„Sieh dir die Spuren an. Valdez!“, befall Ortega einem sichelbärtigen, lederhäutigen Soldado, dessen dunkle Hautfarbe mindestens Dreiviertel Indianerblut verriet. Valdez bewies gleich darauf, dass er ein Mann vom Fach war. Vielleicht konnte er sich auch deshalb die ziemlich lässige Ehrenbezeigung und das piratenhafte Grinsen gegenüber dem Capitan leisten.
„Nur ein Mann ist auf dem Pferd geflohen, Señor Capitan, sonst müssten die Hufabdrücke tiefer sein. Ich wette, es ist Santillo. Denn da drüben sind Stiefelspuren, die sich auf dem Felsboden verlieren. Sie stammen von dem Gringo, der sich Shannon nennt.“
Ortega lachte. Es hörte sich an wie das Brechen von Glas.
„Dann haben wir ihn bereits! Ein Mann zu Fuß in der Sierra! Das ist ungefähr so, als würde ein Käfer hilflos in einem Steinbecken herumkrabbeln. Dabei hat er nicht mal die Wasserflasche mitgenommen!“
„Aber die Landkarte in der Satteltasche fehlt, Señor Capitan!“, meldete ein anderer Soldat hastig.
„Um so besser!“, triumphierte Ortega.
„Dann weiß er, dass es die einzige Wasserstelle weit und breit sechs Meilen nördlich von hier gibt. Dann brauchen nur ein paar Mann hinzureiten und dort auf ihn zu warten. Lopez, Alvaro, Carranza! Ihr übernehmt das! Bringt mir den Gringohund lebend, wenn es geht, aber zögert nicht, ihn voll Blei zu pumpen, wenn er sich widersetzt.“
„Zu Befehl, Señor Capitan! Drei Hände zuckten militärisch hoch. Drei schwarze Augenpaare blitzten entschlossen. Es waren gefährlich aussehende Burschen, die ihre struppigen Kavalleriepferde aus der Gruppe lösten und nach Norden davonsprengten. Ortega winkte herrisch.
„Ihr anderen, mir nach! Wir werden diesmal nicht ruhen, bis wir den verfluchten Rebellenschuft zur Strecke gebracht haben!“
„Und das Pferd, Señor Capitan?“
„Erschießt es! Es lahmt ja. Wir haben noch zwei Reservetiere, und wir werden auch Santillos Pferd bekommen. Er ahnt nicht, dass noch andere Militärpatrouillen die Berge zwischen hier und dem Rebellenschlupfwinkel durchkämmen. Sie werden ihn uns direkt in die Arme treiben. Ich sehe ihn schon vor den Gewehren meines Erschießungskommandos auf dem Hof des Gouverneurspalastes.“
Shannon juckte es in den Fingern, dem uniformierten Menschenjäger einen dicken Strich durch die Rechnung zu machen. Seine Faust schloss sich fester um den Knauf des Armeerevolvers, den er dem Capitan abgenommen hatte. Aber Shannon war kein Mann, der aus dem Hinterhalt auf einen Gegner feuerte.
Und im Grunde wollte er nur eines: mit heiler Haut aus der Sache herauskommen und über die Grenze verschwinden.
Ein Schuss krachte, ein letztes klägliches Wiehern, dann jagten Ortega und seine Soldados zwischen den Felsen davon. Shannon wartete zehn Minuten, bis er sicher war, dass keiner zurückkam, dann kletterte er hinab. Es war heiß und still. Shannon nahm die Wasserflasche vom Sattel des toten Pferdes. Dann kramte er die Armeekarte hervor und suchte auf ihr die Wasserstelle, zu der Ortega drei seiner Leute geschickt hatte. Sechs Meilen Luftlinie. Das bedeutete in diesem Gewirr von Felsmassiven, Schluchten. Arroyos mindestens die doppelte, wenn nicht dreifache Entfernung für einen Mann, der zu Fuß dorthin wollte.
Shannon zögerte nicht lange. Er marschierte entschlossen los, so verrückt das auch sein mochte. Aber Revolver und Wasserflasche nützten ihm nicht viel, solange er kein Pferd hatte, das ihn aus dieser Todeszone heraustrug. Es gab nur eine Lösung: er musste es sich von Ortegas Soldaten holen. Also biss Shannon die Zähne zusammen, als ihm nach ein paar Stunden die Knie weich wurden und die mörderische Sonne jede Feuchtigkeit aus seinem Körper herauszubrennen schien. Kein Mann des Sattels wäre von so einem Marsch begeistert gewesen. Zum Glück trug Shannon nicht die üblichen hochhackigen Cowboyboots, sondern Weichlederstiefel mit flachen Absätzen, in denen er verhältnismäßig gut vorankam.
