»Nicht schlecht«, sagt sie. »Fantastische Wangenknochen. Guter Kiefer. Kleidergröße 38, 40, nehme ich an?«
Ich nickte.
»Gut«, sagte sie. »Wie groß bist du? Welche Schuhgröße?«
»Äh … Eins zweiundsiebzig«, stammelte ich. »Größe 39.«
Nicolina nickte.
»Ich hab den ganzen Vormittag in all den angesagten Boutiquen verbracht und Sachen zurücklegen lassen«, sagte sie. »Bloß bei Schuterman nicht, das ist da so verdammt teuer! Wir wollen Perfect Match ja nicht in den Ruin treiben, oder?«
Sie lachte laut los, und zu meiner großen Verwunderung fiel es mir nicht schwer mitzulachen. Nicolina strahlte eine Wärme aus, die es leicht machte, sie zu mögen.
Bella zahlte, und wir verließen das Lokal. In den folgenden Stunden schleppte Nicolina uns von Geschäft zu Geschäft, wo ich alles anprobierte, was Nicolina ausgewählt hatte, und Bella nickte, schüttelte den Kopf und zahlte schließlich das, worauf wir uns einigten. Mit jedem Geschäft wuchs die Zahl der Taschen und Schuhkartons, die sie trug. In den Taschen befanden sich lange Hosen, Stiefeletten, kurze Röcke, ein schwarzes Cocktailkleid, bei dem ich selbst nie auf die Idee gekommen wäre, es überhaupt anzuprobieren, Blazer, Pullover und ein paar hohe Pumps mit Pfennigabsätzen, mit denen meine Beine extrem lang aussahen.
»Bestens«, sagte Nicolina und schaute zu Bella. »Läuft das hier unter 720/BSV?«
Für einen winzigen Augenblick blinzelte Bella besorgt, dann sah sie Nicolina lange an.
»Nein«, sagte sie sehr deutlich. »Sara ist bei uns angestellt und hat heute ihren ersten Tag.«
Nicolina antwortete nicht, hob nur eine Augenbraue und lächelte. Dann zauberte sie das nächste Teil hervor, eine Schlaghose in auffälliger Farbe.
»Schau dir erst mal an, wie sie sitzt«, sagte sie, als ich gerade protestieren wollte. »Dazu dieses Kunstfell. Du wirst im Herbst umwerfend aussehen.«
Also schloss ich den Mund wieder und tat, was sie wollte. Und sie hatte recht: Ich sah umwerfend aus.
Wie um alles in der Welt war ich hier gelandet?
Um sieben Uhr, pünktlich zum Ladenschluss, waren wir fertig. Bella umarmte Nicolina und schaute dann mich mit den vielen Tüten und Taschen an.
»Damit lass ich dich garantiert nicht in die U-Bahn«, sagte sie. »Wir haben ein Firmenkonto bei Taxi Stockholm. Komm, wir suchen dir eins. Wo wohnst du?«
»In Vällingby«, antwortete ich, »aber ich nehme auch die U-Bahn, das ist kein Problem.«
Bella runzelte die Stirn.
»In Vällingby?«, fragte sie. »Warum wohnst du bitte in Vällingby?«
»Weil ich mir von dem Geld, das ich im Café verdient hab, nur dort ein Zimmer leisten konnte.«
Sie lachte.
»Und wie ist das so? Zur Untermiete irgendwo zu wohnen? Klingt spannend.«
Die Bilder lösten sich in meinem Kopf ab: Rattengift, nächtliches Heulen, Feuer.
»Mittelspannend«, sagte ich gezwungen fröhlich. »Je weniger ich davon erzähle, desto besser.«
Bella winkte einen Wagen von Taxi Stockholm heran, nannte dem Fahrer eine Nummer und wandte sich dann an mich.
