Was dann herauskam, war ein Verhör, und auch das erschien den beiden Truckern im Grunde überflüssig. Der Commissioner hatte, egal, was sie antworteten, schon alles abgeschlossen. Und schließlich sprach er das auch aus: „Ganz klare Sache für den Schnellrichter. Zu schnell gefahren. Fahrtenschreiber sind für uns kein Beweis. Dieses europäische Zeug interessiert uns nicht. Dann Beleidigung, Nötigung und Körperverletzung, die auch noch vorsätzlich.“
„Moment mal, die beiden sind überhaupt nicht verletzt!“, protestierte Jim.
Die Type antwortete: „Irrtum. Die beiden sind gerade beim Arzt. Bevor Sie hereingekommen sind, habe ich den Anruf bekommen. Nackenzerrungen, Schultertrauma und leichte Gehirnerschütterung, bei beiden.“
Chris platzte heraus: „Die Gehirnerschütterung haben die offenbar jeden Tag, denn von denen ist doch keiner ganz dicht!“
Der Commissioner blickte kurz auf, lächelte frostig und sagte: „Das nehme ich auch noch in die Akten. Schwere Beleidigung ist das. Sie müssen wohl sehr viel Geld und Zeit haben, Gentlemen.“
Jim fragte nur: „Und wie stellen Sie sich vor, dass es weitergeht?“
„Schnellrichter. Morgen vielleicht. Er kommt aus der Distrikthauptstadt.“
„Da platzt unser Termin! Wir haben Terminfracht.“
„Ihr Problem, Mr. Stonewall, nur Ihr Problem. Nicht das meine. Sie können gehen, müssen aber in der Stadt bleiben und sich zur Verfügung halten. Der Zug ist vorerst bis zur Klärung stillgelegt. Guten Tag, Gentlemen!“
3
Vom Drugstore aus rief Jim bei Erwingson an. Nachdem er die ganze Sache haarklein erzählt hatte, antwortete Erwingson ohne sichtliches Bedauern: „Sie müssen den Termin halten, Stonewall. Das steht im Vertrag. Tut mir sehr leid, aber ich muss darauf bestehen. Zwei, drei Stunden später, das wäre zu verkraften, aber länger … Die müssen glatt ihre Produktion stilllegen. Haben Sie eine Ahnung, was so etwas kostet?“
Jim hatte verstanden. Und noch war ja alles zu schaffen, wenn der Schnellrichter morgen früh da war.
Er war es nicht. Die beiden hatten die Nacht im Führerhaus verbracht, waren beizeiten nach einem Frühstück bei Charly, dem Wirt der Cheeseburger-Bude, wieder auf der Polizeistation. Dann hieß es warten. Um elf Uhr war der Schnellrichter immer noch nicht da, und die Polizei tat, als habe sie nicht gen blassesten Schimmer, wann der Mann überhaupt käme. Da rief Jim ihn selbst an. Wieder aus dem Drugstore.
Er hatte Glück, bekam nicht nur die Sekretärin, sondern auch den Richter selbst „Heute? Ich weiß ja überhaupt nichts von dieser Sache.“
Jim erzählte es ihm, und der Richter hörte zu. Schließlich sagte der Richter: „Also vor übermorgen kann ich nicht. Beim besten Willen nicht. Ihr Frachtvertrag, wenn er mit Konventionalstrafe bedroht ist, sollte Sie nicht stören, Mr. Stonewall. Das ist einfach nicht zu schaffen. Ist es, wie Sie behaupten, müssen die Verursacher zahlen. Ist es nicht so, zahlen Sie. Aber alles wird objektiv festgestellt. Kanada ist kein Land der Wilden, wir sind ein Rechtsstaat.“
Jim rief danach bei CSM an. Nachdem er alles erklärt hatte, sagte der Prokurist: „Du lieber Himmel, da liegt bei uns ja die Produktion still! Das wird ein Riesenschaden!“
Mehr hatte er nicht dazu zu sagen. Jim und Chris warteten weiter. Viele Leute in Winders waren auf ihrer Seite, und Charly, der sehr beliebt war, führte zwischen seinen Hamburgers und Cheeseburgers große Reden. Jeder zweite Bissen, den Chris und Jim hinunterschluckten, ging auf Kosten des Hauses. Charly wollte das so. Es gab auch noch andere, die etwas spendierten. Ein paar Dosen Bier von Drugstorebesitzer, ein Paket mit geschnittenem frisch gekochtem Schinken und ein Dutzend Weißbrotstangen vom Bäcker, der als Junge aus Deutschland gekommen war und sich wie ein Kind über die Tatsache freute, dass die beiden einen MAN fuhren. Als sie ihm die Geschichte des RED BARON erzählt hatten, rannte Hartmann, so hieß der Bäcker, von einem zum anderen, um es weiterzuerzählen.
