Der eine Kerl, dessen rechtes Auge von einer schwarzen Lederklappe verdeckt wurde, beugte sich auf dem Pferd vor. »Wer bist du, Hombre? Kennst du den Greaser? Bist du ein Freund von ihm?«
Shannons Gesicht war wie aus Stein gemeißelt, als er den Spaten wieder heftig in die Erde stieß. Die Geier kreisten hoch über der Senke. Stumm und verbissen arbeitete Shannon weiter. Der Kumpan des Einäugigen lachte höhnisch.
»Er redet nicht mit jedem, Mac. Vielleicht musst du erst ein bisschen nachhelfen.«
Ein Schuss krachte. Die Kugel hieb zwei Handbreit neben Shannon in den Boden. Aber der große, dunkelhaarige Mann zuckte nicht mit der Wimper. Gleichmäßig hob er ein Spatenblatt voll Erde nach dem anderen aus.
»Zum Teufel, du sollst antworten, Mann! Hast du Dreck in den Ohren, he?«
Der andere lachte. »Lass ihn, Mac! Er weiß genau, dass er hier nicht mehr lebend wegkommt, weil das Risiko zu groß ist, dass der Greaser ihm noch einiges erzählt hat. He, Hombre, du kannst gleich noch ‘ne zweite Grube schaufeln – für dich.«
Jetzt lachten beide. Ein teuflisches Lachen, das ein scharfes Funkeln in Shannons Augen weckte. Aber er hielt den Kopf gesenkt und schien völlig auf seine Arbeit konzentriert. Die Schurken beobachteten ihn grinsend. Sie spürten, dass da ein Mann mit eisernen Nerven war. Ein Mann, der nur auf eine günstige Gelegenheit wartete, um den Colt in die Faust zu bekommen. Sie waren entschlossen, ihm keine Chance zu lassen. Mit den Gewehren in den Fäusten fühlten sie sich haushoch überlegen.
Kein Lufthauch drang in die Senke. Es war so heiß, dass jede Bewegung einen Schweißausbruch auslöste. Aber die Hitze schien Shannon so wenig auszumachen wie die Gewehre der Verbrecher. Erst als die Grube lang und tief genug war, ließ er den Spaten sinken und richtete sich auf. Eine Kugel pfiff haarscharf an seinem Gesicht vorbei.
»Keine falsche Müdigkeit, Amigo! Fang mit dem nächsten Grab an!«
Shannon rührte sich nicht. »Was habt ihr mit den Leuten von Santa Rosa gemacht?«
»He, er kann ja auf einmal reden!«, grölte der Kumpan des Einäugigen.
»Was sagst du dazu, Mac? Was hältst du davon, wenn wir ihn mitnehmen? Bancroft zahlt fünfzig Dollar für jeden Mann, egal ob es ein Mex oder ein Weißer ist. Er sieht zäh genug aus, um die Schufterei in Bancrofts Camp wenigstens ‘n halbes Jahr durchzustehen, vielleicht auch länger.«
»Halt‘s Maul, Joe! Du redest zu viel! Und du da unten, du sollst schaufeln, verdammt noch mal! Los, weiter!«
Die zwei Gewehrmündungen starrten Shannon drohend an. Die Banditen brauchten nur die Finger zu krümmen. Trotzdem war Shannon schneller. Die Überraschung war sein entscheidender Trumpf. Alles ging blitzschnell. Er schleuderte den Spaten weg und ließ sich in das eben geschaufelte flache Grab fallen.
Das Krachen der Gewehre füllte die Senke mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag. Während die Kugeln über Shannon wegsausten, flog sein 44er Army Colt hoch. Er schoss auf dem Rücken liegend, mit ausgestreckter Hand auf die pulverdampfumnebelten Reiter, die er schräg über sich vor der stahlblauen Himmelskuppel sah. Zwei Schüsse, die so schnell fielen, dass sie wie einer klangen.
Pferde wieherten schrill. Die Gewehre der Banditen fielen neben die stampfenden Hufe. Verkrümmt hingen die Halunken über den Pferdehälsen. Auf ihren Gesichtern spiegelte sich ungläubiges Entsetzen. Shannon sprang auf. Er machte keinen Versuch, sie zu halten, als sie ächzend ihre Gäule herumzogen und vom Senkenrand verschwanden.
Keiner von ihnen würde so schnell wieder ein Gewehr auf einen Mann abfeuern. Sie waren nicht mehr wichtig. Nicht so wichtig jedenfalls, dass er Hernandez den Geiern überlassen durfte.