»Wir sehen uns morgen um acht«, sagte sie. »In einem deiner neuen Outfits.«
»Ich weiß gar nicht, welches ich zuerst anziehen soll«, schwärmte ich. »Danke für alles!«
»Keine Ursache«, sagte Bella. »Wir erwarten Großes von dir. Kleiner Scherz, steig schon ein.«
Das Taxi fuhr los, und durch die Heckscheibe sah ich Bella unterm Pilz stehen. Neben mir auf dem Rücksitz türmten sich all die Taschen und Tüten, und mich erfüllte ein überwältigendes Glücksgefühl nach diesem Shoppingtag – mich, die ich fast nie neue Klamotten kaufte. Was mich aber am glücklichsten machte, war, dass Bella mich wirklich zu mögen schien. Bei ihr hatte ich dasselbe Gefühl wie damals, als ich Nadia kennenlernte: dass wir uns ähnlich waren, aus dem gleichen Holz geschnitzt.
Nach all den Jahren der Einsamkeit in der Unterstufe, der Ausgrenzung in der Mittelstufe und den ganzen Kompromissen, die die Zeit in der Oberstufe mit sich gebracht hatte, war es so unfassbar fantastisch gewesen, endlich – endlich – jemanden mit den gleichen Werten, dem gleichen Humor und den gleichen Gedanken kennenzulernen, die ich selbst hatte. Und dann waren wir getrennte Wege gegangen. Nadia war nach Kopenhagen gezogen, und ich … tja, ich war im Tunnel gelandet.
Was, wenn das bedeutete, dass ich nach so langer Zeit wieder eine richtige Freundin fand?
Eine, die genau dort stand, wo auch ich war.
Den Tunnel würde ich schon vergessen, wenn ich mir Mühe gab.
Später am selben Abend schickte ich meiner Mutter eine SMS: »Neuer Job, hab heute bei einer PR-Agentur angefangen. 3 x so viel Geld.«
Ganz wie vermutet, dauerte es nicht lang, bis sie anrief.
»Hallo, mein Schatz! Was war denn los? Haben sie dich rausgeworfen?«
Ich erzählte ihr geduldig, was passiert war.
»Freust du dich denn nicht?«, fragte ich. »Das ist ein Traumjob. Ganz Stockholm leckt sich die Finger nach so einer Chance.«
Mama blieb einen Moment still.
»Doch, natürlich freue ich mich«, sagte sie schließlich. »Mehr Geld und eine größere Herausforderung als im Café, das klingt gut. Ich verstehe nur nicht, warum sie ausgerechnet dich wollten.«
Irgendwas ist faul, irgendwas ist faul, irgendwas ist faul.
»Na, schönen Dank.«
»Jetzt versteh mich nicht falsch. Aber findest du das nicht selbst ein bisschen seltsam?«
Sofort traten mir die Tränen in die Augen, und ich brachte kein Wort mehr heraus. Meine Selbstzweifel kamen hoch, und Mama begriff das sofort.
»Entschuldige, mein Schatz!«, sagte sie. »Ich bin total stolz! Das ist wirklich irre. Du verdienst ein bisschen Erfolg, nach allem, was du durchgemacht hast.«
»Ich weiß«, presste ich hervor. »Deshalb reicht meine Kraft auch gerade nicht für irgendwelche Proteste oder Diskussionen, sondern nur dafür, morgens früh genug aufzustehen und zur Arbeit zu gehen.«
»Kannst du am Wochenende nach Hause kommen?«, fragte Mama. »Dann kann ich dich ein bisschen verwöhnen. Dein Lieblingsessen kochen, dich vor dem Fernseher zudecken. Lange mit selbst gebackenem Brot frühstücken.«
Mama. Ihre lieben, blauen Augen, so intelligent und voller Vertrauen. Unsere Gespräche am Küchentisch, ihre Nachdenklichkeit, ihre klugen Ratschläge. Der Duft von warmem Roggenbrot, auf dem die Butter sofort schmolz. Der beste Kaffee der Welt: Zoégas gröna Skånerost, Mamas Kaffee.
»Mach ich«, sagte ich.
Am nächsten Tag saß ich an einer Skizze für den Lebensmittelriesen, als ich hörte, wie Bella, die draußen auf dem Sofa im Flur arbeitete, plötzlich fluchte wie ein Bauarbeiter.
»Fuck, fuck, fuck. Verdammte Scheiße noch mal!«
Ein heftiger Knall ertönte. Ich sprang auf und rannte hinaus, und dort auf dem Sofa saß Bella, die Hände vors Gesicht geschlagen. Auf dem