Eiserner Wille. Mike Tyson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mike Tyson
Издательство: Bookwire
Серия: Sport
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783854456292
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Nase in den Hinterkopf zu stoßen. Du schlägst mit bösen Absichten. Du bewegst deinen Kopf nach jedem Punch. Du bist eine Plage vor dem Herrn – die Welt wird sich an deinen Namen erinnern, von nun an bis in alle Ewigkeit. Ich sage dir all das nicht, weil du unfähig wärst, all das zu tun. Das hier ist keine Séance. Du kannst es. Ich muss dich nur dazu bringen, dass du dich entspannst, das wird dir helfen.“

      Es war absolute Scheiße. Und ich glaubte das alles. Cus brauchte nicht einmal in der Nähe zu sein. Ich war in meinem Zimmer und hörte seine Stimme, beinahe telepathisch. Ich lernte, mich selbst zu hypnotisieren, und vor jedem Kampf setzte ich mich im Umkleideraum unter Hypnose und wiederholte das, was Cus mir gesagt hatte.

      Cus ließ jeden, der mit ihm trainierte, Affirmationen machen. Er sagte zu jedem Boxer: „Nicht jeder wird Champion, aber wenn du die Prinzipien und Techniken anwendest, die ich dir beibringe, wirst du erfolgreich sein, egal wie hoch die Anforderungen sind. Mein Ziel ist es, dass sich der Charakter einer Person entwickelt, sodass sie die Fähigkeit hat, über sich hinauszuwachsen und erfolgreich zu sein, egal woher sie kommt oder wie schwierig die Aufgabe ist.“ Er sagte uns, wir könnten unsere Affirmationen auch konkretisieren, indem wir nicht nur sagten: „Tag für Tag werde ich in jeder Hinsicht immer besser“, sondern statt dessen auch: „Tag für Tag werde ich in jeder Hinsicht ruhiger, sehe mehr im Ring und werde immer besser“, oder: „Jeden Tag wird mein geschwollener Knöchel besser und besser.“

      Cus ließ mich meine hypnotischen Suggestionen in meine Affirmationen einbauen, und statt des weniger intensiven „Tag für Tag werde ich immer besser“, suggerierte ich mir nun, dass ich Tag für Tag immer mehr zum grausamsten Kämpfer werde, den die Welt je gesehen hat. Den ganzen Tag sagte ich mir vor: „Der beste Kämpfer, niemand auf der Welt kann mich schlagen, der beste Kämpfer, niemand auf der Welt kann mich schlagen …“ Je öfter ich es sagte, desto mehr glaubte ich es.

      Cus fing an, mich für meine Leistungen im Ring zu belohnen. Er stellte mir Verschiedenes in Aussicht. Klamotten waren damals meine Schwäche, deshalb sagte Cus: „Du willst diese Lederjacke? Du willst diese tollen Sneakers? Dann gewinne das Turnier. Denk daran, du musst deine Gegner immer als Nahrung betrachten.“ Wenn ich ein örtliches oder regionales Turnier gewann, fand er irgendwelche Belohnungen für mich, selbst wenn es Dinge waren, von denen ich nicht wusste, ob ich sie überhaupt wollte. „Findest du nicht, dass das wunderschön ist? Ich wette, das gefällt dir.“ Natürlich war der ultimative Preis, den er mir in Aussicht stellte, die Meisterschaft im Schwergewicht. Weltmeister im Schwergewicht zu sein zählte für Cus wesentlich mehr, als Präsident der Vereinigten Staaten zu sein.

      Cus hatte kein Geld und wir lebten alle von einem knappen Budget, aber wenn es nach ihm ging, wurde ich behandelt wie ein König. Er bekam für mich eine kleine Summe Geld vom Staat New York, doch als ich einmal neunzig Prozent davon für Schulklamotten für eine hippe Lederjacke ausgeben wollte, gab er zu bedenken: „Du gibst das ganze Geld für eine Jacke aus? Du brauchst doch auch noch Socken und Unterwäsche.“ Aber dann machte er doch das Geld locker. Cus’ gesamter Betrieb in Catskill wurde von seinem engen Freund Jimmy Jacobs und Jacobs’ Geschäftspartner Bill Cayton finanziert.

      Eine weitere Taktik, die Cus nutzte, um mich zu inspirieren, war, Weltklasse-Boxer nach Catskill zu bringen. Wilfredo Benitez kam vorbei, um dort zu trainieren, und es war, als würde ich auf den Heiligen Gral blicken, als er mir seinen Meisterschaftsgürtel zeigte. Ein anderes Mal kam Gerry Cooney nach Catskill, um Cus zu besuchen, und ich freute mich riesig über ein Autogramm von ihm.

      All das war Teil von Cus’ Bestreben, mein Ego zu stärken. Ich hatte kein Selbstbewusstsein, als ich nach Catskill kam. Ich war auch nie eifersüchtig oder neidisch auf irgendjemanden gewesen, bevor ich Cus traf, aber er weckte diese Gefühle in mir: „Du solltest das haben“ oder „du könntest diesen Kerl schlagen, du bist besser als er.“ Er sagte nicht: „Du könntest besser sein, wenn du hart trainierst“, sondern: „Warum sollte er das haben und du nicht?“ Dies aus seinem Mund zu hören, klang fordernd und einschüchternd.

