Octavian erschrickt und weigert sich. Als junger Mensch noch nicht ganz verhärtet und vergiftet von der Perfidie der Politik, scheut er sich, seine Herrschaft mit der Beseitigung des berühmtesten Schriftstellers Italiens zu beginnen. Cicero ist sein getreuester Sachwalter gewesen, er hat ihn gerühmt vor dem Volke und Senat; vor wenigen Monaten noch hat Octavian seine Hilfe, seinen Rat demütig angesprochen und den alten Mann ehrfürchtig seinen »wahren Vater« genannt. Octavian schämt sich und beharrt in seinem Widerstand. Aus einem richtigen Instinkt, der ihm Ehre macht, will er diesen erlauchtesten Meister der lateinischen Sprache nicht dem schmählichen Dolch bezahlter Mörder hingeben. Aber Antonius beharrt, er weiß, dass zwischen Geist und Gewalt eine ewige Feindschaft ist und niemand der Diktatur gefährlicher werden kann als der Meister des Worts. Drei Tage währt der Kampf um Ciceros Haupt. Schließlich gibt Octavian nach, und so beschließt Ciceros Name das vielleicht schmählichste Dokument der römischen Geschichte. Mit dieser einen Proskription ist das Todesurteil der Republik erst richtig besiegelt.
In der Stunde, da Cicero von der Einigung der früheren drei Erzfeinde erfährt, weiß er, dass er verloren ist. Er weiß genau, dass er in dem Freibeuter Antonius, den Shakespeare zu Unrecht ins Geistige emporgeadelt hat, zu schmerzhaft die niederen Instinkte der Hassgier, der Eitelkeit, der Grausamkeit, der Skrupellosigkeit mit der Weißglut des Wortes gebrandmarkt hat, als dass er von diesem brutalen Gewaltmenschen Caesars Großmut erhoffen könnte. Das einzig Logische, falls er sein Leben retten wollte, wäre rasche Flucht. Cicero müsste hinüber nach Griechenland zu Brutus, zu Cassius, zu Cato in das letzte Heerlager der republikanischen Freiheit; dort wäre er zumindest vor den bereits ausgesandten Meuchelmördern gesichert. Und tatsächlich, zweimal, dreimal scheint der Geächtete schon zur Flucht entschlossen. Er bereitet alles vor, er verständigt seine Freunde, er schifft sich ein, er macht sich auf den Weg. Aber immer wieder hält Cicero im letzten Augenblick inne; wer einmal die Trostlosigkeit des Exils gekannt, spürt selbst in der Gefahr die Wollust der heimischen Erde und die Unwürdigkeit eines Lebens in ewiger Flucht. Ein geheimnisvoller Wille jenseits der Vernunft und sogar wider die Vernunft, zwingt ihn, sich dem Schicksal zu stellen, das ihn erwartet. Nur noch ein paar Tage Rast begehrt der müde Gewordene von seinem schon erledigten Dasein. Nur noch ein wenig still nachsinnen, noch ein paar Briefe schreiben, ein paar Bücher lesen – möge dann kommen, was ihm bestimmt ist. In diesen letzten Monaten verbirgt sich Cicero bald in dem einen, bald in dem anderen seiner Landgüter, immer wieder aufbrechend, sobald eine Gefahr droht, aber niemals ihr vollkommen entflüchtend. Wie ein Fieberkranker die Kissen, so wechselt er diese halben Verstecke, nicht ganz entschlossen, seinem Schicksal entgegenzutreten und nicht auch entschlossen, ihm auszuweichen, als wollte er mit dieser Todesbereitschaft unbewusst die Maxime erfüllen, die er in seinem ›De senectute‹ niedergelegt, dass ein alter Mann den Tod weder suchen dürfe noch ihn verzögern; wann immer er komme, müsse man ihn gelassen empfangen. Neque turpis mors forti viro potest accedere: Für den Seelenstarken gibt es keinen schmählichen Tod.
In diesem Sinne befiehlt Cicero, der schon nach Sizilien unterwegs gewesen, plötzlich seinen Leuten, noch einmal den Kiel zum feindlichen Italien zurückzuwenden und in Cajeta, dem heutigen Gaeta, zu landen, wo er ein kleines Gütchen besitzt. Eine Müdigkeit, die nicht bloß eine der Glieder, der Nerven ist, sondern eine Müdigkeit des Lebens und geheimnisvolles Heimweh nach dem Ende, nach der Erde hat ihn übermannt. Nur rasten noch einmal. Noch einmal die süße Luft der Heimat atmen und Abschied nehmen, Abschied von der Welt, aber ruhen und rasten, sei es ein Tag oder eine Stunde nur!
Ehrfürchtig begrüßt er, kaum gelandet, die heiligen Laren des Hauses. Er ist müde, der vierundsechzigjährige Mann, und die Seefahrt hat ihn erschöpft, so streckt er sich hin auf das cubiculum, die Augen geschlossen, um in lindem Schlafe die Vorlust des ewigen Ausruhens zu genießen.
