Für das Verständnis der Entwicklung an der Westgrenze Polens, und dabei zunächst in Schlesien, ist die Erinnerung an die Zeit der Teilfürstentümer hilfreich. Zwar wird man auch der Senioratsverfassung, wie sie sich nach dem Tod von Bolesław Krzywousty nach 1138 einspielte, ein Funktionieren nachsagen können. Doch trug der Tod des letzten Krakauer Seniors 1202 dazu bei, dass seit diesem Zeitpunkt keine polnische Zentralgewalt mehr bestand und die Teilherzogtümer mehr oder weniger souveräne Gebilde waren. Die Herzöge in ihren Herrschaftsbereichen verfügten über die Regalien; sie waren souverän und in diesem Sinne königsgleich. Diese Situation eines Partikularismus wurde lediglich dadurch abgeschwächt, dass es ein piastisches Verwandtschaftsband gab, und dass das Gedächtnis an ein ehemals gemeinsames Staatswesen noch nicht untergegangen war. Doch rückte diese Reminiszenz in dem Moment in den Hintergrund, als mit Böhmen gegen Ende des 13. Jahrhunderts eine starke Macht auf den Plan trat, die zentrifugale Tendenzen in dem zersplitterten polnischen Herrschaftsverbund verstärkte.
Den Auftakt gab der böhmische König Přemysl Otakar II. (reg. 1253–1278), der eine verwandtschaftliche Verbindung mit den Herzögen von Breslau einging. In den 1280er-Jahren wurden einzelne schlesische Herzogtümer in eine Lehnsabhängigkeit von Böhmen gebracht – wobei die Hochphase des Übergangs der schlesischen Herzogtümer an die Krone Böhmen in Luxemburgischer Zeit liegen sollte. Es war das Ergebnis der Ostpolitik vor allem Johanns von Böhmen (reg. 1310/11–1346), Sohn Kaiser Heinrichs VII., der in den Jahren 1327–29 die Mehrheit der schlesischen Herzogtümer an seinen Staat band. Nur wenig später folgten die Herzogtümer Glogau und Münsterberg sowie das Bistumsland der Bischöfe von Breslau. Die hegemoniale Außenpolitik der Luxemburger, von Karl IV. fortgeführt, entfaltete sich zwischen den Protagonisten Ungarn, dem Ordensland Preußen und einem sich langsam wieder zusammenschließenden Polen. Am Ende zeigte sich, festgeschrieben in den Verträgen von Trenčín und Visegrád 1335 sowie Krakau 1339, dass der 1320 gekrönte Piastenkönig Władysław łokietek sein neu errichtetes Reich ohne die schlesischen Herzogtümer bauen musste. Karl IV. zog als Nachfolger Johanns von Luxemburg insofern den Schlussstrich, als er nicht nur das letzte verbliebene schlesische Herzogtum, Schweidnitz-Jauer, 1368 in den böhmischen Staat inkorporierte. Er regelte auch den rechtlichen Status der schlesischen Übernahmen für die weitere Zukunft, indem er 1348 die Reichsmittelbarkeit Schlesiens herstellte. Damit war verfügt, dass das Lehnsverhältnis der schlesischen Herrschaftsbereiche nicht gegenüber dem Römischen Reich bestand, sondern gegenüber der Krone Böhmen. Dieser Zustand hielt sich, bis 1742 aufgrund der von König Friedrich II. vom Zaun gebrochenen Schlesischen Kriege ein Großteil des Landes preußisch wurde; für den Rest, das sogenannte Österreichisch-Schlesien, galt das Verhältnis bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs 1806 (bzw. 1866, als der Deutsche Bund endete).
Die in der Forschung gelegentlich geäußerte Ansicht, dass seit den Ereignissen von 1327–39 »Schlesien in Deutschland« zu liegen gekommen sei, scheint am Kern vorbeizugehen. Wenn, dann wird man gerade angesichts einer besonders intensiven Immigration und kulturellen Assimilation davon sprechen können, dass seither »Deutschland (auch) in Schlesien« lag. Die charakteristische Rolle Schlesiens bestand auch seit der Zeit der Luxemburger darin, an verschiedenen Kulturräumen zu partizipieren. Die Anbindung an den deutschen Raum war schon allein sprachlich nicht zu übersehen, jedenfalls was die niederschlesischen Teile anging. Aber Böhmen war nicht Deutschland, und die Tatsache, dass es Bischöfe aus Böhmen auf dem Breslauer Stuhl gegeben hat (allen voran Przeclaus von Pogarell, reg. 1341–76), heißt nicht, dass damit automatisch eine eindeutige Wendung nach Westen vorgegeben war. Gerade das Bistum Breslau zeigt mit seinem Verbleiben in der Kirchenprovinz Gnesen bis 1821, dass die Bande zwischen Schlesien und Polen nicht abrissen. Zu dieser Mehrfachbindung der schlesischen Länder gehört auch das scheinbare Paradoxon, dass sich einzelne schlesische Herzöge bis ins 15. Jahrhundert immer wieder vom polnischen König in Dienst nehmen ließen; so etwa, wenn es gegen den Deutschen Orden ging. Ein latentes Zugehörigkeitsgefühl zum polnischen Herrschaftsverbund mag eine Rolle gespielt haben, vielleicht auch eine Machtpolitik, die eher regional blieb.
