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dem verdienten Erfolg der Platte einen fruchtbaren Boden zu bereiten und den Anschluß an den Underground nicht zu verlieren, nimmt die Band auch nach dem Ende der Aufnahmen alle Auftrittsmöglichkeiten wahr, die sich bieten. Nach einer Schottlandtournee Ende März und einem Auftritt im Londoner Roundhouse am 28. März fährt sie nach Berlin zum Peace Pop World Festival am 30. in der Sporthalle mit Achim Reichels Band Wonderland (die von der Bühne gepfiffen wird), Hardin & York, der Spencer Davis Group und The Nice, deren Keyboarder Keith Emerson sich für die Oldies-Zugaben „Walking On Down The Line“ und „Lucille“ zu Deep Purple ans Piano gesellt. Das friedensbewegte Berliner Publikum ist von der wenig friedlichen Darbietung der „ersten Hard-Rock-Band“ (so ein Augenzeuge rückblickend) ebenso begeistert wie zuvor das schottische und das am 4. April in Köln und zwei Tage später das in Wien – es fehlt nur noch das Album, um die Früchte der Live-Mühen zu ernten.

      Die Platte kann aber noch nicht erscheinen, denn, wir erinnern uns: Deep Purple haben in den USA kein Label mehr, und trotz unablässiger Bühnen-arbeit ist der Schuldenstand immer noch fünfstellig. Das erfordert geschicktes Geschäftsgebaren von den Herren Edwards und Coletta, um das Unternehmen endlich in die schwarzen Zahlen und die nach wie vor als Lohnsklaven angestellten Musiker aus der Schuldknechtschaft zu bekommen. Oder um den ganzen Laden überhaupt zu retten, denn mittlerweile ist auch die Firma HEC in Schwierigkeiten geraten: Geschäftspartner Ronald Hire hat wegen Hehlerei die Polizei am Hals und will seine Anteile aber nur gegen Bares an Edwards und Coletta abgeben. Der Konzern Warner Brothers wirft schließlich den Rettungsanker aus, kauft die Tetragrammaton-Künstler aus der Konkursmasse auf und bezahlt die ausstehenden Tantiemen.

      Fünfter statistisch-kritischer Einschub: DEEP PURPLE IN ROCK

      1. Speed King

      2. Bloodsucker

      3. Child In Time

      4. Flight Of The Rat

      5. Into The Fire

      6. Living Wreck

      7. Hard Lovin’ Man

      erschienen im Juni 1970 (Harvest/EMI beziehungsweise Warner Brothers)

      Die Rollenverteilung in der Heavy-Rock-Szene ist 1970 klar geregelt: Led Zeppelin als musikalische, lyrische, überhaupt: Visionäre, Großmeister, Rockgötter, überwältigend sexy und erhaben, und selbiges sowieso weit über das hinaus, was der Begriff „Heavy Rock“ umfaßt. Und Deep Purple als die Dumpfbackentruppe, die im Fahrwasser der Superhelden dahindümpelt, soviel Freigeist, Innovation und Abenteuer ausstrahlt wie die Tresenbretter in einem Londoner Vorstadtpub und ihre simplen Riffs aus ebensolchen Planken hobelt. Aber während Jimmy Page sich anstandslos beim alten Blues bedient, teilweise gleich noch Songtitel und Textfetzen mit ausrupft (wird schon keiner merken – wer hört 1970 Negermusik aus der Nach- oder gar Vorkriegszeit!), das Fremdgemüse zu bröckeligem Eintopf zusammenkocht und im Studio mit monströser Kompression auf Überlebensgröße aufbläst; während Robert Plant gurgelt, japst und jault, um holprige Phantasiebrücken zwischen Paarung und Pop zu zimmern, und zwischendurch als Textdichter mit pompöser Geste darauf hinweist, daß sein Bücherregal breit genug ist, um neben Tolkien auch noch ein Taschenbuch mit englischer Mythologie zu fassen – während all dessen stammen Ritchie Blackmores rhythmische und melodische Ideen wenigstens vorläufig und größtenteils noch aus den eigenen Handgelenken, erzeugt Ian Paice im Gegensatz zu John Bonhams Jahrmarkts­paukengewummer eine regelrecht moderne Dynamik, steuert Ian Gillan erstaunlich souverän durch die Anti-Pop-Untiefen des Purple-Playbacks (das Wort „Riff“ entfaltet diesbezüglich im Heavy Rock eine sehr deutliche Doppelbedeutung) und räumt freimütig ein, daß seine meistens im Studio eilig hingekugelschreiberten Zeilen gar nichts bedeuten und auch überhaupt nicht sollen. Das macht nicht viel, schließlich ist Rock Rock und keine Verkündigungsphilosophie – auch wenn manche das Ende der Sechzi­ger anders sahen und immer noch sehen –, und der Höllenschlund pseudo­magischer Logorrhöe beginnt dort, wo Uriah Heep ihre eklen Popanzkanonaden in die Bierbäuche brettern.

