Die Doors, Jim Morrison und ich. Ray Manzarek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ray Manzarek
Издательство: Bookwire
Серия: Rockgeschichte
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454519
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hatte er einen großen Sieg errungen, er war in eine Welt gelangt, in der er endlich leben konnte. Sein Leben war ein langes, ­angespanntes Drama des Widerstands und der Auflehnung gegen jede Art von Zwang gewesen. Aber jetzt, in diesem Augenblick, hatte er die ­Widerstände überwunden und verschwand frei und gelöst in der Nacht.

      D. H. Lawrence

      Erstes Kapitel

      Jim Morrisons Tod

      Wir wissen nicht, was mit Jim Morrison in Paris geschah. Und ehrlich gesagt, ich glaube nicht, daß wir es jemals erfahren werden. Die Wahrheit wird verdeckt durch Gerüchte, Anspielungen, eigennützige Lügen, durch Projektionen zum Schutz ­eigener Unzulänglichkeien und Seelennöte – und durch schlichte Dummheit. Es gibt einfach zu viele widersprüchliche Theorien. Er ging ins Kino (wie Oswald). Nein, er ging nicht ins Kino, er ging in eine Bar namens Rock & Roll Circus. Offensichtlich ein verrufener französischer Schuppen, Van Goghs „Nachtcafé“ nicht unähnlich … „Es war einer dieser Orte, an denen ein Mann wahnsinnig werden oder ein Verbrechen begehen konnte.“

      We could plan a murder, or start a religion.

      Er ging nicht in den Rock & Roll Circus – er war mit Pam zu Hause. Nein, er wurde von drei französischen Lebemännern nach Hause gebracht. Im Koma. Er hatte Heroin genommen. (Soweit ich weiß, hat Jim niemals Heroin probiert. In den Staaten jedenfalls garantiert nicht. Pam allerdings schon. Und ihr gefiel es. Aber den meisten Leuten, die es probieren, gefällt es nun mal … ist das nicht ganz ­normal?) Nein, er war betrunken. Sie hatten ihn ins Bett gebracht. Nein, er war überhaupt nicht weggegangen, er war krank. Er war am Tag zuvor bei einem Arzt gewesen. Eine böse Erkältung. Pam wollte für die beiden abends kochen. Nein, sie gingen zum Essen aus und verbrachten dann den Rest des Abends in irgend­welchen Clubs. Nein, er ging früh ins Bett und wachte dann um Mitternacht auf, er fühlte sich nicht gut und brauchte ein Bad, um sich aufzuwärmen – was das Wasser angeht, werden sich alle einig. Das flüssige Element. Die Wasser des Unbewußten. Der Mutterleib. Eintauchen. Taufe. Reinigung. Die wunderbare letzte Ruhe in den Wassern der Mutter. Pam war nicht einmal da. Sie war weggegangen, um sich mit dem Grafen zu treffen. Man nannte ihn stets nur „den Grafen“. Er war ein Adliger. Pam umgab sich gern mit Blaublütigen. Seinen Namen konnte man nicht aussprechen. Wir konnten kein Wort Französisch. Wir waren Amerikaner. Über die Kunst, die Musik, die Literatur und die Filme wußten wir Bescheid, aber die Sprache verstanden wir nicht. Wie dieser Graf hieß, weiß ich bis heute nicht. Ich weiß, daß er Jims Rivale bei Cinnamon Pam war. Aber er ist mittlerweile auch tot. Das Heroin hat ihn auf dem Gewissen.

      Nein, Pam war mit Jim im Bett. Sie wäre nicht weggegangen, wenn er sich nicht gut fühlte. Nein, er war im Bad. Er rief ihr die letzten Worte aus der Wanne zu. Sie hörte ihn durch die Tür hindurch.

      (Ich sah sie ein Jahr später, in einem Restaurant in Marin an der Küste, über die Bay, auf der anderen Seite der Brücke von San Francisco. Sie war völlig am Ende. Fertig. Ich konnte sie nur in den Arm nehmen und versuchen, sie zu trösten. Es war unmöglich, die notwendige Frage zu stellen: „Was war ihm passiert?“ Sie weinte. Sie brachte nur heraus, wie sehr sie ihn liebte. Wie sehr sie ihn brauchte. Wie sehr sie ihn vermißte und wie blaß die Welt ohne ihn war. Aber dann sagte sie: „Weißt du, was seine letzten Worte waren?“ Ich dachte: „Mehr Licht“. Oder vielleicht: „Heureka“. Oder, am wahrscheinlichsten: „Eins“.

       „Nein, Pam“, antwortete ich, „was hat er gesagt?“

      Sie sah mich an, zerbrechlich, zerstört, Tränen liefen ihr über die Wangen … „,Pam, bist du noch da?‘“, schluchzte sie. Und dann wiederholte sie es noch ­einmal. Ganz weich, in ihrer Kleinmädchen-Stimme, wie zu sich selbst … „,Pam, bist du noch da?‘“

      Ich versuchte, dieses verwirrte kleine Mädchen zu beruhigen: „Das ist wunderschön. Seine letzten Gedanken galten dir.“ Und sie begann wieder zu weinen.)

