„Nachts kann ich nix sehen“, fluchte er und raste in die Dunkelheit. Ich folgte ihm so dicht wie möglich.
Die Biker waren natürlich generell verdammt flott unterwegs: 65 Meilen die Stunde in Ortschaften und 100 Meilen die Stunde auf den Highways waren die Regel, wobei sie auch bei einem hohen Tempo nicht immer klar bei Verstand waren. Doch das hier erinnerte an einen wahren Höllenritt, glich einem meilenweiten Flug auf einer dunklen und verlassenen Wüstenstraße.
Schon nach einigen Minuten zog Rhino die Maschine an den Straßenrand. „Ich bin verflucht müde, Mann“, sagte er und überreichte mir die Schlüssel.
Eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt für die Wahrheit gekommen. Verdreckte Zweiräder hatte ich bislang nur als Kind gefahren, und auf das Bike von der Regierung wartete ich immer noch. Trotzdem setzte ich mich auf den warmen Ledersitz, lächelte Rhino gequält an und beobachtete, wie er in mein Auto stieg. Als ich die schwere Maschine zurück auf die stockfinstere Straße manövrierte und dabei die Abgase und verbranntes Motoröl einatmete, betete ich, dass keine anderen Biker sich zu einem morgendlichen Ausflug aufgemacht hatten. Der Fahrtwind schoss mir ins Gesicht, brachte die Augen zum Tränen. Ich litt an sogenannter Zerrsichtigkeit auf dem rechten Auge und konnte darum räumlich nur sehr schlecht sehen. Eine Brille wäre dringend nötig gewesen. Ich hatte eine Höllenpanik davor, mit einem Motorrad zu verunglücken, und der goldene Strahl der Schweinwerfer meines Wagens hing viel zu nahe an meinem Hinterreifen. Die Arme schmerzten, da ich den Lenker mit den Händen völlig verkrampft hielt. Gedanklich wiederholte ich: Bloß nicht auf dem Asphalt aufschlagen!! Pass bei Straßensplitt auf! Schürf dir bloß nicht die Haut bis auf die Knochen ab.
In meinem Kopf spielten sich wahre Tragödien ab, während der Rollsplitt und kleine Steinchen auf den Rahmen des Bikes prallten. Die Angst umnebelte mein Gehirn und verdrängte alle Gedanken. Und was, wenn etwas mit dem Bock passierte – zum Beispiel ein Kolbenfresser, ein Zylinderbruch oder ein ganz normaler platter Reifen? Und wenn ich mich auf die Schnauze legte, mir einen Arm oder ein Bein brach?
In Bullhead City angekommen, gab mir Rhino per Lichthupe ein Signal. Ich fuhr an den Straßenrand, und er befahl mir, die Knarre aus dem Kofferraum zu holen und ihm zu geben. Als ich abstieg, fühlten sich meine Beine wie Pudding an. Rhinos Visage, nass vom Schweiß, sah so aus, als würde sie gleich explodieren. Er lud die Pistole und murmelte etwas von „eine Rechnung begleichen“ und von einer Überraschung für jemanden. Ich fühlte mich, als krabbelten mir tausend Ameisen die Wirbelsäule hoch. Seine alte Dame lebte in Bullhead City. Er verdächtigte sie, ihn zu betrügen, und wollte sich jetzt um „das Geschäftliche“ kümmern.
Ich setzte mich wieder in meinen Wagen und startete den Motor. Übelkeit überkam mich. Mit bis zum Reißen angespannten Nerven rief ich Koz an, meldete den nächtlichen Ausflug und hoffte, Rhinos Bike werde den Geist aufgeben.
„Wir hocken hier jetzt schon sechs Stunden“, lallte ich mit schlaftrunkener Stimme um zwei Uhr morgens. Ein leichter Nieselregen traf auf die Windschutzscheibe. Terrible saß aufgedreht auf dem Beifahrersitz. Die aufgerissenen Augen sahen glasig aus. Ich wusste, dass er nichts sah, wie durch dickes Eis starrte. Wenn noch ein Funken Mitgefühl und Leben in ihnen steckte, war das hinter einer kalten, gefrorenen Schale versteckt.
Wir fuhren nasse Straßen entlang, eine Szenerie so unwirklich wie ein verkratzter Film. Ich parkte, würgte den Motor ab und wartete, während sich Terrible in dreckigen Hauseingängen verkroch, in Seitenstraßen oder auf dem Gehweg, um sich weitere Drogen einzufahren. Früher führte ich auch so ein Leben. Mal abgesehen von der Langeweile und der Müdigkeit stellte das den schlimmsten Teil meiner Mission dar – meine Vergangenheit in seiner Gegenwart zu erkennen. Er hatte seine Menschlichkeit verloren, seine Würde. Terrible stürzte in ein dunkles Loch und vegetierte nun in einem düsteren Schlauch voll von schwarzem Dreck – ein Mensch, der sein Leben verschwendete und für immer verloren war. Die Aussicht auf einen Neubeginn verschwand für die Seelenlosen und Verängstigten.