Aber kaum hat Cicero sich hingestreckt, so stürzt schon ein getreuer Sklave herein. Es seien verdächtige bewaffnete Männer in der Nähe; ein Angestellter seines Haushalts, dem er viele Freundlichkeiten zeitlebens erwiesen, habe um der Belohnung willen seinen Aufenthalt den Mördern verraten. Cicero möge flüchten, rasch flüchten, eine Sänfte sei bereit, und sie selbst, die Sklaven des Hauses, wollten sich bewaffnen, und ihn verteidigen während des kurzen Weges hin zum Schiff, wo er dann gesichert sei. Der alte erschöpfte Mann wehrt ab. »Was soll es«, sagt er, »ich bin müde zu fliehen und müde zu leben. Lass mich hier in diesem Lande sterben, das ich gerettet habe.« Schließlich überredet ihn doch der alte getreue Diener; bewaffnete Sklaven tragen die Sänfte auf Umwegen durch das kleine Wäldchen zu der rettenden Barke.
Aber der Verräter in seinem Hause will sich um sein Schandgeld nicht betrügen lassen, hastig ruft er einen Centurio und ein paar Bewaffnete zusammen. Sie jagen dem Zuge nach durch den Wald und erreichen noch rechtzeitig ihre Beute.
Sofort scharen sich die bewaffneten Diener um die Sänfte und machen sich zum Widerstand bereit. Jedoch Cicero befiehlt ihnen abzulassen. Sein eigenes Leben ist abgelebt, wozu noch fremde und jüngere opfern? In dieser letzten Stunde fällt von diesem ewig schwankenden, unsicheren und nur selten mutigen Mann alle Angst. Er fühlt, dass er als Römer sich nur in der letzten Probe noch bewähren kann, wenn er – sapientissimus quisque aequissimo animo moritur – aufrecht dem Tode entgegengeht. Auf sein Geheiß weichen die Diener zurück, unbewaffnet und ohne Widerstand bietet er sein greises Haupt den Mördern mit dem großartig überlegenen Wort dar: »Non ignoravi me mortalem genuisse«, ich habe immer gewusst, dass ich sterblich bin. Die Mörder aber wollen nicht Philosophie, sondern ihren Sold. Sie zögern nicht lange. Mit einem mächtigen Hieb schlägt der Centurio den Wehrlosen nieder.
So stirbt Marcus Tullius Cicero, der letzte Anwalt der römischen Freiheit, heroischer, mannhafter und entschlossener in dieser seiner letzten Stunde als in den Tausenden und Tausenden seines abgelebten Lebens.
Auf die Tragödie folgt das blutige Satyrspiel. Aus der Dringlichkeit, mit der von Antonius gerade dieser eine Mord anbefohlen war, mutmaßen die Mörder, dass dieser Kopf einen besonderen Wert haben müsse – nicht natürlich seinen Wert im geistigen Gefüge der Welt und der Nachwelt ahnen sie – sondern wohl aber den besonderen Wert für den Auftraggeber der blutigen Tat. Um sich die Prämie nicht streitig machen zu lassen, beschließen sie als sprechenden Beweis des vollzogenen Befehls, den Kopf Antonius persönlich zu überbringen. So hackt der Banditenführer der Leiche Haupt und Hände ab, stopft sie in einen Sack und eilt, diesen Sack, aus dem noch das Blut des Gemordeten tropft, auf den Rücken geschultert, eiligst nach Rom, um den Diktator mit der Nachricht zu erfreuen, dass der beste Verteidiger der römischen Republik auf übliche Weise erledigt worden sei.
Und der kleine Bandit, der Banditenführer, hat richtig gerechnet. Der große Bandit, der diesen Mord anbefohlen, münzt seine Freude über die begangene Untat in fürstliche Belohnung um. Nun, da er die zweitausend reichsten Leute Italiens ausplündern und morden ließ, kann Antonius endlich freigiebig sein. Eine blanke Million Sesterzen zahlt er dem Centurio für den blutigen Sack mit Ciceros abgeschlagenen Händen und geschändetem Haupt. Aber noch immer ist damit seine Rache nicht gekühlt, so ersinnt der stupide Hass dieses Blutmenschen für diesen Toten noch eine besondere Schmach, ahnungslos, dass sie ihn selbst erniedrigen wird für alle Zeiten. Antonius befiehlt, dass das Haupt und die Hände Ciceros an die Rostra, an dieselbe Rednerbühne genagelt werden sollen, von der herab er das Volk gegen ihn zur Verteidigung der römischen Freiheit aufgerufen.
Ein schmähliches Schauspiel erwartet am nächsten Tage das römische Volk. An der Rednerkanzel, der gleichen, von der Cicero seine unsterblichen Reden gehalten, hängt fahl das abgeschlagene Haupt des letzten Anwalts der Freiheit. Ein wuchtiger rostiger Nagel geht quer durch die Stirn, die tausend Gedanken gedacht; fahl und bitter verklammen sich die Lippen, die schöner als alle das metallische Wort der lateinischen Sprache geformt, verschlossen decken die bläulichen Lider das Auge, das durch sechzig Jahre über die Republik gewacht, machtlos spreizen sich die Hände, die