Das in den USA erst Anfang 1997 veröffentlichte, in Japan und Teilen Europas allerdings vom kaufenden Publikum bereits 1995 halbwegs wohlgelittene, radiotauglich abgeschliffene Rainbow-Album Stranger In Us All war alles andere als strange und perfekt und ließ einige vielversprechende Jam-Ideen vermissen (Doogie White berichtete von inflammierten Songs, die nie erschienen). Doch die Bühnenpräsenz der Band barst mitunter vor schierer Energie. Nicht ohne Recht feierte Andreas Schöwe, dem wir hier für seine treue Berichterstattung unbekannterweise danken möchten, in einem Tourreport für den Metal Hammer das „grandiose Comeback“ eines „der innovativsten Gitarristen der Rockgeschichte“. Schöwes Resümee nach dem nicht lange zurückliegenden „heftigen Ungemach bei Deep Purple“ kulminierte in der Feststellung, „daß der Gitarrist sogar im kleinsten Finger mehr Stil und Ausstrahlung besitzt als gut neunundneunzig Prozent der auf diesem Planeten nichtssagenden Unsinn verzapfenden Griffbrettwichser“.
Ja, man fühlte sich an die siebziger Jahre erinnert, als der bescheidene Mann mal fallengelassen hatte: „Ich kann jedem Gitarristen voll den Arsch abspielen.“ Blackmore trat auf wie einer, der bei sich war und „wie ein phantastischer Irrer“ (Kay Sokolowsky) übers Griffbrett derwischte (man sehe sich nur die halbwegs leicht erhältliche WDR-Rockpalast-Aufzeichnung vom 9. Oktober 1995 an), in sich versunken und zugleich voller Aufmerksamkeit für das, was sein Spiel beim Publikum auszulösen vermochte. „Temple Of The King“ vom ersten Rainbow-Album aus dem Jahr 1975 geriet aufgrund der hartnäckigen Intervention von Doogie White vielfach zu einem nicht wiederholbaren Exerzitium der Improvisation. Einen ahnungsvollen Eindruck davon vermittelt die in Europa veröffentlichte Maxi-CD „Ariel“ mit der am 2. Oktober 1995 in Stockholm aufgezeichneten „Temple“-Fassung.
In der Offenbacher Stadthalle legte der ab und an gewiß gewissermaßen unleidliche Mann, der 1982 mal ein Konzert im Pavillon zu Paris mit zweistündiger Verzögerung begonnen hatte, am 24. Oktober 1995 dermaßen los, daß einem, im „Axe-Up-Tempo-Gewitter“ (Metal Hammer) ertrinkend, das Hören inklusive des Sehens zu vergehen drohte. Und wer nach Dokumenten gräbt, die Blackmores Ingeniosität in besagter Periode belegen, sei unter den Myriaden von Bootleg-Belegen, etwa aus Appenweiler (Schwarzwaldhalle, 12. Oktober 1996) und Bad Wörishofen (Eissporthalle, vergleiche Metal Hammer 10/1996), auf den Schmallenberg-Mitschnitt vom 1. August 1996 verwiesen, auf dem wir eine „Mistreated“-Klage, ein „Lazy“-Impromptu, ein „Still I’m Sad“ inklusive der die „Smoke On The Water“-Idee pointierenden Interpretation des Kopfthemas von Beethovens Fünfter gewärtigen; beziehungsweise die Magie des von gedämpften Slowlines davongetragenen Intros bei „Ariel“ oder im „Blues“ (in Rock Hard war von „einer traumhaft geilen Kraftfutter-Performance“ die Rede – man müßte sie symbolisch aushungern, diese Journalisten).
Oder man entsinnt sich – bevor der ganze Kram wieder aufgrund von Blackmores Neigung, mit seinen Mitstreitern irgendwann kein Wort mehr zu wechseln und ihnen bei Bedarf live den Saft abzudrehen, in die Grütze rumpelt – des zweieinhalbstündigen Gigs vom 3. November 1995 im Londoner Hammersmith Odeon (man vergleiche die Drei-CD-Box Extra Long), als die Subalternen reichlich mehr als Dienstburschen abgaben und durch ein Set fegten, das von Albernheit, subtilem Stegreifchaos, witziger Launenhaftigkeit, rhythmischer Finesse bis zu ausschweifenden Solopartien alles bot, was ein Konzert mit Blackmore bieten kann (inklusive gestohlener Gitarre im Zugabenteil).
