Sie wies auf den hohen, schlanken Hund, der sie gelassen ansah.
"Soll ich mir den Charmant wegnehmen lassen? Ebenso wenig darf das Volk verlangen, dass ich meinen Hausjuden abschaffe."
Er sollte sie noch manches kosten. Rustschuk hatte eine Maitresse vom Theater, und diese hegte den Wunsch, ihren rechtmäßigen Gatten, einen beliebten Schauspieler, im Irrenhaus zu sehen. Der Finanzmann wusste dies den Ärzten einleuchtend zu machen. Unglücklicherweise sickerte es einige Zeit später ans Licht, dass der internierte Mime vollständig gesund war. Beate Schnaken, vom Schicksal des Kollegen gerührt, enthüllte ihrem königlichen Freunde alle dunklen Machenschaften. Die Befreiung des Opfers und sein erstes Auftreten auf der Hofbühne ward ein Triumph für sie und für das regierende Haus, eine Niederlage für die Herzogin. Ein antisemitisches Stück wurde aufgeführt, in dem der Zurückgekehrte die Rolle des zwangsweisen Geisteskranken spielte. Der Intrigant trug die Maske des Rustschuk, und es fielen böse Andeutungen über eine hohe Dame, die hinter dem allen stecke. Das Volk jubelte fünfzig Abende hintereinander auf vollen Bänken; es war ein umfangreicher Skandal. Beate, die edle Retterin, wurde stürmisch begrüßt bei jeder Ausfahrt. Die Herzogin begegnete überall kalten Blicken, und Rustschuk, der sich nirgends sehen lassen durfte, stellte betrübte Berechnungen darüber an, welche Unsummen nötig sein würden, um diese Kälte zu besiegen.
Pavic arbeitete wie ein Besessener; doch die Polizei hatte Mut gefasst, sie schloss ihm den Mund. Er hörte wieder wie ehemals in der Ferne ein Kerkertor knarren. Auch die Soldateska zeigte gewalttätigere Neigungen. Im Winter kam es in der Nähe von Spalato zu einer förmlichen Schlacht. Die Rache der Pächter hatte dort Hungersnot bewirkt. Das wütende Volk ging mit Sensen und Bratspießen dem Militär zu Leibe. Dieses verlor einige fünfzig Mann, aber es tötete oder verwundete die doppelte Anzahl Bauern.
An einem Sonntag kam die Kunde nach Zara. Der Himmel hing düster herunter. Es fuhren fast keine Wagen in den Straßen. Eine schwarz gekleidete Menge schob sich zwischen den Häusern fort und flüsterte nur; man vernahm das Rauschen der Brunnen. Der Scirocco schlich faul, schwül, mutlähmend über den Köpfen hin.
Unversehens, wie nach schweigender Übereinkunft, gelangten alle auf die Piazza della Colonna und blieben dort versammelt, still, traurig und widerspenstig. Plötzlich stand Pavic auf einem umgestürzten Handwagen, mit dem Rücken an der zweitausenjährigen Säule, und begann zu sprechen. Zum ersten Male seit vielen Wochen begleitete wieder das Murmeln erregbarer Gemüter seine Worte. Er fühlte wieder die Herzen der Seinigen ihn warm umzittern und war glücklich. Da kam im Laufschritt durch die engen Gassen eine Infanteriekolonne daher. Am Eingang des Platzes machte sie Halt, pflanzte die Bajonette auf und rückte langsam vor. Das Volk wich zurück, quoll zur Seite auseinander und zerstreute sich in die Straßen. Nur um die Säule herum staute sich ein Haufe, vom Militär eingeschlossen, durch die Rednertribüne behindert. Die hereindringenden Stoßeisen warfen alles um. Eines richtete sich drohend gegen die Brust eines ratlosen Alten. Es war der Vater eines dort unten erschlagenen Kriegers, er sah noch nichts vor den Thronen, die Pavic' Rede ihm in die Augen getrieben hatte. Er schien verloren. Pavic beschwor, die Hände ringend, laut seine Angreifer. Aber er verstand, was die blass zu ihm erhobenen Gesichter von ihm verlangten. "Rette den Alten!" stand auf allen. Er fuhr zurück: sein Blick hatte den der Herzogin getroffen. Sie lehnte in ihrem Fensterrahmen und sah ihn starr an. Sie öffnete den Mund und schrie Worte, die in einem Angstruf des Volkes untergingen. Pavic kannte dennoch jedes von ihnen: "Spring' hinab! Decke den Alten!" so befahl sie. Der Alte lag schon am Boden, mit etwas Blut auf dem zerrissenen Hemd. Pavic, leichenfahl, griff sich ans Herz. Dann drang eine jähe Purpurröte durch seine zarte Haut. Hastig kletterte er von seinem Piedestal, erfasste den Knaben, der hinter ihm an der Säule kauerte, und verschwand im Portal des Palais Assy.
