Plenio & Felix Mittermeier, Pixabay

      Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

      Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

      Herstellung: global:epropaganda

      Verlag: p.machinery Michael Haitel

      Norderweg 31, 25887 Winnert

      www.pmachinery.de

      für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

      ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 237 9

      ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 859 3

      Der Schwarm

      Diese Geschichte ist banal und alltäglich. Einstweilen. Der Schwarm ist da – oder auch nicht. Wer weiß das schon. Man sieht ihn nicht, man hört ihn nicht, man fühlt ihn nicht. Wahrscheinlich ist er Ausgeburt einer überhitzten Fantasie. Bei der Arztpraxis Degenhart in Frankfurt häufen sich zwar an diesem Montag die Beschwerden über Kopfschmerzen, aber am Rest der Woche ist der Zulauf normal. Normal ist vor allem am Donnerstag auch eine Zunahme von Hals- und Schluckbeschwerden; viele Patienten lassen sich für den Freitag krankschreiben. So sichern sie sich ein verlängertes Wochenende. Mehrere Ärzte diagnostizieren eine Art von Grippe und verordnen, bei Patienten mit Fieber, Bettruhe.

      Anita Berger in Zürich will keine Bettruhe. Sie geht ans Fenster; der Tag ist februargrau, aber sie hätte lieber Sonne. Viele Radfahrer tragen schwarze Jacken mit Kapuzen; Jogger trotzen verbissen dem kühlen Wind. Das Fieber beschert ihr einen heißen Kopf. Nach einer Viertelstunde fühlt sie sich schwach und muss sich doch hinlegen. Sie kann kaum mehr atmen, sie keucht, versucht zu rufen, aber mehr als ein Krächzen gelingt ihr nicht. Sie verliert das Bewusstsein und stürzt. Erst nach zwei Tagen findet ihre Schwester Theodora sie auf dem Boden liegend, im Eingang zu ihrer Zweizimmerwohnung.

      Jetzt geht alles schnell. Die Ambulanz kommt innert Minuten.

      »Nur ein Wunder kann sie retten«, sagt der Ambulanzfahrer, während sie Anita sorgfältig auf einer Tragbahre ins Fahrzeug heben.

      Im Krankenhaus landet sie sofort auf der Intensivstation. Es folgen Beatmungsgerät, Untersuchung durch einen leitenden Arzt, Blutprobe, ständige Überwachung. Nach fünf Minuten erster Erfolg: Anita wird überleben. Aber die Ärzte haben den Beginn einer Lungenentzündung festgestellt. Theodora sitzt geduldig, erst im Wartsaal, dann neben dem Bett im Zimmer ihrer Schwester. Sie ist gläubig und betet jeden Morgen und jeden Abend für Anita.

      Die Analyse von Anitas Blutprobe ergibt: wahrscheinlich ein Virus, welcher Art ist noch zu klären.

      Zeitgleich wird ein achtundsechzigjähriger Mann, der Taxifahrer José Delgado, ins Universitätsspital Basel eingeliefert. Er hat Herzbeschwerden und leidet unter extremem Bluthochdruck. Auch ihm wird aufgrund der Blutuntersuchung ein Virus attestiert.

      Der Arzt Doktor Wolfgang Degenhart untersucht das Blut eines seiner Patienten. Seine Diagnose ist klar: ein Virus. Er nimmt sich Zeit und studiert die Geschichten anderer, fremder Viren. Spanische Grippe, Schweinegrippe, Vogelgrippe. Die erste hat in drei Schüben Europa erobert, die anderen zwei hatten ihren Ursprung in Asien. Andere Untersuchungen folgen. Sie führen zur chinesischen Provinzhauptstadt Wuhan. Doktor Degenhart meldet seine Feststellungen dem deutschen Gesundheitsamt, unvollständig, wie sie sein mögen. Gleichzeitig geschieht etwas Bezeichnendes. In den Gesundheitsämtern aller europäischen Hauptstädte treffen ebenfalls Meldungen über das fremde Virus ein. Vereinzelt wird wieder Wuhan als Quelle genannt. Niemand kennt das Virus, seine Beschaffenheit ist allen ein Rätsel. Es verbreitet sich rasend schnell; die bekannten Grippemittel wirken nicht. Aber junge Menschen werden nicht oder kaum angesteckt, ältere Patienten jedoch bilden eine Hochrisikogruppe mit geringer Lebenserwartung.