Was Blackmore später bewog zu behaupten, er habe von Anfang an gewußt, daß der Sänger nichts tauge, bleibt eines seiner nicht eben wenigen Geheimnisse; ebenso, was ihn dazu animierte, auf Pat Boones Big-Band-Parodiealbum In A Metal Mood – No More Mr. Nice Guy (1997) für einen „Smoke On The Water“-Gastauftritt geradezustehen (der dazugehörige Film stellt allerdings das trotz Spinal Tap bis dato komischste Dokument über die bizarren Rituale des Heavy Metal und seiner Protagonisten dar; etwa zeitgleich, das bleibe nicht unerwähnt, spielt Blackmore für das Shadows-Tribute-Album Twang! [1996] eine angenehm moderate Version von „Apache“ ein – und er schrubbt damit, auf einer Höhe mit Brian May oder Steve Stevens und Andy Summers, Beiträger wie Peter Frampton und Tony Iommi galant aus der Galerie). Ein Geheimnis bleibt desgleichen: weshalb er, Blackmore, das Projekt Blackmore’s Night zusammen mit seiner Verlobten Candice Night, einer ehemaligen Radiomoderatorin, die er Anfang der neunziger Jahre kennengelernt und die während der Rainbow-Tourneen background gesungen hatte, in Angriff nahm und bis heute nicht gestoppt hat. Nein, das ist und bleibt auch letztlich ein und sein wahres Geheimnis, ja Rätsel.
Am 31. Mai 1997, nach einer zum Teil glänzenden Frühjahrs-Nordamerika-Tournee (zumindest ein Amateurvideo vom Konzert in Toronto am 26. Februar bietet den Eindruck einer exzeptionellen Show), traten Rainbow im dänischen Esbjerg zum letztenmal auf, das erste Blackmore’s-Night-Album, Shadow Of The Moon, das „Lothar Matthias“ (sic!) sowie Blackmores 1965er Band Three Musketeers gewidmet ist und im Titel auf Mike und Sally Oldfields „Moonlight Shadow“ anspielt, war in Japan bereits erschienen und kam im Sommer in Europa auf den Markt.
Einen Monat bevor Blackmore Deep Purple 1993 verlassen hatte, hatte er dem Metal Star anvertraut, von dem, was er gerade mache, gelangweilt zu sein, und sich über die Unplugged-Welle ausgelassen: „Ich mag diesen Trend absolut nicht. Ich werde niemals unplugged spielen. Ich heiße nicht Eric Clapton, der so was von verdammt langweilig ist, genauso wie Rod Stewart.“ Vier Jahre später – was stört mich mein filigran gesponnenes Gerede von vorvorgestern? – legte der „Rockrüpel“ (gitarre & bass), des Riffgeochses und der ganzen Rockbandidee überdrüssig, ein gewaschenes Bekenntnis zu seinem recht eigenen, neuen Unplugged-Projekt ab: „Mit dreizehn mußte ich mich entscheiden, ob ich klassisch, mit allen meinen Fingern, spielen sollte oder elektrisch und ein Plektrum benutzen würde. Natürlich habe ich mich für das letztere entschieden. Nun gehe ich zurück und lerne, wie man mit den Fingern spielt. Mich fasziniert die Herausforderung, die akustische Gitarre zu spielen. Ich kaufe jetzt auch all diese Akustikgitarrenmagazine und bin ständig auf der Suche nach Akustikgitarren. Mit der E-Gitarre habe ich mich nur noch gelangweilt.“ – „Er spielt auf der akustischen Gitarre, das ist sein wahres Ich“, ergänzte Candice Night. Zum erstenmal in seinem Leben tue er das, was er wirklich tun wolle, bekannte Blackmore zudem. Den Rock ’n’ Roll habe er „nie genossen“. „Jetzt reicht’s“, erklärte Blackmore, „jetzt werde ich mittelalterlich.“ Da bleibt einem zunächst lediglich, mit Deep-Purple-Monograph Dave Thompson (Smoke on the Water – The Deep Purple Story, Toronto 2004) einen der „mutigsten“ Schwenks zu konstatieren, den ein „Gitarrenhero“ jemals vollzogen hat. Oder Blackmore selbst noch mal parlieren zu lassen: „Die Leute sagten früher immer zu mir: Warum machst du nicht mal irgendeine akustische Sache, warum spielst du keine ruhigen Parts? Aber jedesmal, wenn ich eine ruhige Passage gespielt habe, egal, ob bei Rainbow oder bei Deep Purple, brüllten und schrien die Leute weiter. Ich spielte leise, und die Typen brüllten: ‚Come on, get on with it!‘ Das war der springende Punkt, diese Art ‚negatives‘ Brüllen.“
Rainbow waren nun ein für allemal dahin, wohl auch wegen des höchst dubiosen Vertragsgebarens der neuen Blackmore-Managerin Carole Stevens, der Mutter von Candice Night (Näheres bei Roy Davies: Rainbow Rising – The Story Of Ritchie Blackmore’s Rainbow, London 2002). Noch 1997 kursierende Gerüchte über eine Reunion mit Dio, Cozy Powell und Bob Daisley konnten ad acta gelegt werden; die Summe, die Blackmore Dio angeboten hatte, soll zudem, gelinde gesagt, ein Scherz gewesen sein. Jetzt stand „Hartwurstgitarrenkönig Richard Schwarzmehr“, wie die Mannschaft des Megalomagazins Rock Hard einmal