Mit seiner von den wichtigsten spirituellen und kulturellen Elementen des Rastafari geprägten Botschaft, die hartnäckig und mit Recht die Verfälschung und Verstümmelung der afrikanischen Geschichte durch die westlichen Religionen und die kolonialistische Geschichtsschreibung anprangert (»Zion Train«, »Music Lesson«), verkörpert Bob Marley mehr als bloßen sozialen Protest im engeren Sinne.
Er konfrontiert die Menschheit mit einem historischen Ansatz, der bis dahin im Wesentlichen ignoriert und dann mehr und mehr akzeptiert, studiert und wiederaufgegriffen wurde. Seine von der Rastafari-Religion geprägte Theologie in Kombination mit seiner Berühmtheit hat ihn zum Objekt vielfältiger Heiligenverehrung gemacht. Viele sehen ihn in diesem Zusammenhang als ersten multimedialen Propheten, der als Sohn eines Weißen und einer Schwarzen zum Symbol einer vereinigenden Rassenvermischung auf einem Planeten wird, dessen Zukunft in erheblichem Ausmaß von einem besseren Verständnis der Vergangenheit abhängig ist. Wie Jack Healey von Amnesty International nicht müde wird zu betonen, ist Bob Marley »das Symbol der Freiheit auf der ganzen Welt« geworden.
Oder wie die New York Times 15 Jahre nach seinem Tod vielleicht gleichermaßen ironisch wie prophetisch schrieb: »Im Jahr 2096, wenn die ehemalige Dritte Welt die ehemaligen Supermächte besetzen und kolonisieren wird, wird man Bob Marleys wie eines Heiligen gedenken.«
Mein nun folgender Augenzeugenbericht vermittelt einen Einblick in den Alltag einer der bedeutendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Er kontrastiert die einsetzende Mythen- und Legendenbildung mit einer realistischeren Sicht auf die Geschichte des Menschenfreunds Bob Marley, der sich damals auf dem Höhepunkt seines Ruhmes und einer erdumspannenden Popularität befand, die bis heute beispiellos sein dürfte.
Mark Miller, im Februar 2011
Großen Dank schulde ich
Bob Marley
(denn ohne Bob wäre das alles nicht möglich gewesen)
Junior Marvin
Den Wailers
Dennis Thompson
Roger Steffens
Ziggy und Stevie Marley
Fully Fullwood
Große Liebe und Dankbarkeit empfinde ich auch für meine zwei Söhne Matthew Miller und Harrison Miller. Und natürlich auch für Florence Morcamp, deren Beharrlichkeit und Liebe mein Leben verändert haben. Ohne sie hätte ich nicht den Mut gehabt, dies zu schreiben …
MM/November 2010
Die Bilder in diesem Buch stammen aus den Archiven von Mark Miller, Junior Marvin, Roger Steffens und vielen anderen, die ihre Bilder »mit freundlicher Genehmigung« zur Verfügung gestellt haben. Ich danke ihnen allen von ganzem Herzen.
MM
Mark Miller lernte ich 1978 auf der Kaya Tour von Bob Marley and the Wailers in den USA kennen. Ich, Junior Marvin, war damals Leadgitarrist und Backgroundsänger der Band, und Mark war unser Stage Manager. Wir schlossen sofort Freundschaft; ich hielt ihn anfangs für einen Musiker, weil er sich wie ein echter Rock-and-Roller kleidete.
Ein paar von uns gingen zusammen einkaufen und besuchten Clubs und Restaurants. Mark gehörte zu dieser Gruppe. Wir sprachen über unsere Shows, Rasta, Sport und was sonst so lief. Wir waren alle sehr engagiert, was die Tour und die Musik betraf, und sprachen oft darüber, wie man alles besser und effizienter gestalten konnte.
Die Arbeit mit Bob war super. Er war ein ausgezeichneter Bandleader. Wir nannten ihn den »Skipper«, weil er so gern Fußball spielte. Er war wie der Kapitän unserer Fußballmannschaft. Wir stellten Positive Vibrations mit Agenten, Tourneeveranstaltern und Fans her, und das hat sich bis heute nicht geändert.
