Mein Leben mit den Eagles. Wendy Holden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wendy Holden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783854454229
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Heim aus und zogen einige Innenwände ein, um zwei Schlafzimmer, eine Küche und ein Bade­zimmer abzutrennen. Papa war immer sehr stolz auf die Tatsache, dass er sein Haus mit eigenen Händen erbaut hatte.

      Sein gesamtes Leben lang arbeitete er als Mechaniker bei Koppers, einer Fabrik vier Blocks entfernt auf der Dreiundzwanzigsten Avenue Nordwest, die druckbehandeltes Holz für Telefonmasten und die Eisenbahn lieferte. Frisch geschlagene Bäume wurden auf Schienen hereingefahren, dann hoben riesige Maschinen sie auf Förderbänder, die zu einer gigantischen Drehbank führten, welche die Rinde entfernte und geschälte Stämme ausspuckte. Eine weitere Maschine verlud sie auf Schienenwagen. Eine Diesellok fuhr die Stämme in eine lange Metallröhre, die einhundert Meter lang war und mit einer riesigen Tür hermetisch verschlossen werden konnte. Die Bolzen schnappten ein, dann wurde geschwärztes Kreosotöl unter hohem Druck hineingepumpt. Wenn der Prozess abgeschlossen war, ließ die Maschine den Druck ab, öffnete sich und entließ die klebrigen schwarzen Stämme auf eine Schiene, von der aus sie ein anderer Zug nach Oklahoma oder sonst wohin brachte, wo sie eben gerade benötigt wurden. Es war ein unglaublich routiniertes Verfahren.

      Abgesehen von ein paar Jahren, als er während der Depression gekündigt wurde, hatte Papa seit seinem zwölften Lebensjahr bei Koppers gearbeitet, lange bevor sie Gesetze über Kinderarbeit hatten, und dabei einen großen Teil der komplizierten Maschinen bedient. Wie sein Vater vor ihm, der ebenfalls Mechaniker in dieser Fabrik gewesen war, musste er entsetzliche Arbeits­bedingungen und unglaubliche Arbeitszeiten erdulden. Die Maschinen waren rund um die Uhr in Betrieb, und wenn es irgendwelche Probleme gab, sei es bei Tag oder bei Nacht, dann rief man ihn herbei. Oft hörte ich, wie morgens um zwei oder drei Uhr das Telefon klingelte und er aus dem Bett stolperte. Im Morgengrauen kehrte er dann vor Beginn seiner regulären Schicht noch ein­mal für eine Stunde Schlaf nach Hause zurück. Er atmete den ganzen Tag lang Kreosot- und Dieseldämpfe ein. Wenn er abends heimkam, war er von Kopf bis Fuß schwarz. „Zieh deinen Overall aus, Nolan“, schrie ihm meine Mutter dann schon entgegen, bevor er überhaupt einen Fuß ins Haus setzte. Pflicht­schuldig schälte er sich aus seinen Kleidern und öffnete die Fliegengittertür in seinen Shorts und Socken. Er nahm eine ausgiebige heiße Dusche und ver­suchte, den schlimmsten Dreck abzuwaschen, aber unter seinen Fingernägeln und um die Nagelhaut herum war er dauerhaft festgefressen. Es umgab ihn auch immer dieser bestimmte Geruch.

      Ich wurde am 21. September 1947 im Alachua County Hospital geboren, fünf Jahre nach meinem Bruder Jerry. Dad war nicht eingezogen worden, weil seine Arbeit zu kriegswichtig war, obwohl ich glaube, dass es ihm vielleicht ganz gutgetan hätte, Gainesville ein paar Jahre lang zu entfliehen und etwas von der Welt zu sehen. Seine Erfahrungen aus der Depression hatten ihn ver­härtet und zu einem sturen Workaholic gemacht, der sich für einen Hunger­lohn die Knochen brach. Selbst wenn er nur vorübergehend entlassen wurde, fand er eine Beschäftigung – dann arbeitete er etwa für zehn Cent am Tag vor dem Gerichtsgebäude auf dem Marktplatz als Maurer. In Gelddingen war er extrem vorsichtig. Er besaß nie eine Kreditkarte, nahm nie eine Hypothek auf oder kaufte ein Auto auf Kredit. Sein regelmäßig reparierter 1942er-Chevrolet war unser einziges Transportmittel. In seiner Nachttischschublade versteckte er Geld für den Fall, dass die Banken jemals wieder schlossen. Harte Arbeit kann einem Mann jegliches Vertrauen nehmen.

      Wir lebten also ganz wie in Erskine Caldwells Depressionsroman Die Tabakstrasse. Meistens rannte ich barfuß in abgeschnittenen Jeans und einem T-Shirt herum, während mein treuer Cockerspaniel Sandy im Zickzack begeis­tert neben mir hersprang. Mit Jerry und meinem besten Freund, Leonard Gideon, spielte ich in den Palmwiesen, wo wir uns kleine Festungen bauten, indem wir ein kleines Bäumchen mit einem Seil zu Boden zogen, es festbanden und aus den losen Wedeln ein Dach flochten.

      Irene Cooter, eine matronenhafte Frau, die genau hinter uns wohnte, fun­gierte für die meisten Kinder der Nachbarschaft als inoffizielle Babysitterin. Leonard und ich gingen jeden Tag nach der Schule ein paar Stunden zu ihr. In ihrem Garten stand ein riesiger Paternosterbaum, dessen Wurzeln aus dem Boden hervorquollen und -sprudelten. „Dass du mir ja nicht auf diesen Baum kletterst, mein Sohn“, warnte sie mich, als ich sehnsüchtig in das Gewirr von Ästen hinaufsah. Als ich vier Jahre alt war, wurde die Versuchung zu stark. Unnötig zu sagen, dass ein Ast brach und ich mit einem gewaltigen Plumps zu Boden fiel. Dabei brach ich mir an einer der knorrigen Wurzeln meinen linken Ellenbogen. Schreiend rannte ich ins Haus, während der Knochen aus meiner Haut herausragte.