Später schenkte er Jim und Chris noch eine riesige Dauerwurst, die er selbst machte. Obwohl er ja eigentlich Bäcker war, schlachtete er auch selbst. Frisches Fleisch gab es nur bei ihm, und Würste bekamen nur gute Freunde.
Chris hatte beobachtet, dass der zerknautschte Streifenwagen aufgeladen und weggefahren worden war. Auch von Sonnenbrille und Schweinchen Dick wurde nichts mehr gesichtet.
Auch der Tag verging. Ein junger Reporter von irgendeiner Provinzzeitung tauchte auf, sprach mit Jim und riet ihm dann, sich einen Anwalt zu nehmen. Dann schrieb er alles auf und verschwand wieder.
Am folgenden Tag kam der Schnellrichter dann doch noch.
Er hieß Hamilton, war Ende dreißig. Ein langer dürrer Mann mit Brille, dunklem Anzug und roter Krawatte. Er begrüßte Jim wie einen guten Bekannten, sprach dann lange mit dem District Commissioner, auch mit dem weiblichen Lieutenant, dieser Vogelscheuche, und schließlich beraumte er die Sitzung ein.
Jim hatte schon ein paarmal, zumeist wegen zu schnellem Fahrens, in den USA Schnellgerichte erlebt. Es war hier ebenso, nur dass es die Fahne mit dem Ahornblatt und nicht das Sternenbanner war, das neben der Brüstung des Richterpodiums stand. Auf der Wand hingen die Bilder der englischen Queen Elizabeth II und die des kanadischen Präsidenten. Vorn residierte Hamilton mit seinem Holzhammer. Mit einem Schlag auf die Tischplatte eröffnete er die Sitzung. Nun hatten sich auch die vermissten Sonnenbrille und Schweinchen Dick eingefunden. Die sieben Zeugen, von
Chris zusammengetrommelt, waren auch zur Stelle.
Das ganze Geschäft dauerte zwanzig Minuten, dann war die Anschuldigung des Commissioners und der beiden Bullen zu einem Nichts zerschmolzen. Freispruch und eine rüde Ermahnung an die Polizei, lautete das Urteil. Für Schäden, hatte Hamilton noch gesagt, die den Truckern deshalb entstanden seien, müsste der Weg der Zivilklage beschritten werden. Dafür sei er aber nicht zuständig.
Die beiden könnten fahren.
Chris sparte sich das, was ihm so auf der Zunge lag, als er an Schweinchen Dick und Sonnenbrille vorbeimarschierte. Übrigens trug der Polizist seine Brille auch im Gerichtsraum.
Dann stiegen sie draußen in ihren Truck. Die Zeugen und viele andere winkten ihnen begeistert zu, und Hartmann kam wieder mit einer Wurst und zwei Stangenbroten. „Damit ihr unterwegs was zwischen die Rippen bekommt!“, rief er begeistert.
„Ihr seid Spitze!“, brüllte Chris aus dem Fenster, während der MAN schwarze Wolken aus den Auspuffen hinter dem Fahrerhaus zum Himmel pustete. Und ab ging die Post.
Jim trat drauf, aber sie würden es selbst mit einem Flugzeug nicht geschafft haben. Als sie spät abends bei CSM ankamen, wo die Fernseher und Videos zusammengebaut wurden, war es da wahrlich so still wie auf dem Friedhof. Abladen konnten sie erst morgen früh. Keiner mehr im Laden, erfuhren sie vom Pförtner.
Und der berichtete ihnen auch, dass den halben Tag die Produktion stillgelegen hätte.
„Verdammter Mist!“, schimpfte Chris. „Jetzt sind wir geliefert. Zeig mal den Vertrag, Jim!“
Dann lasen sie ihn beide Wort für Wort. 50 000 kanadische Dollar Konventionalstrafe, wenn die Verspätung zu Produktionsausfällen oder anderen Schäden führte, auch eventuelle Regressansprüche der zu Beliefernden hatte der Transporteur zu bezahlen. Aber dagegen war Jim versichert, nur nicht gegen die Konventionalstrafe. Das, und er wusste es genau, schloss seine Versicherung ausdrücklich nicht mit ein.
„Ach was, darüber muss ich eben mit Erwingson reden. Der hat zwar schon am Telefon verrückt gespielt, aber es ist doch alles bewiesen. Wenn alle Stränge reißen, bezahlt die Polizei in Winders. Machen wir uns also keine Gedanken.“
Am nächsten Morgen gegen fünf kamen die Lagerarbeiter und luden ab. Jim und Chris mussten dabei mithelfen, damit es schneller ging.
Etwa