      Sie schlief dann wohl wieder ein, wahrscheinlich glücklich und zufrieden. Ihr Geliebter war bei ihr. Sie war in Paris. Sie war jung und schön. Er war ein berühmter Künstler, und er würde wieder schreiben. Und sie würde seine Muse sein. Aber dann wurde sie mit einem Schlag wach. Ein oder zwei Stunden später. Allein, Jim war nicht bei ihr … voller Angst eilte sie ins Bad.

      Now run to the mirror in the bathroom. Look!

      Und ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. Er war tot … und in ihrem Kopf geriet alles durcheinander. Überlastung. Gefühle außer ­Kontrolle. Worte überfluteten ihre Seele. „Allein! Nie wieder! Leer! Halt mich fest! Meine Schuld! Er wird mich nie wieder festhalten! Meine Schuld! Ich bin verloren! Und habe Angst! Oh Gott, warum?! Warum?! Jim!“

      In ihrer Panik rief sie den Grafen an. (An wen hätte sie sich sonst wenden können?) Und er kam in ihre Wohnung im Marais. Aber – und das war seltsam – er brachte Marianne Faithfull mit. (Pams Rivalin?) Nein, er kam ohne sie. Marianne Faithfull sagt, sie sei nie dagewesen. Aber wer war es dann? War der Graf überhaupt da? Nein, sie hatte den Grafen nicht angerufen. Sie hatte sich an Alain Ronay gewandt, einen Kumpel von der Universität in L. A., und an Agnes Varda, eine ­befreundete Filmemacherin. Sie kümmerten sich um alles. Benachrichtigten die Polizei. Die Flics kamen um neun Uhr früh. Nein, sie kamen um fünf. Wer weiß es?

      Später wurde berichtet, Jim habe ein Lächeln auf den Lippen gehabt. Diese Vorstellung gefällt mir sehr. Was auch immer mit ihm geschah – er grinste, als er den Abgang machte.

      Death, old friend.

      Sagt man nicht: Süß ist der Tod? Nun, er verdiente ein süßes Ende. Bei all dem Druck, der auf ihm lastete, dem Schmerz, den Prüfungen, den dunklen Nächten, denen die Seele dieses viel zu jungen Mannes ausgesetzt war, hatte er es verdient, daß er den großen Sprung tat, während das lüsterne Grinsen eines Satyrs seine jetzt so weichen und üppigen Lippen umspielte.

      Nein. Er ist überhaupt nicht tot. Er hat seinen eigenen Tod inszeniert. Hatte nicht Agnes Varda Recherchen bezüglich der Geschichte eines französischen ­Aristokraten angestellt, der in den Zwanzigern seinen eigenen Tod vorgetäuscht hatte und dann in den Marquesas verschwunden war? Mit hundertfünfzig Pfund Ziegelsteinen in einem Sarg und einem gefälschten Totenschein, dann noch ein gekaufter algerischer Arzt, der vielleicht 5000 Dollar erhielt; das war 1971 eine ganz hübsche Summe. Ein oder zwei Freunde als Komplizen – französische ­Freunde, vielleicht auch aus der Filmbranche, die alles Notwendige veranlassen konnten. In Paris ist doch alles möglich!

      Wie lautet also die Geschichte? Werden wir jemals die Wahrheit erfahren? Wollen wir das überhaupt? Ist die Wahrheit für uns wichtig? Und warum? Ich meine, was macht es für einen Unterschied, wie er starb, solange es nicht Mord war? Es ist doch völlig egal, wie ein Künstler diese Erde verläßt. Es geht um die KUNST … sie ist wichtig. Nichts anderes zählt, außer der Kunst. Es geht darum, was wir tun, verdammt noch mal. Jim war ein Künstler. Er will, daß man seinen Worten zuhört. Daß man die Worte tief in sich aufnimmt, bis ins Innerste vordringen läßt, an die geheimsten Orte der Seele. Dorthin, wo das verletzliche Kind lebt. Das Angst hat. Das den Schrecken spürt. Das zart ist. Und süß und zerbrechlich und sanft. Wir sitzen alle im selben Boot. In unserem Inneren sind wir alle gleich. Und wir alle haben Angst.

      Aber die Kunst kann uns erlösen. Wir werden zu Schöpfern. Wir werden zu Erfindern. Und das Glücksgefühl, das Entkommen und der große Sprung aus uns selbst heraus – aus dem geschlossenen Kreis, in dem wir uns ständig bewegen –, aus dem Schneckenhaus und dem Panzer unseres Egos, hinein in ein „klareres, reineres Reich“, wie Jim einmal sagte … das ist unsere wahre Bestimmung. ­Erleuchtete Schöpfer zu werden. Zu wissen, daß alle Dinge eins sind. Das göttliche und ewige Einssein. („Tat tvam asi“ – „Du bist das“, wie man in Indien sagt.) Und es dann zu wagen, aus diesem Einssein eine Dualität herauszuarbeiten. Sich dafür zu entscheiden, etwas zu erschaffen. Die Wahl einer Existenz zu treffen. Wir alle sind Schöpfer. Und diese Existenz ist unsere Schöpfung. Sie gehört uns, und wir sind es, die für diese ganze verdammte Sache verantwortlich sind!

      Das ist Kunst. Für mich ist es auch das, was dem Musikmachen zugrunde liegt. Die Noten aus dem Nichts zu ziehen. Für