Die auch gegenüber Böhmen gewahrte Distanz und ein spezifisch regionales Bewusstsein verstärkten sich vehement in der Zeit der Hussitenkriege und während der Expansionspolitik des ungarischen Königs Matthias Corvinus (reg. 1458–1490). Die Hussitenzeit wurde in Schlesien als eine Zeit von kriegerischen Einfällen und Beutezügen erlebt, gegen die sich schließlich, unter der Führung des Breslauer Bischofs, eine relative Einigung der schlesischen Herren herstellen ließ (Strehlener Einung 1427). Der gegen den hussitischen König von Böhmen seit 1469 konkurrierende Matthias Corvinus wiederum förderte ein schlesisches Eigen- und Einheitsbewusstsein insofern, als er die schlesische Staatlichkeit als Gegengewicht zu Böhmen zu festigen suchte. Seit dieser Zeit lässt sich zu Recht von einem übergreifenden Schlesien-Verständnis sprechen, das in erzählenden Werken Ausdruck findet: Der Breslauer Chronist aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, Peter Eschenloer, bezeichnet Schlesien als »Vaterland« (patria); und der am Beginn des 16. Jahrhunderts als Theologe in Neisse tätige Humanist Pankraz Vulturinus hielt fest, dass sein schlesisches Vaterland keineswegs mit Deutschland identisch sei. Als weiterer Faktor, der die kulturelle und politische Mehrfachbindung Schlesiens sowie seine Eigenständigkeit auch innerhalb der Krone Böhmen demonstriert, ist die ethnische Gemengelage Oberschlesiens zu nennen. Mit dem Herzogtum Oppeln, das seit dem Spätmittelalter als Silesia superior (Oberschlesien) firmiert, ist ein deutsch-slawisches Mischgebiet gegeben, das den Sprachwandel nicht zugunsten des Deutschen, sondern des Slawischen durchgemacht hat. Obgleich auch hier die Einflüsse eines kulturellen Wandels durch den Import aus den deutschen Ländern unübersehbar sind, wird man eher von Slavia germanica, als von Germania slavica sprechen wollen. Die Brücke zur polnischen Kultur war hier besonders breit, und die Konsequenzen aus dieser nie durchbrochenen Anbindung lassen sich bis zu den Aufständen in der Zeit der Abstimmung nach dem Ersten Weltkrieg 1919–21 und am Phänomen der sogenannten Autochthonen in Polen nach 1945 beobachten.
Pommern bildet, neben Schlesien, einen weiteren bedeutenden Bestandteil der polnischen Westgrenze. Dabei ist hier die Nomenklatur bedeutsam, denn das Herzogtum der Greifen bzw. der »Stettiner« Herzöge, das mit der späteren preußischen Provinz Pommern identisch ist, wird in der polnischen Forschung als »Westpommern« (Pomorze Zachodnie) bezeichnet. Damit grenzt man es ab gegen ein östliches Pommern, das in der deutschen Geschichtsforschung wiederum als »Pommerellen« begegnet. Der »Pommern« genannte Teilraum eines größeren pomoranischen Siedlungsgebiets dehnte sich im 12. Jahrhundert über die Oder in Richtung Westen aus und bildete am Ende eines längeren Prozesses der Territorialisierung einen Staat an der Ostseeküste zu beiden Seiten der Odermündung. Bedeutsam ist auch im Fall Pommerns, ähnlich wie in Schlesien, die ethnische Verschiebung, die sich durch die deutsche Einwanderung ergeben hat. Aus einem westslawischen Herrschaftsgebilde, das Teile des pomoranischen und des liutizischen Stammesverbandes in sich vereinigte, wurde durch die Immigration und Integration von Deutschen der niederdeutsche »Neusiedelstamm« der Pommern. Verantwortlich für diese Entwicklung war die Politik der Pommernherzöge, die, ähnlich den schlesischen Herzögen, den Landesausbau förderten. Während Pommerellen dominant unter dem Einfluss der polnischen Politik stand, befand sich Pommern innerhalb des Mächtedreiecks Römisch-deutsches Reich (über seine Territorien Sachsen und Brandenburg), Polen und Dänemark. Dadurch ergab sich eine Situation, bei der wechselnde Machtverhältnisse auch wechselnde Zugehörigkeiten Pommerns nach sich zogen: War Pommern zunächst (1121) vom polnischen Herzog abhängig, erkannte dieser 1135 auf einem Hoftag gegenüber Kaiser Lothar von Supplinburg die kaiserliche Lehnshoheit über Pommern an. Auch wenn Pommern möglicherweise nicht als Ganzes in diese staatsrechtliche Stellung gelangte, sondern Teile noch unter der Herrschaft polnischer Herzöge verblieben, wurde dieser Kurs einer reichsrechtlichen Lehnsherrschaft aufrechterhalten. Von Friedrich Barbarossa (reg. 1155–90) nimmt man an, dass er den Pommernherrscher nicht in den engeren Reichsverband aufgenommen habe, sondern Pommern als eigenständige Slawenherrschaft mit dem Imperium verbunden habe. Daraus ergaben sich so auch machtpolitische Spielräume, und man wird die Stellung Pommerns im weiteren Mittelalter streckenweise mit derjenigen