Koz hatte mir 3.000 Dollar aus Regierungsgeldern zukommen lassen. Ich sollte damit ein Drogengeschäft abziehen. Die Scheine knisterten in der Brusttasche meines Hemdes. Als ich Terrible noch vor wenigen Stunden einen Burger bei Jack in the Box gekauft hatte, versicherte er mir, einen großen Meth-Lieferanten namens Rancid zu kennen.
„Und wo steckt der?“, fragte ich ihn und spürte gleichzeitig den Hamburger, der wie ein Stein durch meine Magenwindungen polterte.
„Spät dran.“
„Vielleicht kommt er nicht?“
„Er wird da sein.“ Terrible wurde zunehmend nervös. Ich wusste, wie er tickte. Bei ihm geschah alles aus einem Impuls heraus. Pläne änderten sich im Bruchteil einer Sekunde. Wenn Terrible sich auf dem Weg woanders Drogen beschaffen konnte und zu breit zur „Arbeit“ war, würde er das Geschäft einfach absagen.
Und dann kam Rancid die Auffahrt hochgefahren. Er schlug die Tür des Transporters mit einem lauten Knallen zu und führte uns in sein schäbiges, verfallenes Haus. Dünnes, fettiges Haar unterstrich seine wässrigen Augen, er stank nach Düngemittel. Die groß geschnittenen Räume waren fast leer – keine Möbel oder sonstiges Inventar. Nicht isolierte Stromleitungen wanden sich ähnlich Schlangen aus der Decke.
„Ich hab die Bude gerade verkauft.“ Rancid zuckte mit den Schultern, als bemerke er meine Skepsis. „Ich ziehe nach Arizona.“ Vielleicht stimmte das. Vielleicht auch nicht. Er verdiente seine Kohle als Drogendealer, und das waren alles Nomaden. Wir folgten ihm in die Küche, wo er uns ungefähr ein Viertel Pfund Meth zeigte und eine Waage. Er ließ ein Feuerzeug aufblitzen und fuhr mit der Flamme leicht über den Stoff. „Meine Alte bekommt Morddrohungen von ihrem Ex. Könnt ihr euch den vornehmen?“
„Sollen wir ihn unter die Erde bringen?“ Terrible musste alles ganz genau wissen.
Schon allein der Gedanke daran schockte Rancid. „Nein, nur Angst einjagen.“ Er wog das Meth.
Während die beiden sich eine angemessene Strafe überlegten, gab ich Rancid mit zittrigen Händen einen Teil der Kohle. In der Situation half mir auch meine Erfahrung nicht. Ich hatte Hunderte von Drogenverkäufen getätigt, wobei sich alle unterschieden, ich immer anders drauf gewesen war. Wenn Menschen auf Paranoia sind, rasten sie schnell aus. In jedem Moment kann ein Dealer die Absprache brechen, austicken, eine Waffe ziehen und abdrücken.
Terrible fragte nach seinem Anteil bei dem Deal und wollte natürlich Dope haben.
„Das kann ich nicht machen.“ Ich schüttelte den Kopf und gab ihm 200 Dollar. Zögerlich steckte er sich die Kohle in die Jacke, griff mit seinen Gierfingern in die offene Tüte mit dem Meth und schnappte sich ein Gramm. Scheiße – jetzt musste ich Koz erklären, warum das bei dem Beweismaterial fehlte.
Es wurde höchste Zeit, Terrible nach Hause zu befördern – bevor er sich noch mehr unter den Nagel riss und ich ihn als Chauffeur zu allen möglichen Leuten kutschieren musste. Meine Gedanken liefen Amok. Ich musste mir schnell eine Ausrede einfallen lassen, um mich geschickt aus der Affäre zu ziehen. Ich drehte den Zündschlüssel, aber hörte nur das metallische Klicken.
„Batterie im Arsch?“ Ich konnte es nicht glauben! Für heute Abend hatte ich mir die Karre meiner Freundin geliehen. Und nun stand ich da, mit einem Viertelkilo Meth auf dem Beifahrersitz! Länger da zu bleiben stellte keine Option dar.
Panik schnürte mir die Luft ab. „Hey Mann, wir dürfen hier nicht bleiben. Die Cops könnten uns hochnehmen!“
„Ich komme zurück“, log Terrible. Als er ging, klapperten seine Zähne. Natürlich kommt er nicht zurück. Das dumme Schwein würde es