      Ich war ein feiger kleiner hinterhältiger Bursche gewesen, als ich noch in Brooklyn war, ohne Ego und ständig auf Betrügereien aus. Ich schaute zu den anderen Teenagern auf, die älter und charismatischer waren als ich. Doch Cus posaunte in die Welt hinaus, dass ich der jüngste Weltmeister im Schwergewicht werden würde. Und ich hätte es verdient. Jetzt musste ich dem ganzen Mist nur noch gerecht werden. Ich musste so großen Hass aufbauen, dass ich nicht davor zurückschreckte, jemanden schwer zu verletzen, um an die Weltspitze zu gelangen. Ich wollte in dem, was ich tat, der Beste auf dem ganzen Planeten sein. Cus schmiedete den Plan für uns und ich hatte keinen Zweifel, dass er funktionieren würde. Ich war ein arroganter Hurensohn, und mir war nicht bewusst, dass ich andere damit beleidigte, wenn ich damit prahlte, der jüngste Schwergewichtsmeister zu werden.

      Ich schlüpfte in eine Rolle. Ich war ein Chamäleon. Cus gab mir Nietzsche zu lesen, als ich fünfzehn Jahre alt war. Ich konnte kaum meinen Namen buchstabieren, aber ich dachte, ich wäre Superman. Ich ging zu den Smokers und zu den Vereinskämpfen. Diese Orte waren widerliche Jauchegruben, bevölkert von allen möglichen Schlägern von der Straße, die wie Verbrecher aussahen, richtig harte Kerle. Ich kam zur Tür herein und sie starrten mich an und ich starrte zurück. Wir waren nichts als ein Haufen Mistkerle, aber ich hielt mich für vornehm, für einen großartigen Gladiator, bereit zum Kampf. Ich war ein gottverdammter Schmock, gerade einmal fünfzehn Jahre alt. Mein Leben bestand daraus, mir Zeichentrick-, Karate- und Boxfilme anzusehen und mir ständig einen runterzuholen. Aber ich war vornehm!

      Ich konnte meine Kämpfe kaum erwarten. Ich konnte es kaum erwarten, in diese überfüllten Räume zu schreiten, weil ich wusste, dass mir die Leute applaudieren würden. Sie hatten noch nie zuvor jemanden wie mich gesehen. Sie mussten mich für verrückt halten, weil ich jeden so finster anstarrte. Ich sprach mit niemandem. Wenn Cus mit jemandem redete, ohne mich demjenigen vorzustellen, sprach ich nicht mit ihm, ich starrte ihn nur an. Falls er mir die Hand entgegenstreckte, ignorierte ich sie. Vor einem Kampf nahm ich kein Bad. Ich wollte größtmögliche Respektlosigkeit ausstrahlen, das aber kontrolliert. Cus liebte es, wenn ich ein gemeines kleines Kind war. Er sorgte immer für Chaos und Verwirrung, blieb selbst aber völlig gelassen.

      Cus war von der Psychologie des Kämpfens bis ins Mark durchdrungen. Ich konnte nicht genug von ihm bekommen. Ich absorbierte diesen alten, glatzköpfigen Mann, war entschlossen bis zum Äußersten. Cus ließ mich glauben, wo immer ich auftauchte, müsste ich behandelt werden wie ein Gott, denn ich war der Größte. Und ich versuchte, diesen Kerl glücklich zu machen, indem ich seine Visionen lebte. Er sagte, ich sei der Größte – okay, dann war ich halt der Größte. Ich habe es akzeptiert. Nun war ich also ein Größenwahnsinniger mit geringem Selbstbewusstsein, weil dieser Mann ein Manipulationskünstler war. Es war großartig, dass Cus mir half, mich nicht mehr wie ein Stück Scheiße zu fühlen, doch nun übertrieb ich es. Nicht bloß aus Eitelkeit, das wäre noch untertrieben gewesen. Cus sagte mir, wenn alle Propheten einen Sohn hätten, und dieser Sohn wäre ein Kämpfer, dann wäre er dennoch nicht fähig, mich zu schlagen, denn ich war Cus’ Kämpfer. Ich sagte den Leuten, ich würde Olympiasieger werden und dann, nach ein paar Profikämpfen, der absolute Champion im Schwergewicht und schließlich der größte Boxer aller Zeiten. Keiner verstand, wie ich darauf kam. Cus hatte mich einer Gehirnwäsche unterzogen.

      Meine erste große Bewährungsprobe auf dem Weg zu olympischem Gold war mein erstes Turnier bei der Jugend-Olympiade. Bis zum Turnier kämpfte ich weiter bei den Smokers, denn Cus wollte, dass ich in Übung blieb. Mein erster Kampf bei den Jugendspielen sollte in Saratoga stattfinden, aber mein Gegner trat nicht an. Das kam immer häufiger vor, je bekannter ich wurde. Ich gewann die nächsten drei Kämpfe durch K. o., und am 24. Juni 1981 flog ich nach Colorado Springs, um bei den nationalen Meisterschaften anzutreten. Ich musste innerhalb von vier Tagen drei Kämpfe gewinnen, um mir den Titel zu holen. Bevor ich ging, erinnerte mich Cus: „Denk immer daran, den anderen Kerlen geht es genauso wie dir.“

      Ich pflügte durch meine ersten beiden Kämpfe, gegen Jesus Esparza und Randy Wesley, mit K.-o.-Siegen in der ersten Runde. Nach jedem Kampf rief ich Cus an. Er sagte, ich solle ruhig bleiben, denn mit jedem Sieg würde ich zunehmend ernster genommen werden. Er erzählte mir von Boxern, die dieses Turnier gewonnen hatten und danach Champions wurden. Manchmal