Diese Phase kam der Explosion eines Regenbogens gleich und repräsentierte die große Artenvielfalt, die dem bevorstehenden Untergang voranging.
Wie Jazz und Rock’n’Roll ist der Superheld eine uramerikanische Erfindung. Diese Glorifizierung der Stärke, Gesundheit und der einfachen Moral scheint der unkomplizierten Mentalität des Mittleren Westens zu entsprechen und zu entspringen. Doch Superhelden waren in hohem Maße anpassungsfähig, und je mehr sie sich vermehrten, desto mehr passten sie sich ihrer Umgebung an.
Einer der ersten britischen Superhelden war Amazing Mr. X, ein Superman-Verschnitt. Mit schwarzem Umhang und Kapuze, in schwarzen Strumpfhosen und einer weißen Weste, auf der ein rotes X zu lesen war, unterschied sich dieser erbärmliche Abklatsch nur durch seinen Mangel an Professionalität von Superman. X hieß eigentlich Len Manners, dessen Kräfte einzig das Resultat harten Trainings waren. Er sah aus wie ein Mann, der versuchte, einer Beschreibung Supermans gerecht zu werden, die ihm ein anderer Mann, der unter Alzheimer im Frühstadium litt, zukommen hatte lassen. Das Design war schlicht und grafisch, aber seinem Charakter haftete – wie beinahe allen britischen Superhelden – der modrige Geruch eines Flohmarktes an. Er hinterließ den verdorbenen Beigeschmack von Rationierung und Auszehrung – gekleidet in ein Kostüm, das sich auch aus kuriosen Kleidungsstücken von der Heilsarmee hätte zusammenstellen lassen.
Dann gab es noch Ace Hart, Atomic Man, Captain Magnet und den fragwürdigen Electroman, der eigentlich der Erzkriminelle Dan Watkins war, der, als seine geplante Exekution fehlschlug, mit den Kräften des elektrischen Stuhls ausgestattet wurde – was zu einem Sinneswandel und dem Entschluss führte, von nun an das Böse zu bekämpfen, wo immer es ihm über den Weg laufen sollte. Wie ihre amerikanischen Cousins kleideten sich die britischen Helden in enganliegende Kampfpyjamas, aber irgendwie sahen sie an ihnen schmuddelig und faltig aus. Die Strongmen of Blighty erhofften sich gar eine Stärkung ihrer teigigen und wenig beeindruckenden Muskeln durch eine Diät, bestehend aus Porridge und Corned Beef.
Auch anderswo kam es zu Mutationen. In Japan gab es etwa Astro Boy (1951) und seine seltsamen Gesten und Stakkato-Schreie. Er war ein Roboter-Junge, ein Techno-Pinocchio, dessen Story zuletzt in einer aktualisierten und den Regeln der realen Welt unterworfenen Version von Naoki Urasawa im Film Pluto (2007) erzählt wurde. Gigantor (1964) entsprach meinem Kindheitstraum, eine Fernbedienung für einen neun Meter großen mechanischen Mann zu besitzen. Ich stellte mir vor, auf seinem Rücken zu sitzen und ihn mittels der Fernsteuerung die Wände meiner Schule pulverisieren zu lassen. Später kam noch Marine Boy (1967) hinzu, der „Oxygum“ kaute, um unter Wasser atmen zu können. Der japanische Superman hieß Ultraman – ein gesichtsloser Roboter mit der Seele eines Helden.
Frankreich konnte mit Le Chat, Fantax, Satanax und anderen Namen aufwarten, die einem beim Scrabble viele Punkte einbringen würden. Diese Helden waren feurige und oft skrupellose Erben von Fantomas, des Pariser Superdiebes, erdacht von Pierre Souvestre und Marcel Allain, der von den Surrealisten geliebt wurde. Ihre Heldinnen – wie etwa Jean-Claude Forests Spacegirl Barbarella – waren langbeinige, Brigitte Bardot nachempfundene Verfechterinnen der freien Liebe, die auch Roboter oder gar Monster nicht von ihren amourösen Eskapaden ausschlossen. Barbarella beispielsweise poppte sich durch den Kosmos mit dem sorglosen Blick einer großäugigen Debütantin. In Roger Vadims schräger Verfilmung von 1968, wurde sie von Jane Fonda verkörpert, was, so muss ich zugeben, verantwortlich war für mein eigenes, fieberhaftes sexuelles Erwachen war.
