»Oh, wie richte ich es nur ein?«, fragte sie hilflos. »Wenn Deborah noch lebte, sie wüsste, was man mit einem Herrenbesuch macht. Muss ich ein Rasiermesser in sein Ankleidezimmer legen? Du mein Gott, ich habe ja gar keins. Deborah hätte bestimmt eines gehabt. Und Pantoffeln und Kleiderbürsten?« Ich meinte, dass er diese Dinge wahrscheinlich mitbringen würde. »Und nach Tische, wie soll ich wissen, wann wir aufstehen und ihn beim Wein allein lassen sollen? Deborah hätte alles richtig gemacht; sie wäre ganz in ihrem Element gewesen. Glaubst du, dass er Kaffee trinken will?« Ich übernahm die Kaffeebereitung und versprach ihr, ich würde Martha in die Kunst, bei Tische aufzuwarten, unterweisen, denn darin mangelte es noch sehr bei ihr; auch zweifelte ich nicht, dass Major Jenkyns und seine Frau Verständnis haben würden für die ruhige Lebensweise einer allein stehenden Dame in einer kleinen Landstadt. Aber sie war entsetzlich aufgeregt. Ich veranlasste sie, ihre Karaffen zu leeren und zwei frische Flaschen Wein heraufzuholen. Gern hätte ich verhindert, dass sie dabei war, als ich Martha instruierte, denn sie kam häufig mit einer neuen Anweisung dazwischen und verwirrte das arme Ding vollständig, das mit weit offenem Munde uns beide anhörte.
»Präsentiere das Gemüse«, sagte ich (törichterweise, wie ich jetzt einsah, denn das war mehr verlangt, als wir in Ruhe und Schlichtheit durchführen konnten) und fügte, als ich ihren verwirrten Ausdruck bemerkte, hinzu: »Reiche das Gemüse herum und lass die Herrschaften sich selbst bedienen.«
»Und geh immer zuerst zu den Damen«, warf Miss Mathilde ein.
»Immer zuerst die Damen und dann die Herren, wenn du aufwartest.«
»Ich werde es so machen, wie Sie sagen, Madame«, sagte Martha, »aber die Mannsleute sind mir eigentlich lieber.«
Wir waren sehr betreten und erschrocken über Marthas Äußerung; zwar glaube ich nicht, dass sie sich etwas Schlimmes dabei dachte, und im Ganzen befolgte sie unsere Anweisungen auch leidlich, abgesehen davon, dass sie dem Major einen kleinen Puff mit dem Ellbogen gab, als er sich nicht so schnell mit Kartoffeln versorgte, wie sie es beim Herumreichen erwartete.
Der Major und seine Frau waren ruhige, anspruchslose Leute, etwas schlaff, wie die meisten Bewohner Indiens zu sein scheinen. Wir waren ein wenig erschrocken, als sie zwei Dienstboten mitbrachten, einen Hindukammerdiener für den Major und ein gesetztes älteres Mädchen für seine Frau; aber beide schliefen im Gasthof und nahmen uns ein gut Teil Verantwortung ab, indem sie auf das Gewissenhafteste für die Bequemlichkeit ihrer Herrschaften sorgten. Martha hörte natürlich nicht auf, den weißen Turban und die braune Gesichtsfarbe des Inders anzustarren, und ich sah, dass Miss Mathilde etwas zusammenfuhr, wenn er bei Tisch bediente. Sie fragte mich sogar, als sie fort waren, ob er mich nicht an König Blaubart erinnere. Im ganzen fiel der Besuch aber sehr befriedigend aus und ist noch jetzt ein Gesprächsthema für Miss Mathilde; seinerzeit erregte er aber Cranford im höchsten Maße und brachte sogar die apathische und hochgeborene Mrs. Jamieson zu einem Ausdruck von Interesse, als ich zu ihr ging, um ihr für die freundlichen Antworten zu danken, die sie auf Miss Mathildes Fragen bezüglich der Einrichtung eines Herrenankleidezimmers gegeben hatte – Antworten, die, wie ich gestehen muss, in der müden Art der skandinavischen Prophetin gegeben wurden: »Lass mich, ach, lass mich in Ruh’.«
Und nun komme ich zu der Liebesgeschichte.