      Und daß Rock ab jetzt Rock sein wird und muß, dafür ist dieses Album – laut Blackmore „in Wirklichkeit unser erstes“ – Manifest, Beleg und Mahnmal für die Zukunft. Das beginnt mit dem einleitenden Feuersturm (den die US-Plattenfirma ihren Schafherden nicht zumuten wollte und deshalb wegschnitt), nach dem Jon Lord ein paar Sekunden lang nach „Für Elise“ suchen darf, ehe „Speed King“ losbricht, einer der Songs, die bis heute ein Doppelsynonym für Hard Rock und Deep Purple sind. Der Titel ist trotziges Programm: Anstatt sich weiterhin an Verlangsamung im Stil von Vanilla Fudge zu versuchen und daran meist doch zu scheitern, tritt die halbneue Rhythmusgruppe mit zentnerschwerem Bleifuß aufs Gaspedal, während links und rechts die Tasten- und Saitenraketen zum Überholversuch ansetzen und Ian Gillan der Konkurrenz, die nicht mal mehr die Rücklichter sieht, ein hämisches Lachen hinwirft. Das Riff ist, wie Roger Glover bereits „gestanden“ hat, vom Jimi-Hendrix-Stück „Fire“ runtergeschnitten, aber das merkt nur, wer es schafft, inmitten der polternden Raserei ein analytisches Ohr offenzuhalten. Nicht abzustreiten ist andererseits eine frappierende Ähnlichkeit mit „Children Of The Future“, dem Titelsong des Debütalbums der Steve Miller Band (1968). Wer möchte, könnte also behaupten, es sei der „rockhistorische Urschrei“ von Deep Purple (Malcolm Langley) im Grunde eine Zitatmelange. Andererseits ist das Rad eine so urtümliche und simple Konstruktion, daß seine mehr­malige Neuerfindung auch ohne Schielen auf ein Vorbild denkbar ist. Und es ist ja sowieso egal – schließlich ist auch Ian Gillans Text ein Cut-up aus Fifties-Rock-’n’-Roll-Zeilen, aus schierem Übermut zusammenhanglos aneinandergenagelt, um zu beweisen, daß bei derartigem Tempo jede Stringenz notwendig in Trümmer und Fetzen geht.

      „Bloodsucker“, laut Ian Gillan die erste von drei Nummern aus dem Themenkreis Drogen (die beiden anderen sind „Flight Of The Rat“ und „Into The Fire“), hat danach kaum eine Chance, denn schon dräut mit „Child In Time“ der nächste Riese am Firmament heran, „geboren aus dem ­genuinen Chaos einer tiefpurpurnen Rock-Supernova“, wie der Kritiker des Magazins Eclipsed noch dreiundzwanzig Jahre später in die Tasten delirierte. Der schwere, trockene Groove unter dem Stop-Start-Melodie­riff lüftet immerhin die Ohren, Blackmore und Lord liefern sich einen kurzen, wohlformulierten Dialog, und Ian Paice mag den Song am wenigsten missen: „Es war nicht so typisch für uns. Ich glaube, das war so ein Song, der vielen anderen Bands den Weg zu einem gewissen Spielstil gewiesen hat: richtig hart und brutal. Ein kleines Juwel!“ Sehr wohl – aber jedes kleine Juwel dieser Welt ginge unter in dem Höllenozean von brodelnder Lava, der folgt. „Child In Time“ ist „Child In Time“, Punkt. Oder Doppelpunkt: ein „Monu­mentalepos der Extraklasse“, „bestechend“ durch „die hypnotisierende Orgel-Introduktion von Lord“ und „die von Paice brillant percussierten, silbrig-schimmernden Beckenklänge“, das „kulminiert in einem Gillanschen Totalorgasmus“ (wiederum Eclipsed). Ob der weiblichen Hälfte der Mensch­heit die erotisierende Wirkung der „ekstatisch-schneidenden Schreie“ ebenso gut vermittelbar ist, war oder wäre wie dem gestiefelten Hard-Rock-Connaisseur, sei dahingestellt. Erwähnen hingegen muß man neben der Inspiration durch „Bombay Calling“ von It’s A Beautiful Day – Ian Gillan: „Jon war fasziniert von diesem ting, ting, ting“ – auch hier das eloquente Zwiegespräch von Orgel und Gitarre, obwohl oder weil ­Blackmore bei „Child In Time“ das einzige Mal auf dem Album die Stratocaster im Koffer läßt, statt ihrer die alte Gibson spielt (was ihn weitgehend zum Verzicht auf den ansonsten rück­sichtsfreien Einsatz des Vibratohebels nötigt) und sich bis Zeitmarke 3:33 aufs Mitrhythmisieren beschränkt. Da wirbeln die Finger über die Saiten, daß man staunt, wie viele Noten in einer Sekunde Platz haben, und als sich Lord in den dann wirklich hypnotisch repetitiven Kaskadenchor mit hineinreißen läßt, bleibt ihm nicht viel mehr zu tun, als Black­mores Argument zu unterstreichen – wer mag, darf ­hierin gern eine Allegorie auf das Gezerre um die musikalische Ausrichtung der Band sehen; das „Duell“ im Finale endet entschieden.

      An „Flight Of The Rat“, das aus einer Spielerei mit „Flight Of The ­Bumble Bee“ entstand, fasziniert besonders der Klang von Ritchie Blackmores Rhythmusgitarre. Die tönt derart bretthart, fast völlig höhen- und tiefen­frei und primitiv wie ein Pflasterstein, als hätte Blackmore vorgehabt, nicht nur Jimi Hendrix, sondern auch