3: Sounds der Vorstadt
Für Dad war es in Ordnung, am Stadtrand zu leben. Mehr als in Ordnung. Er sprang jeden Morgen um acht in seinen Ford, fuhr zu seiner Arbeit in der Exportabteilung von Wilmot-Breeden, einer Zulieferfirma für die Autoindustrie, und war gegen sechs wieder zu Hause. Er ging sogar auf Dienstreisen ins Ausland, hauptsächlich nach Schweden, wo er für die Firma Geschäfte mit Volvo und Saab abwickelte. Diese Trips erschienen mir sehr romantisch und glamourös. Wenn er zurückkam, roch er nach Zigarren, Flughafen-Lounge und teurem Alkohol. Und er hatte Geschenke mitgebracht, Parfüm für meine Mum und Spielzeug für mich. In den 1960ern liebte Dad seine Arbeit, er liebte sein Leben. Er verwirklichte seinen Traum.
Mum, die nicht Auto fuhr, war in Hollywood isoliert. Sie saß draußen in der Vorstadt fest, weit weg von ihrer Familie und ihren Freunden, und sie hatte an dem Tag aufgehört zu arbeiten, als sie erfuhr, dass sie schwanger war. Sie war alleine mit mir, dem einzigen Kind.
Es gab nur wenige Geschäfte in der Nähe, und Freundschaften schloss sie nur langsam. Aber Mum war eine Kirchgängerin, war es immer gewesen, und hier fand sie ihre sozialen Kontakte. Daher musste die tägliche Reise nach St. Jude unternommen werden, egal wie weit es war und wie das Wetter war.
Natürlich ging ich mit ihr zur Kirche.
Ich erinnere mich noch an die Musik. In St. Jude eignete ich mir das katholische Gesangbuch an. „All Things Bright And Beautiful“, „The Lord Is My Shepherd“, „Faith Of Our Fathers“ waren mein tägliches Brot. Aber die Mega-Hits sparten sie für Weihnachten auf: „We Three Kings“, zum Beispiel – bei dem konnte sogar ich mich nicht enthalten mitzusingen; es war eine richtige Hymne, sehr männlich, stolz und kraftvoll – oder „O Come, All Ye Faithful“, das lateinisch als „Adeste Fideles“ gesungen wurde, wenn der Priester sich sicher genug fühlte.
Einige dieser Hymnen, etwa „Away In A Manger“, sind einfach phantastisch. Sie wurden geschrieben, um Menschen zwischen fünf und fünfundneunzig mitzureißen. Manche Arrangements sind von Titanen wie J. S. Bach übernommen, und so kam ich, ohne es zu wissen, in Kontakt mit einigen der besten Musikstücke, die jemals geschrieben wurden. Die Orgel schwebte durch die Dur-Moll-Modulationen, und meine Nackenhaare richteten sich auf.
Die europäische Pop-Musik basiert zu einem großen Teil auf christlicher Kirchenmusik, so wie amerikanischer Pop viel dem Gospel verdankt, der mehr nach dem Ruf-und-Antwort-Prinzip funktioniert. Simon Le Bon hat mich mal auf diesen Gedanken aufmerksam gemacht. Die Kirchenmusik meiner Kindheit ist mir immer gegenwärtig geblieben, und sie beeinflusst all meine Songwriting-Aktivitäten.
Mums andere Rettung aus ihrem Vorstadt-Exil kam in Gestalt der Technik und ihres Transistor-Radios. Es lief immer und spielte das BBC-Light-Programm. In meiner Erinnerung begann jeder neue Tag mit dem Klang dieses Radios. Ich hörte das Radio, bevor ich meine Eltern sah oder hörte.
Mum liebte Unterhaltungsmusik. Als Teenager vergötterte sie Bandleader wie Harry James und Artie Shaw, sie war ein richtiger Fan. Kürzlich fand ich ein schwarzes Büchlein, in dem sie in ihrer stets eleganten Handschrift ungefähr sechzig Hits der Zeit mit Titeln wie „My Foolish Heart“, „Come With Me My Honey“ oder „Boy Of My Dreams“ aufgeschrieben hatte. Diese ganze Leidenschaft erreichte einen Höhepunkt für sie (und für so ziemlich alle anderen im Lande), als 1962 die Beatles auftauchten. Ich war damals zwei. Sie waren zugleich romantisch, frech und abenteuerlustig. Und sie kamen aus Liverpool.
All die jungen, in die Pilzköpfe verliebten Mütter sangen uns, die wir gerade laufen lernten oder noch in unseren Kinderbettchen lagen, ihre Songs vor: „Love me do“, „All my loving“ oder „She loves you, yeah, yeah, yeah …“.
Ödipus ließ grüßen.