Die Hitze war wie ein Bleipanzer, der ihm die Brust zusammendrückte. Felsen. Felsen. Felsen! Dazwischen Sandstreifen, Dornbüsche, Kakteen. In dieser gottverlassenen Gegend war nichts von dem Mexiko zu spüren, das Shannon mochte: Das Mexiko der grünen Täler, weißen Häuser, der Palmen und Olivenhaine, aus deren Dämmerschatten weiche Marimbaklänge drangen. Shannon zog eine saure Grimasse, als er an den im Steinbecken herumkrabbelnden Käfer dachte, den Ortega erwähnt hatte. Ein nur zu passender Vergleich! Denn nach ein, zwei weiteren Stunden deutete noch immer nichts darauf hin, dass dieser verlorene Punkt namens Shannon jemals wieder aus diesem gigantischen Steinhaufen herauskommen würde. Aber wenn Shannon sich einmal an einem Ziel festgebissen hatte, dann konnte ihn höchstens noch eine gut gezielte Revolverkugel stoppen.
Er gab nicht auf!
Er wusste nicht, wie viele Meilen und Stunden hinter ihm lagen, als er von einer felsigen Höhe aus die blinkende Oberfläche des Tümpels in einer schüssellförmigen Senke sah. Rasch duckte er sich in den Schatten. Die Sonne stand schon weit im Westen. Abgrundtiefe Stille ringsum. Kein Lebewesen weit und breit.
Aber Shannon zweifelte nicht daran, dass sie da waren, auf ihn warteten. Auf einen ihrer Meinung nach ahnungslosen Mann, der sich mit letzter Kraft zum Rand der Wasserstelle schleppen würde, ein wehrloses, todgeweihtes Wild vor ihren schussbereiten Gewehren.
Shannon lächelte grimmig. Er trank den brackigen Rest aus der lederüberzogenen Feldflasche und ließ sie zwischen den Felsen liegen. Sollten die Kerle ruhig glauben, dass er auf dem ganzen langen Weg keinen Tropfen Flüssigkeit über die Lippen gebracht hatte! Er kroch vorsichtig den Hang hinab, lautlos, wendig wie eine Schlange. Kein Apache hätte es besser gekonnt. Die Strapazen waren vergessen. Er war wieder der Mann mit Muskeln und Sehnen wie aus Stahl, mit der Geduld und Kaltblütigkeit des erfahrenen Kämpfers, der schon durch hundert Gefahren und Abenteuer gegangen war. Ein Mann, der eins zu werden schien mit den langen Schatten der Felsblöcke und Dornbüsche, als ein Stein vor ihm klirrte.
Fünf Minuten geschah nichts. Dann tauchte die spitze Krone eines Sombreros für einen Moment über einem Felsen auf.
Einer von Ortegas Gewehrschützen! Wo steckten die beiden anderen? Und vor allem: wo waren die Pferde?
Shannon blieb nicht mehr viel Zeit. Bald würde die Sonne untergehen. Er musste die Sache wieder mal auf seine ganz spezielle Weise lösen: Revolverpoker!
Er schob sich lautlos auf dem Bauch weiter. Zoll für Zoll, unendlich geduldig, bis er den Atem des Soldados hinter dem Felsen hören konnte. Shannon richtete sich geduckt auf. Der Sechsschüsser lag in seiner Rechten. Aber alles war verloren, wenn er jetzt schießen musste. Er lehnte sich an den Felsen, hielt eine Hand schräg vor den Mund.
„He, Compadre!“, raunte er mit verstellter Stimme. Prompt tauchte der Kopf des Soldado hinter dem Felsklotz auf. Shannon packte ihn blitzschnell am Kragen und riss ihn zu sich heran. Der spitzkronige Sombrero dämpfte den Schlag mit dem Revolverlauf. Sachte ließ Shannon den Bewusstlosen auf die Erde sinken. Er lauschte. Nichts! Kein Schnauben, kein Hufestampfen! Und kein Schatten einer Bewegung von den beiden anderen lauernden Mexikanern!
Shannon kroch ein Stück von der Stelle weg, wo er den einen erwischt hatte, schob Ortegas Revolver vorn in den Hosenbund und richtete sich aus seiner Deckung auf. Die beiden übrigen, zwischen den Felsen versteckten Soldaten sahen eine staubbedeckte, schwankende Gestalt, die sich offenbar mit letzter Kraft auf den von einer unterirdischen Quelle gespeisten Tümpel zubewegte. Shannon spielte seine Rolle mit der Hingabe eines Mannes, der weiß, dass zwei Karabinermündungen jeden Schritt von ihm verfolgten. Er keuchte, stolperte, schien besessen von der Gier nach dem Nass.
Ein halbes Dutzend Yard vor dem Tümpel kippte er um. Er wartete darauf, dass Ortegas Männer diese einmalige Chance beim Schopf packen würden, aber diese gerissenen Kerle rührten sich nicht. Sie ließen ihn seelenruhig weitermachen, als hätten sie Spaß daran, einem