Wie es scheint, hatte Miss Pole einen Vetter zweiten oder dritten Grades, der vor langen Zeiten um Miss Matty angehalten hatte. Dieser Vetter lebte nun vier oder fünf Meilen von Cranford entfernt auf einer eigenen Besitzung; das Anwesen war aber nicht groß genug, um ihm einen höheren Rang als den eines Pächters zu verleihen; oder vielmehr hatte er mit dem »Stolz, der die Bescheidenheit nachäfft«, es verschmäht, sich wie so viele seiner Klasse vorwärtszudrängen in die Kreise der Esquires hinein. Er gestattete nicht, dass man ihn ›Thomas Holbrook, Esq.‹ nannte, sandte sogar Briefe mit dieser Adresse zurück und sagte der Posthalterin von Cranford, sein Name sei Mr. Thomas Holbrook, Pächter. Alle häuslichen Neuerungen hasste er; sein Haus musste im Sommer offen stehen und im Winter geschlossen sein ohne Türklopfer oder Klingel, um einen Dienstboten herbeizurufen. Die geschlossene Faust oder sein Stockknopf taten ihm diesen Dienst, wenn er die Tür geschlossen fand. Er verachtete jede Verfeinerung, die nicht eine tiefere Wurzel in der Menschlichkeit hatte. Wenn nicht jemand krank war, sah er nicht die Notwendigkeit ein, seine Stimme zu mäßigen. Er sprach den Dialekt seiner Gegend und benutzte ihn immer bei der Unterhaltung, obgleich Miss Pole, der ich diese Einzelheiten verdanke, hinzufügte, dass er schöner und mit mehr Ausdruck vorlese als irgendjemand, den sie je gehört, den verstorbenen Pfarrer ausgenommen.
»Und wie kam es, dass Miss Mathilde ihn nicht heiratete?«, fragte ich.
»Oh, ich weiß es nicht. Sie war sehr bereit dazu, wie ich glaube; aber Vetter Thomas war wohl nicht fein genug für den Pfarrer und Miss Jenkyns.«
»Ja, aber die sollten ihn doch gar nicht heiraten«, sagte ich ungeduldig.
»Nein; aber sie wollten nicht gern, dass Miss Matty unter ihrem Stande heiratete. Sie war doch des Pfarrers Tochter, wissen Sie, und etwas verwandt mit Sir Peter Arley, worauf Miss Jenkyns viel gab.«
»Die arme Miss Matty!«, sagte ich.
»Je nun, ich weiß weiter nichts davon, als dass er einen Antrag machte und abgewiesen wurde. Miss Matty machte sich vielleicht doch nicht so viel aus ihm – und Miss Jenkyns hat vielleicht gar nichts dagegen gesagt –, es ist nur eine Vermutung von mir.«
»Hat sie ihn seitdem nie wieder gesehen?«, fragte ich.
»Nein, ich glaube nicht. Sehen Sie, Woodley, Vetter Thomas’ Haus, liegt auf halbem Wege zwischen Cranford und Misselton. Nachdem er um Miss Matty angehalten, brachte er sehr bald seine Waren nach Misselton auf den Markt, und ich glaube nicht, dass er mehr als ein- oder zweimal wieder in Cranford gewesen ist, seit ich einmal mit Miss Matty in der High Street spazierenging und sie plötzlich von mir wegstürzte und die Shire Lane hinaufschritt. Ein paar Minuten später traf ich zu meiner großen Überraschung Vetter Thomas.«
»Wie alt ist er?«, fragte ich nach einer Pause, in der ich allerhand Luftschlösser gebaut.
»Ich denke, er muss nahe an Siebzig sein, meine Liebe«, sagte Miss Pole, mit einem Schlage all meine Luftschlösser zertrümmernd.
Sehr bald darauf – während meines langen Besuchs bei Miss Mathilde – hatte ich Gelegenheit, Mr. Holbrook zu sehen und zugleich sein erstes Zusammentreffen mit seiner ehemaligen Liebe nach dreißig- oder vierzigjähriger Trennung zu erleben. Ich musste gerade bei der Entscheidung helfen, ob etwas von der neuen Auswahl bunter Seide, die der Kaufmann soeben erhalten hatte, zu einem grau und schwarzen Wollmusselinkleid passen würde, das neu ausgeputzt werden sollte, als ein langer, dünner, alter Mann vom Typ des Don Quichotte in den Laden kam, um sich wollene Handschuhe zu kaufen. Ich hatte die ziemlich auffallende Persönlichkeit nie vorher gesehen und beobachtete sie aufmerksam, während Miss Matty mit dem Kaufmann verhandelte. Der Unbekannte trug einen blauen Rock mit Messingknöpfen, mausgraue Breecheshosen und Gamaschen und trommelte mit den Fingern auf der Ladentafel, bis er bedient wurde. Als er auf die Frage des Ladenburschen »Was darf ich Ihnen vorlegen?«, antwortete, sah ich Miss Mathilde zusammenfahren und sich dann plötzlich hinsetzen, so dass ich sofort erriet, wer es war. Sie hatte eine Frage gestellt, die dem andern Verkäufer überbracht wurde.
»Miss Jenkyns wünscht von dem schwarzen Taft zu zwei Schilling.« Mr. Holbrook hatte den Namen aufgefangen und war mit zwei Schritten an ihrer Seite.
»Matty – Miss Mathilde – Miss Jenkyns! Du meine Güte! Ich hätte Sie nicht erkannt. Wie geht’s, wie steht’s?«
Er