Am folgenden Tag überbrachte ihm Carlo den Bericht eines Abtes.
„Hör, Niccolò, wie du die Leute vom Hochamt verärgert hast!“, und er las vor: Dieser Genueser Jakobiner mag wohl Geschicklichkeit im Umgang mit der Geige zeigen, aber er beweist weder Vernunft noch Ernst in Dingen der Musik … sein Konzert endete als Opera buffa, die alle zum Lachen brachte. Die Nachahmung von Vögeln und anderen Instrumenten mit der Geige zeugt von seiner Kunstfertigkeit … aber ist nichts weiter als eine Jugendtorheit, die nur in einer Musikschule vorgeführt werden sollte … und auf keinen Fall an einem geheiligten …
„Carlo mio, verschone mich mit dem Geschwätz des Geistlichen. Der soll in der Kirche predigen. Hast du nicht die Freude in der Kathedrale bemerkt? Ist dir nicht aufgefallen, wie ich alle gewonnen hab, alle, ohne Ausnahme?“
„Stimmt, ohne Ausnahme, auch die Jakobiner Luccas. Sie waren völlig hingerissen. Du bist ganz anders als alle. Du spielst einerseits flink und geschickt wie der Teufel, andererseits klingen manche Melodien wie von Engeln gespielt.“
„Red nicht immer vom Teufel, wenn du mich spielen hörst. Vater macht das auch und hebt dabei seine Augenbraue. Ich mag das nicht. Wer sagt uns denn, ob der Teufel überhaupt spielen kann.“
Carlo nickte. „Du hast wie immer Recht, fratellino! Wer, zum Teufel, weiß das schon, ha, ha, ha! Und was wirst du heute noch treiben?“
„Treiben? Gerne würde ich mich etwas in der Stadt herumtreiben, aber dafür haben wir keine Zeit. Wir sind bei ungefähr sechzig angesehenen Leuten eingeladen und überall gibt es köstliches Essen.“
„Vergiss nicht meinen Hochzeitstermin! In ein paar Tagen geht es heim nach Genua.“
„Dio mio, bei deiner eigenen Hochzeit solltest du wahrhaftig nicht fehlen!“ Niccolò schüttete sich aus vor Lachen. „Stell dir vor, statt deiner kommt ein anderer, der dir ähnlich sieht, und Anna merkt es erst nach der Hochzeitsnacht. Zuzutrauen ist es ihr. Oder vielleicht merkt sie es erst, wenn sie den Trauschein anschaut und den Namen Paganini nicht findet. Aber nein … ha, ha, ha …“ Niccolòs langes Gesicht wurde durch das Lachen etwas breiter, „sie kann ja nicht lesen.“
Carlo, den diese Späße ärgerten, zwang sich zu einem Grinsen. Trocken entgegnete er:
„Ich werde dich zu einigen Einladungen begleiten und sie nützen, um eine Stelle im Orchester von Lucca zu bekommen. Danach reise ich ab, so viel steht fest.“
„Ich reise mit, caro Carlo! Denn nichts ist mir lieber, als bei deiner Hochzeit dabei zu sein. Außerdem ertrage ich diese Schwätzer nicht allzu lange. Sie versuchen, mir mit ihren himmelschreienden Musikkenntnissen zu schmeicheln und langweilen mich dabei zu Tode.“
Am letzten Abend vor der Reise aßen sie bei den Quilici. Die Familie wohnte in einem staatlichen Gebäude neben der Kirche San Frediano. Signore Quilici war ein diskreter Herr, der den jungen Paganini nicht mit Lobeshymnen quälte. Er verhielt sich ihm gegenüber respektvoll und anerkennend, wohingegen seine Frau in einem fort schnatterte: „Woher haben Sie nur diese Fingerfertigkeit, Signor Paganini? Wie kommt es, dass Sie wie ein ganzes Orchester spielen? Da hört man Flöten und Hörner mit der Geige dialogieren … und wie Sie den Bogen durch die Luft schwingen …
meine Güte, atemberaubend.“ Signor Quilici lächelte verlegen. Niccolò verdrehte die Augen und versuchte, sich auf das Essen zu konzentrieren. Als Hauptgang wurde eine Art Ölkuchen gereicht, bestehend aus mehreren feinen Blätterteigschichten, unter denen sich eine würzige Artischockenfüllung verbarg. Dazu trank man einen Vino bianco. Normalerweise konzentrierte sich der Virtuose nicht auf das, was er sich herzhaft schmecken ließ. Er genoss und hätte niemandem sagen können, was er vertilgte. Ebenso erging es ihm mit dem Wein. Ob er weiß oder rot war, bemerkte er kaum. Die Hauptsache, es mundete. Auch an diesem Abend fiel es ihm schwer, auf den Geschmack des Weißweines zu achten oder die Artischockenfüllung so geräuschvoll zu kauen, um seinen Ohren das Geschnatter der Hauswirtin zu ersparen. Gott sei Dank nahte von anderer Seite Rettung. Bevor das Dessert aufgetischt wurde, ging die Tür auf und Eleonora erschien. Sie mochte vielleicht zehn oder elf Jahre sein, aber in ihr glühte ein zartes Feuer, in dem das Versprechen loderte. Niccolò hob den Kopf und senkte ihn vorläufig nicht mehr.