4: Katholische Mahn-Klausel
Als ich vier Jahre alt wurde, trat die Schule an die Stelle der Kirche. Ich ging gerne hin. Hätte ich gewusst, was mich dort erwartete, hätten sie mich hinschleifen müssen.
Wenn ich heute – leicht augenzwinkernd – zurückblicke, waren die Vorschuljahre idyllisch. Zum ersten Mal erfuhr ich die exklusive Aufmerksamkeit einer Frau.
Mum und Dad meldeten mich an der katholischen Grundschule Our Lady of the Wayside an. Obwohl Dad nicht gläubig war, stand er voll dahinter. Man bekam dort vermeintlich eine bessere Erziehung als in der staatlichen Schule vor Ort.
Am ersten Morgen zog Mum mir die Schuluniform an – gelb-graue Krawatte, graue Flanell-Shorts und einen winzigen Blazer –, gab mir etwas zu essen und brachte mich den Hügel hinauf, wo ein halbes Dutzend weiterer Opfer schon auf den Bus wartete.
Ich nahm das alles ganz entspannt. Ich war zuversichtlich, aufgeregt und erwartungsfroh. Meine Eltern hatten mich gut auf diesen Tag vorbereitet. Ich muss eine gewisse Ruhe ausgestrahlt haben, denn der Junge, der in der Klasse den meisten Ärger machte und herumschrie und kreischte, wurde neben mich gesetzt.
Das Beste am Klassenzimmer waren die Sandkiste und der Teewagen, auf dem um Punkt elf Marmeladenkekse bereitlagen. Meine deutlichste Erinnerung an das erste Grundschuljahr ist, wie ich eines Montags ankam und meine neue Brille mit dem breitrandigen Kassengestell trug. Da war ich fünf. Die Lehrerin schlug vor, ich solle mich auf den Tisch stellen, damit sich alle den neuen Nigel gut anschauen konnten. Es war wie: „Hey, nennt mich einfach Vier-Auge, Jungs.“ Ich bin sicher, Mrs. Gilmore hatte keine Demütigung beabsichtigt, aber für einen Fünfjährigen war es das.
Marmeladenkekse waren nicht die einzige Religion in Our Lady of the Wayside. Die katholische Lehre stand auf dem Lehrplan ganz oben; RL – Religionslehre – machte es sich neben Mathe, Geschichte und Geografie bequem. Zwei mal zwei ist vier, die Schlacht von Hastings war 1066, Paris ist die Hauptstadt von Frankreich, und Jesus verwandelte auf der Hochzeit zu Kana Wasser in Wein.
Trotz all der Stunden, die ich in der Kirche verbracht hatte, trotz aller Zeremonien und Lesungen, Musik und Weihrauch, ich kapierte es nicht. Intellektuell ergab es für mich nie einen Sinn.
Ich saß da wie einer aus der Menge bei der Speisung der Fünftausend, kratzte mich am Kopf und grübelte, wie in aller Welt Jesus es schaffte, das ganze Essen aus fünf Brotlaiben und zwei kleinen Fischen zu machen. Wie? Warum? Weil er Jesus war? Weil er der Mann war? Hatte ich irgendwas nicht mitgekriegt?
Aber man lernt schon früh, dass Fragen nach dem Wie oder Warum in der katholischen Kirche nicht geschätzt werden. Die intellektuelle Schärfe der Juden ist nicht unsere Sache. Auch die spirituelle Neugier der Buddhisten nicht.
Ignoranz ist für uns eine Frage der Ehre.
Das ist es, was ich die „katholische Mahn-Klausel“ nenne. Es ist ein kleiner theologischer Geniestreich, der so geht: Wenn du Fragen hast, dann hast du keinen Glauben, und wenn du keinen Glauben hast, dann hast du die Arschkarte, denn Blitze werden sich nachts durch dein Schlafzimmerfenster brennen und DICH VOM ANGESICHT DER ERDE HINWEGFEGEN!
Diese Welt kann ein beängstigender und verwirrender Ort sein, wenn man aufwächst.
5: Eine Hollywood-Erziehung
Dad schmuggelte zu Hause ein paar verschlüsselte Botschaften ein, die eine Welt außerhalb von St. Jude und Our Lady of the Wayside erahnen ließen.
Weihnachten 1966, als ich sechseinhalb Jahre alt war, brachte er den Wilmot-Breeden-Kalender von der Arbeit mit. Dieser Kalender sollte nicht in der Küche oder in einem der anderen „öffentlichen Räume“ der Simon Road 34 hängen. Vielmehr setzte Dad eine Schere an den dicken, glänzenden Blättern an und schuf zwölf Bilder aus aller Welt: der Rote Platz, die Hafenbrücke von Sydney, ein altes, an einem unfassbar blauen Meer gelegenes