      Die Ärzte im Alachua County Hospital sagten, meine Bewegungsfreiheit sei dauerhaft stark eingeschränkt und ich würde niemals in der Lage sein, meinen linken Arm voll einzusetzen. Meine Mutter glaubte das nicht. Sobald der Gips herunterkam, füllte sie ein kleines Eimerchen mit Sand, das ich Tag und Nacht mit mir herumtragen musste, um meinen Arm wieder gerade zu strecken. Ich weinte vor Schmerzen. Dann nahm sie mich bei der Hand und ging mit mir umher, ebenfalls weinend. Dank ihrer Beharrlichkeit und ein paar leidvoller Monate verfüge ich heute mehr oder weniger über die volle Bewegungsfreiheit – was sehr wichtig für einen Gitarristen ist.

      Ein Jahr nach jenem Unfall wurde ich sehr krank. Ich klagte bei meiner Mutter über Kopfschmerzen und ständige Müdigkeit. Für einen Fünfjährigen war das schon ungewöhnlich genug, aber bei einem kleinen Knallfrosch wie mir war es schlicht unvorstellbar. Sie schickte mich sofort zum Arzt, der die frühen Symptome einer Kinderlähmung feststellte. Eine Epidemie fegte durch das Land, die Tausende von Kindern zu Krüppeln machte und Hunderte das Leben kostete. Ich hatte Glück. Sie verpassten mir den von Jonas Salk neu ent­wickelten Impfstoff, und wie durch ein Wunder bildeten sich die vollen Sym­ptome bei mir nicht aus. Trotzdem verbrachte ich vier unendlich lange Monate in einem Heim für poliokranke Kinder, allein und verängstigt. Ich fragte mich, was ich getan hatte, dass mich meine Eltern an solch einen Ort verbannt hatten. War es, weil ich auf den Baum geklettert war? Meine einzige Rettung war ein kleines Radio neben meinem Bett. Es hatte einen abnehmbaren Plastiklaut­sprecher, den ich nachts unter mein Kopfkissen schob. Dann lag ich stunden­lang wach und trommelte mit meinen Fingern im Takt zur Musik.

      Die Klänge von Al Martino und Frankie Laine trösteten mich und über­tönten das keuchende Geräusch der eisernen Lungen, die das Atmen für die­jenigen übernahmen, die weniger Glück hatten als ich. „Hier in meinem Her­zen bin ich allein, ich bin so einsam“, sang Al Martino für mich, wenn ich im Bett lag und an die Decke starrte, wo ein Ventilator gemächlich surrte. Ich stelle mir gern vor, dass es die tröstliche Musik und die trällernden Stimmen jener Schnulzensänger aus den Fünfzigern und nicht der Impfstoff waren, die mich das Ganze heil überstehen ließen.

      Meine Mutter arbeitete in Vollzeit von Montag bis Samstag, zuerst in einer Schnellreinigung in Gainesville, die in einem neuen Einkaufszentrum in der Stadtmitte aufgemacht hatte. Abends kam sie nach Hause und hatte den Geruch der Chemikalien und der Kleidung noch auf der Haut. Ich kann mich nur an sehr wenige heftige Wortgefechte zwischen ihr und meinem Vater erin­nern, aber bei einem ging es um ihren Wunsch, arbeiten zu gehen. „Ich will mein eigenes Geld, Nolan“, beklagte sie sich. „Ich will nicht jedes Mal zu dir kommen müssen, wenn ich den Jungs etwas kaufen will.“ In Wahrheit lehnte er diese Bitte für gewöhnlich ohnehin ab. Mein Vater fühlte sich in seiner Ehre gekitzelt. Die meisten Ehefrauen blieben zu Hause, und er sorgte sich darum, welchen Eindruck dies wohl in der Fabrik machen würde. Schließlich gab er jedoch nach, wie er es meistens tat.

      Da Mama und Papa beide arbeiten gingen, war eigentlich nie jemand im Haus. Großpapa Brigman, der Vater meiner Mutter, lebte am anderen Ende der Stadt. Wir besuchten ihn nur sonntags nach der Kirche. Großpapa Felder lebte im Nachbarhaus, kaute Tabak und spuckte große Batzen stinkenden braunen Schleims in eine alte Kaffeedose zu seinen Füßen, doch nachmittags machte er ein Nickerchen, und so konnte ich mich für gewöhnlich mühelos davonschleichen. Ohne Aufsicht geriet ich in alle möglichen Schwierigkeiten – meistens hatte ich die Musik zu laut oder prügelte mich. Oft fuhr ich im Viertel herum und füllte den Korb meines klapprigen, gebrauchten Fahrrads mit leeren Colaflaschen, für die es zwei Cent Pfand gab. Wenn ich genügend Flaschen sammelte, konnte ich es mir leisten, in den Gemischtwarenladen zu gehen – MoonPie, ein Marshmellow-Schokokeks, und RC Cola waren in mei­ner verschwendeten Jugend die Grundnahrungsmittel.

      An der Sydney Kinnear Elementary School war ich alles andere als ein besonders ungezogener Schüler. Eigentlich war ich eher ein Tagträumer. Ich ließ