Am 26. September heirateten Carlo und Anna in der Chiesa San Tommaso. Zwei Monate wohnten sie gemeinsam in Antonios Haus im Polcevera-Tal, während Niccolò komponierte und seine Konzerte vorbereitete, die für November und Dezember in Lucca geplant waren. Er brannte darauf, Eleonora wiederzusehen. In seinen Gedanken war er stets bei ihr, ja, es war fast unmöglich, zu komponieren, ohne an sie zu denken. Eleonora war jung, viel zu jung, und Niccolò wusste nicht, wie er sich ihr hätte anders nähern können als über eine Komposition. Aber die Melodien wollten im Polcevera-Tal nicht so recht kommen. Die Umgebung war bereichernd, der Oktober launisch. An manchen Tagen vergoldete er die Landschaft, dann umhüllte er sie wieder mit einem abscheulich grauen Mantel. Normalerweise ließ sich Niccolò davon nicht beeinflussen. Seine Melodien waren nicht wetterabhängig. Ob es regnete, die Sonne schien oder ein heftiger Wind blies, die Melodien kamen immer. Sie fingen an zu schwingen, zu tanzen, zu toben, schließlich hörte er sie heftig, wie Regentropfen am Fenster, ganz deutlich jeden einzelnen Ton, als wollten sie ihm etwas mitteilen. Das war der Moment, in dem er sie festhalten musste und sie aufs Blatt fesselte. Manche Melodie fesselte er allein im Kopf. Das war sicherer, denn so konnte sie ihm keiner nehmen. Augenblicklich schlugen die Töne in seinem Kopf gegeneinander. Er hörte Dissonanzen. Aber was schlimmer war, sie echoten nicht in seinem Herzen, also taugten sie nichts. Was störte Niccolò? Es war das Haus. Der Vater. Die plappernden, geräuschvollen Schwestern Paola und Niccoletta und natürlich Carlo mit Ehefrau. Entweder er suchte sich eine andere Bleibe oder er ging auf Reisen.
Vorerst wählte er das zweite. Wieder wollte Carlo ihn begleiten. Er versprach Anna, eine Stelle beim Orchester von Lucca zu erbitten. Sollte es mit der Anstellung klappen, würde er eine geeignete Wohnung für beide suchen.
15
Eleonora, jetzt bist du fast vierzehn Jahre und ich dreiundzwanzig. Deine Augen strahlen, wenn ich von der Violine erzähle. Du verstehst meine bizarre Liebe zu ihr, du legst deine weiße Hand auf meinen Arm, sobald mich dabei dieses schreckliche Zittern befällt. Meine Stimme zerbricht, mein Herz klopft, mein Atem wird kurz. Es ist ja nicht das geformte Holz, der Klangkörper, der mit Saiten bespannt ist, woran mein Leben hängt, es ist jenes Instrument, das erst in meinen Händen zur Geliebten wird. In jeder anderen Hand ist es verloren. Ich konnte meine alte Geige so leicht aufgeben, weil sich die neue wie eine Katze in meinen Arm schmiegte. Ich schob sie unters Kinn und atmete ihren wunderbaren Duft, ich berührte die G-Saite mit dem Bogen, spielte eine belanglose Melodie, und schon fühlte ich ihre Hingabe. Sie stammt aus Guiseppe Guarneris Atelier und wurde mir vor einem Jahr in Livorno anlässlich der Einweihung eines Theaters von einem Verehrer überreicht. Das sage ich hier und jetzt. Andere behaupten, ich hätte mein altes Instrument am Hasardtisch verspielt und sei gezwungen gewesen, mir eine Guarneri auszuleihen. Lasst sie reden, die Wahrheit ist ein Chamäleon. Ich nehme es nicht so genau mit ihr, weil sie es auch nicht genau mit mir nimmt. Darum zahle ich ihr nur mit gleicher Münze heim. Signor Livrons Geschenk war ein stolzes Geschenk und genau richtig für mich. Ich ziehe die Guarneri der Stradivari vor, weil sie von einem größeren Format ist. Im Ton steht sie der Geige des genialen Antonio Stradivari in nichts nach. Genauso edel, genauso groß und voll, wenn man ihn zu formen versteht. Besonders liebe ich ihren ambragelben Grundton, über dem eine durchsichtige Schicht roten, schimmernden Lacks liegt. Aber weißt du, Eleonora, ihr Körper schimmert und strahlt erst richtig, wenn ich sie streichle, wenn ich mit den Fingerkuppen ihre Haut klopfe, die Fasern ihres Leibes zupfe oder sie mit dem Bogen zum Schwingen bringe. Dann singt sie, dann lacht und weint sie. Ja, manchmal fürchte ich, ihr