      Der Taxifahrer aus Basel stirbt zwei Wochen nach seiner Einlieferung ins Spital. Er ist der erste Tote der neuen Krankheit.

      Das Virus fühlt sich wohl auf der Erde. Sein Schwarm ist ausgeruht von der Reise und bereit zur Ernährung. Der Vorrat an genießbarem Fleisch ist enorm, er reicht für viele Erdenjahre; erst danach muss der Schwarm weiterziehen. Das Virus weiß nicht, ob es Artgenossen hat oder allein seinen Weg zurücklegen muss. Wenn man es fragte, was es ist, würde es antworten: »Ich bin.« Aber diese Antwort würde nicht akustisch, nicht visuell, nicht haptisch, nicht auf eine andere Art der Transmission übermittelt. Sie bildet sich im Virus, in jedem Virus, als wäre sie ständig dort gewesen. (Gedankenübertragung?) Der ganze Schwarm, alle vierhundertfünfzig Milliarden Viren, besitzt gleichzeitig alle Informationen. Er weiß, dass sich sein Speisefleisch Mensch nennt. Warum das so ist, weiß er nicht. Er ernährt sich nicht direkt durch Nahrungsaufnahme, sondern heftet sich den einzelnen Zellen seines Wirtskörpers durch eine Art Osmose an. Und manchmal bilden sich saftige Pusteln, die sind dann für die Viren Hauptspeise und Dessert zugleich. Der Schwarm hat gelernt, dass der Mensch, seine Zellen, sich verändern können, nachdem sie den Viren gedient haben. Einzelne, vor allem ältere Menschen leben nicht mehr weiter, wenn sich die Viren von ihnen ernährt haben. (Das Wort »älter« hat für die Viren keine Bedeutung. Älter war ein Mensch gewesen, weil er aufgehört hat zu leben.)

      Die Menschen haben ein Programm erfunden, mit dem sie die Angriffe der Viren abzuwehren glauben. Der Schwarm lacht, nur zu seinem eigenen Vergnügen. Das Lachen ist nicht hörbar, es entspricht am ehesten einem elektronischen Flackern.

      »Sie bilden sich ein, uns bezwungen zu haben. Erste Welle nannten sie das. Jetzt haben sie Angst vor einer zweiten Welle. Zu Recht, hrr … hrr.«

      Der Schwarm vibriert positiv. Die Luft des Planeten Erde ist von Viren geradezu geschwängert. »Die Menschen sollten sich mit der veränderten Luft befassen, nicht nur mit den veränderten Wirtszellen. Aber dafür sind sie zu rückständig, hrr … hrr.«

      Eine Arbeitsgruppe wird gebildet. Sie produziert widersprüchliche Meinungen, beschriftet haufenweise Papier, hält eine Medienkonferenz ab. Ihre Aufgabe ist es, ihren Regierungen Vorschläge zur Bekämpfung des Virus zu unterbreiten. Dazu muss vorweg definiert werden, woraus das Virus besteht und was es zu seiner Verbreitung benötigt. Die Bevölkerung zeigt erstaunlich wenig Interesse am Virus. Die täglich publizierten Zahlen von Neuansteckungen und von Todesfällen werden als interessante Statistiken zur Kenntnis genommen, aber nicht mit konkreten Krankheitsfällen in Verbindung gebracht. Aber dieses Desinteresse ändert sich, sobald das Fernsehen in Großaufnahme das langsame Sterben eines alten Mannes zeigt. Die künstliche Beatmung bleibt wirkungslos. Die beiden Kinder des Mannes dürfen zusehen, wie er mit dem Unvermeidlichen kämpft, aber hinter einer dicken Glasscheibe. So erschöpft sich der letzte Gruß in einem schwachen Winken, und die Sehnsucht des Mannes nach einem letzten Kuss oder einem tröstlichen Streicheln bleibt unerfüllt.

      Doktor Oskar Bauer, Chefvirologe des Zürcher Kantonsspitals, leitet die Arbeitsgruppe. Für ihn ist die Pandemie am Abklingen. Doktor Degenhart, nun Vizepräsident, ist dagegen: Er ist überzeugt, dass die Viren aus dem Weltall kommen; die große Welle steht noch bevor.

      Der Schwarm ist nicht untätig. Er will einen Menschen entführen und Zelle für Zelle analysieren. Wie das geschehen soll, weiß er noch nicht. Aber dass es ein großes osmotisches