Auch Italien hatte einige so sexy wie brutale Antihelden zu bieten. 1962 kreierten die Schwestern Angela und Luciana Giussani Diabolik, einen umgekehrten Batman, der sich in Weiß kleidete. Er war die Art Held, die Batman gewesen wäre, wenn er sich entschieden hätte, auf das Gesetz zu scheißen. Diabolik war eine weitere Fantomas-Überarbeitung, ein Meisterdieb, attraktiv, intelligent und enorm wohlhabend. Er fuhr einen Jaguar, und seine ständige Begleiterin war eine umwerfend brillante Überfrau namens Eva Kant. Diese Charaktere wurden 1968 perfekt von John Phillip Law und Marisa Mell in der Verfilmung Diabolik dargestellt. Der Erfolg dieser Figur inspirierte darauf eine Vielzahl von Trittbrett fahrenden Antihelden und führte zum Aufstieg der umstrittenen Fumetti neri oder „schwarzen Comics“ in Italien. Figuren wie Kriminal, Satanik oder Sadistik entwickelten Diaboliks an Nietzsche angelehnte Amoralität zu neuen Extremen von Sadismus und sexueller Gewalt weiter, was Mitte der Sechziger sogar zu einem Verbot führte. Der monströse Kriminal wurde kastriert und gezwungen, als charmanter Gentleman-Dieb wiederzukehren, der allerdings wenig Anziehungskraft auf den Leser ausübte.
Die unbewusste Leichtigkeit, mit der die Superhelden eines jeden Landes fröhlich die stereotypen Eigenschaften ihrer jeweiligen Heimatländer verkörperten, war beinahe schon beschämend. Wie in der Musik spielten sie alle ihre eigene Version eines US-amerikanischen Sounds, aber nur Amerika hatte das einzig Wahre zu bieten – Pfadfinder in explosiven Kampfszenen, grelle Kostüme und seifiges Drama. Wenn sich Briten am feinen Sound der Superhelden versuchten, klang das wie das Geflirre von Indie-Rock, ein im Dauerregen perfektioniertes, nasales Geschluchze. Europäische Helden interpretierten die Superhelden in der Art von Gainsbourg mit einer schurkischen, zynischen und nonkonformistischen Sexualität. In Japan lief der futuristische Elektro-Sound von Maschinenmännern und mutierten Monstern, ein Echo der Atombombe.
Als amerikanische Comics sich dem Rest der Welt zu öffnen begannen, führten sie ihre eigenen Versionen von ausländischen Figuren ein, was sich zum Beispiel in Form des International Club of Heroes (1955), einer Gruppe von Batman-Entsprechungen aus verschiedenen Ländern, manifestierte. Es gab die nationalen Stereotypen: den als römischer Legionär verkleideten Verbrechensbekämpfer oder den Musketier, der die Pariser Unterwelt aufmischte. The Knight and the Squire waren ein aristokratisches Vater-Sohn-Gespann, das Ritterrüstungen trug und auf Motorrädern, die wie Schlachtrösser aussahen, über Pflastersteinstraßen brauste, wenn es gebraucht wurde.
Britische Vertreter hatten ihre Wurzeln generell im Bereich der Legenden und Geschichte. Als sich Marvel vorsichtig auf den britischen Markt wagte, indem es 1976 begann, Captain Britain als wöchentlichen Comic herauszubringen, wurde diese Aufgabe dem amerikanischen England-Liebhaber Chris Claremont übertragen, da er schon ein oder zweimal vor Ort gewesen war bzw. sich für Fernsehserien wie Mit Schirm, Charme und Melone begeistern konnte. Er wandte sich umgehend den Steinkreisen einer Pseudo-Artuslegende zu, durch die der Captain seine Kräfte erhielt. Merlin war natürlich auch mit von der Partie.
Wie Captain Britain eindrucksvoll demonstrierte, verließ man sich auf lokale Legenden, um Superhelden mit erstunken und erlogenen Background-Storys zu fabrizieren. So bekam Großbritannien auch noch Beefeater, Godiva, Union Jack, Spitfire, Black Knight, Jack O’Lantern und viele mehr zu sehen.
Die einfachste Option war, den Look des Helden an einer Landesfahne zu orientieren, wie etwa den kanadischen Superhelden Weapon Alpha, dessen ansonsten stimmigen Einteiler ein enormes Ahornblatt schmückte. Sein Teamkollege Wolverine hatte seine Existenz zwar ebenfalls als Resultat dieses kurzsichtigen Zugangs begonnen, konnte sich jedoch von seinen Ursprüngen befreien und zu einem ausgwogenen Charakter entwickeln, was ihn schließlich zu einem der beliebtesten Comic-Helden überhaupt heranreifen ließ.
Während des Zweiten Weltkriegs breitete sich das Konzept der Superhelden wie ein Flächenbrand aus, erlosch aber dann zusehends und auf so mysteriöse Art und Weise, wie es entflammt war. Das Interesse der breiten Masse nahm ab 1945 stetig ab. Superhelden-Comics wurde durch Genre-Bücher aus den Regalen verdrängt, welche die