Auch heute noch, 30 Jahre nach jener ersten gemeinsamen Tournee, sind Mark und ich immer gute Freunde. Im Augenblick sind wir auf der Tournee Tosh meets Marley mit Fully Fullwoods Band und mir und mit Mark als Stage Manager.
Ja, der Rasta, Roots, Rock, Reggae Zug rollt weiter.
Respekt, Bro Mark!
JAH LIEBT UNS ALLE.
One Love.
Junior Marvin-Hanson
»Die guten Zeiten heute, sind die traurigen Gedanken, von Morgen.«
Bob Marley
Juni 1978 in Los Angeles. Wie üblich war es heiß, versmogt und sehr laut. Ich arbeitete als Night Manager bei Studio Instrument Rentals (S. I. R.), einer Verleihfirma für Musik-Equipment in Hollywood, und steckte voll in der üblichen Hollywood-Hektik. Obendrein erhielt ich jeden Tag eine Menge Anrufe von aufgeregten »Künstlern«, die ihre Ausrüstung zu spät oder noch gar nicht bekommen hatten. Dann jedoch kam ein Anruf, der uns alle total überraschte.
Ein Tourneeveranstalter im Bundesstaat Washington bestellte das komplette Equipment für die berühmten Village People[1], die zwei Wochen in Seattle auftreten würden. Ich nahm den Auftrag an und fragte das Team bei S. I. R., wer die Ausrüstung nach Seattle fahren wolle. Keiner hatte Lust, aber ich kriegte eine Menge miese Schwulenwitze zu hören. Ich bot alle möglichen Anreize auf, aber die Jungs blieben hart. Keiner wollte nach Seattle fahren. Und vor allem wollte keiner in einem dunklen Club sitzen und zwei lange Wochen die Village People hören. Sie waren damals sehr populär und verkörperten bei ihren Konzerten einen Polizisten, einen Bauarbeiter, einen Soldaten, einen Biker, einen Cowboy und einen Indianerhäuptling. Mir war natürlich klar, warum keiner von den Leuten bei S. I. R. nach Seattle fahren wollte …
Die Zeit war knapp, weil der Tourneeveranstalter das Equipment so rasch wie möglich haben wollte, und weil es ein ruhiger Sonntagmorgen war, beschloss ich, das Zeug persönlich mit dem Dreitonner nach Seattle zu fahren. Ich winkte meinen Mitarbeitern nochmal zu, die sich auf der Laderampe dumm und dämlich lachten, und fuhr ab. Bei dem 7-Eleven an der Ecke Sunset Boulevard und Highland Avenue machte ich noch einen kurzen Zwischenstopp und deckte mich mit Fressalien ein, eine alte Methode von mir, mit der ich lange Fahrten ein bisschen erträglicher gestalte. Ich fuhr auf der Highland nach Norden, vorbei an bleichen Frühaufstehern, die sich mühsam auf einen neuen Tag in LA-LA-Land einstellten. Nach der Hollywood Bowl fuhr ich auf dem Freeway 101 nach Norden und ließ den ganzen Gestank und Dreck von Hollywood hinter mir.
In meiner Jugend hatten die Freeways ihren Namen noch verdient, und man hatte sich überall in der Gegend von Los Angeles noch frei bewegen können. Aber 1978 waren die Freeways schon genau wie heute alles andere als frei. Von etwa fünf Uhr morgens bis spät in der Nacht hat man Glück, wenn man 40 Kilometer in der Stunde schafft.
Von Los Angeles bis Seattle sind es etwa 1900 Kilometer, und die Fahrt dauert mindestens 20 Stunden, je nachdem wie oft man unterwegs anhält. Ich hielt nur, wenn ich tanken oder pissen musste, und powerte mit dem Dreitonner durch Nordkalifornien und Oregon, bis ich am frühen Morgen in Seattle ankam, wo ich direkt zum Veranstaltungslokal fuhr. Der Club war noch zu, also stieg ich wieder ins