»Reite zu Rockford! Sag ihm, sein Bruder lebt!« Hernandez‘ Worte waren ein Vermächtnis, dem Shannon sich nicht entziehen würde. Und dann … Es war lange her, dass Pablo Alvaro ihn aufgenommen hatte, als Shannon ohne Pferd, von Comanchen verfolgt, verwundet und am Ende seiner Kraft aus der Wildnis aufgetaucht war. Aber Shannon war ein Mann, der keine Schuld unbezahlt ließ. Er würde nicht ruhen, bis er Pablo in dem geheimnisvollen Sklavencamp weit weg von hier an der Matagorda Bay gefunden hatte.
2
Die Plaza von Santa Catalina lag wie leergefegt vor dem schwerfällig rumpelnden Planwagen, an dessen hohen Bordwänden ein Durcheinander von Töpfen, Pfannen und Kochlöffeln klapperte. Der Mann auf dem Bock trug das schlohweiße Haar nach alter Grenzersitte bis auf die Schultern. Trotz der Hitze umhüllte ein langer verwaschener Mantel seine gebeugte knochige Gestalt. Bleierne Stille umgab ihn, als das monotone Stampfen der Hufe und Räderknarren beim lehmummauerten Dorfbrunnen aussetzte. Doch über sein faltenzerfurchtes Gesicht flog ein rissiges Grinsen. Kichernd griff er nach einer Schnur, die vom vom Planendach baumelte. Er zog kräftig daran. Eine Glocke bimmelte.
»Hallo, Señoras, Señoritas und Señores! Bob Chesterman ist da, um euch all die hübschen Dinge zu verkaufen, die ihr schon lange gern haben wollt! Beste Ware, spottbillige Preise, Amigas und Amigos! Ach, was sage ich! Ihr bekommt all die Herrlichkeiten ja fast geschenkt! Überzeugt euch selbst davon! Seht nur, was …«
Seine Hand sank herab. Das schrille Bimmeln der Glocke, das seine Worte begleitet hatte, erstarb. Der weißhaarige Händler starrte ärgerlich auf den sichelbärtigen Mexikaner, der mit einer alten Vorderladerflinte in den Fäusten unter einem schattigen, strohgedeckten Vordach hervortrat. Der Mann trug die einfache weiße Leinenkleidung eines Peons. Seine nackten Füße steckten in Bastsandalen. Misstrauisch und so vorsichtig, als würde er sich einem Wagen voll wilder Raubtiere nähern, kam er über den heißen Platz.
Chesterman drehte den Kopf und spuckte wütend aus. »Hey, das ist aber kein Empfang, wie ich ihn gewohnt bin! Bin ich hier unter die Räuber gefallen? Was ist eigentlich bei euch los, Compadre?«
Der Sichelbärtige sah trotz der Flinte – vielleicht der einzigen Waffe, die es im Dorf gab – nicht so aus, als würde er sich wohl in seiner Haut fühlen. Ich bin Rafaelo Ruiz, der Alkalde. Es ist besser, wenn du weiterfährst, Gringo.«
»Was?«, brauste Chesterman auf. »Du willst mich fortschicken, obwohl ich den ganzen verdammten langen Weg nur zurückgelegt habe, um euch alle meine hübschen Sachen anzubieten? Das gibt‘s doch nicht! So was ist mir noch nie passiert, in meiner ganzen Laufbahn nicht, und ich bin weit herumgekommen, Amigo, das kannst du mir glauben! Bob Chesterman fortschicken, na so was! Wo sind denn deine Leute, Hombre? Was ist nur los mit euch? Jesus, Maria und Josef, jetzt sag bloß nicht, die Pest ist bei euch ausgebrochen!«
Seine knochige Gestalt klappte noch mehr zusammen. Erschrocken griff er nach den Zügeln, die er um die Seitenlehne gewickelt hatte.
Ruiz übersah das tückische Glimmen in den Augen des Oldtimers. »Wir wollen hier keine Fremden, das ist alles.«
»Aber verflucht noch mal, ich bin kein Fremder. Ich bin Bob Chesterman, der Glücksbringer, der überall willkommen ist!«
»Warst du in Santa Rosa?«, fragte Ruiz schwer. »Hast du gesehen, was dort geschehen ist?«
»Wieso? Ich komme vom Rio Nueces herauf. Santa Rosa? Hätte ich da vorbeikommen müssen? Du kannst mir ja den Weg dorthin beschreiben, Compadre. Aber erst, wenn du dieses Monstrum von Schießprügel weggelegt hast! Mach kein so finsteres Gesicht, Amigo. Lass deine Leute wenigstens ansehen, was ich mitgebracht hab.« Ächzend und steif nach den langen Meilen auf dem Bock, kletterte Chesterman herab. Schlurfend, ohne mehr auf die Flinte des Mexikaners zu achten, ging er um den Wagen herum, klappte das Heck herab und zerrte keuchend eine Kiste unter der lose herabhängenden Plane hervor. Ihr Gewicht riss ihn fast um, als er sie auf den Boden stellte.