Rustschuk ward, inmitten einer Rotte Zuschauer, von zwei grinsenden Unteroffizieren festgehalten. Sein Bauch schlotterte; er wies mit peinvoll zappelnden Gliedern, den hohen Hut im Nacken, auf den vorübereilenden Tribunen, plappernd in übermäßiger Angst:
"Der dort hat alles alleine getan, glauben Sie mir doch, meine Herren! Ich bin ein schlichter Kaufmann … Überhaupt habe ich mit der Dame gar nichts zu tun!"
Pavic stieg langsam, gesenkten Hauptes die Treppe hinauf. Ihm war es zu Mute, als stellte er sich, nach einer Schandtat, dem Gericht. Der Alte hatte geblutet! Pavic erschauerte tief, sobald er es sich vorstellte. Er gedachte der Herren Paliojoulai und Tintinowitsch, jener durchgeprügelten Eindringlinge. oh, er hatte es nicht, wie die Herzogin meinte, eigenhändig getan. Er hatte es niemals übers Herz gebracht ihr zu gestehen, dass sein Diener es gewesen war, ein riesiger Morlak, der die feinen Hofleute windelweich schlug. "Ja, als sie gingen," so dachte Pavic, verloren in einem Bilde des Entsetzens, "da troff es rot von ihren Stirnen!"
"Und ich bin doch ein starker Mann!" murmelte er vor der Tür des Boudoirs. Sie kam ihm rasch entgegen. Er sagte unsicher:
"Hoheit, es ist nur ein Opfer zu beklagen."
"Nein zwei: der Bauer und Sie!"
Er zuckte zusammen und schlug die Augen nieder. Sie stand so bleich, in so schwarzen Haaren und so starr wie an dem Tage, da er sie vergewaltigt hatte als ein empörter Sklave. Heute war sein Gewissen noch schlechter.
"Dass ein Bauer gespießt wird," versetzte sie; "ist ein belangloser Zufall. Aber meine Sache verlangte, dass Sie ihn retteten."
"Hoheit, ich bin auch Vater."
"Oder, wenn Ihnen das näher liegt: Sie lassen sich von der Liebe des Volkes mit Romantik umgeben, aber für einen Bauern, der gespießt wird, rühren Sie leine Hand."
Er fasste den Knaben, der an seinen Rockschößen hing, und schob ihn ihr unter die Augen.
"Hoheit, ich bin auch Vater."
"Ach ja, immer das Kind! Sie langweilen mich unsäglich mit dem Kind. Können Sie ihm keine Bonne halten?"
"Ich liebe es sehr…"
Er fügte nachdenklich, fast verwundert, wie eine Erkenntnis die ihm im selben Augenblick aufging, die Worte hinzu:
"Gerade das gefällt dem Volk…"
"Dann wählen Sie zwischen mir und dem Volk!"
"Hoheit! Ich sollte also mein Kind zur Waise machen und … und … mich opfern?"
"Ist das nicht selbstverständlich?"
Sie wandte ihm den Rücken. Er rang nach Luft. Kannte sie denn gar kein Erbarmen? Er begann Beteuerungen zu stammeln.
"Mich opfern … Ja, gewiss, ich opfere mich. Aber muss ich mich von betrunkenen Soldaten zerfleischen lassen? Gibt es kein würdigeres Opfer? Hoheit, ich bringe täglich Opfer des Geistes und des Herzens. Mich und mein Wort hetzen die Gewalten wund. Ich werde noch mit blutenden Augen der Qual meines Volkes zusehen müssen — durch die Gitterfenster des Kerkers. Hoheit, ich saß schon einmal im Kerker…"
Er wartete vergeblich auf Antwort.
"Wer opfert sich denn gleich mir? Ah! Rustschuk! Frau Herzogin, hören Sie, Rustschuk — wissen Sie, wie ich ihn eben noch getroffen habe? Drunten, zwischen zwei Unteroffizieren, — und er verleugnete Sie! Er schob, toll vor Feigheit, alles auf mich, und Sie, Frau Herzogin, verleugnete er laut!"
Sie zuckte die Achseln.
"Rustschuk! Er versteht etwas von Geldsachen. Weiter verlange ich nichts von ihm."
"Keine Ehre? Man möchte die Leute mit denen man umgeht, achten können."
"Ich habe das nicht nötig … Rustschuk ist wegen des Geldes da. Sie, Herr Doktor, sprechen von Freiheit. Er darf als Wucherer leben, Sie mussten als Freier —"
"Sterben," so sprach er in Gedanken zu Ende. Er wagte ihr nicht nachzusehen, wie sie hinausging. Er hatte sich dem Gericht gestellt und war verurteilt.
Draußen fing eine ohnmächtige Sucht nach Wiedervergeltung in ihm zu brüten an. "Schließlich habe ich