„Larry Jugens wollte nicht mehr weiterkämpfen“, sagte Paul, als seine beiden Partner erschienen. „Seine Schulter machte ihm schwer zu schaffen. Er war es, der den Kampf abblies, weil er seinem Bruder Jim nicht weiter den Rücken stärken wollte. Zu spät hatte er wohl auch herausgefunden, dass Jim das Versprechen, mit ihm in Mexiko zusammenzutreffen, nicht einhalten würde. Er braucht einen Doc.“
„Ist ihm bekannt, wo Jim sich hingewandt hat?“
„Nein, er weiß nur, dass Jim ihn zum Narren machte, und das ist sein größter Kummer, denn er selbst half seinem Bruder den leichten Einspänner fahrbereit zu machen.“
„Wo ist Ann?“, fragte Dan erregt.
„Jim Jugens hat sie bei sich“, antwortete Paul.
„Er hat sie mit dem Versprechen geködert, dass er sie zu dir bringen wollte, Dan. Er hat es ihr so glaubwürdig geschildert, dass sie keinen Verdacht schöpfte. Wir wissen jetzt, dass sie nur hierher kam, um dich wiederzusehen.“
Dan trat nahe an Larry Jugens heran, der ihn mit weit offenen Augen anblickte.
„Es sieht so aus, als hätte Jim aufgegeben. Wer ist außer Ann noch bei ihm?“
„Der Schuft hat es verstanden, uns alle abzuhängen“, erwiderte Larry. „Ich war ein Narr, dass ich ihm glaubte, dass er mit mir teilen würde, was er an Schmuck, Bargeld und Wertpapieren mitnahm. Nun, ich war verwirrt, weil ich es war, der mit seinem Trupp zu spät zur Teufelsinsel kam, wo ich meinen Vater und die anderen abholen sollte.“ Larry atmete schwer und starrte zum dunklen Himmel hinauf. „Ich habe immer geglaubt, dass ich ein harter Mann sei, doch ich habe mich gründlich geirrt, das habe ich auf der Teufelsinsel erfahren müssen. Ich weiß jetzt auch, dass sich das Böse im Leben nicht auszahlt, dass es irgendwann auf einen zurückkommt. Ich bin bereit die Konsequenzen zu tragen.“
Larry Jugens musste, das konnte man deutlich sehen, durch eine Hölle von Schmerzen gegangen sein. Dunkle Schatten unter den Augen verrieten es nur zu deutlich.
„Lee“, sagte Paul, „dieser Jim Jugens hat uns in der Tat aufgehalten. Wir müssen uns jetzt um die Verwundeten kümmern.“
„Zwei Mann dürften dafür genügen“, unterbrach ihn Dan. „Ich reite weiter und hole Ann. Bleibt bei den Verwundeten und versucht, Blacky zu finden, allzu weit wird das Reittier nicht gelaufen sein. Ich nehme ein Pferd der Drei-Stäbe-Ranch.“
„Nimm meins“, sagte Larry Jugens heiser. „Nimm den Rotschimmelwallach. Wo ich hinkommen werde, da braucht man kein Pferd zu satteln und zu reiten. Behalte ihn und reite ihn ohne Sporen.“
Er verstummte, als schäme er sich zu sagen, dass er im Pferd einen Kamerad und Freund gesehen hatte. Was immer er auch für Beweggründe hatte, Dan auf sein Pferd aufmerksam zu machen, jetzt schwieg er.
Dan zögerte nicht, das Angebot anzunehmen. Diesmal traten ihm seine beiden Freunde nicht entgegen.
„Dan“, sagte Lee, als Dan im Sattel des Rotschimmelwallachs saß, „es geht Mann gegen Mann. Treibe ihn auf und stelle ihn.“
„Ich bringe Ann zurück“, erwiderte Dan. Seine Stimme klang spröde. „Jim Jugens könnte nicht weit genug fahren, ich werde ihn einholen.“
„Dann nur zu“, erwiderte Lee. „Wir schaffen die Verwundeten nach Pelcon und warten dort auf dich. Komm gut wieder und bringe Ann mit.“
Die letzten Worte hörte Dan nicht mehr. Der Rotschimmel stürmte mit ihm davon in die Nacht hinein. Vor Dan wuchs die Drei-Stäbe-Ranch aus der Nacht auf. Sie lag einsam und verlassen da. Weit offen standen die Türen des Mannschaftsgebäudes, das neu hinzugekommen war. Auch eine Schmiede und ein Vorratsschuppen waren neu errichtet worden. Das Gesamtbild der einstigen Ein Kuh-Ranch hatte sich grundlegend geändert. In den Corralen rings um die Ranch standen Milchrinder und Rinderpferde. Dan ritt auf den Hof und sah die Pferdestalltür weit offen stehen. Er machte sich nicht die Mühe, sich auf der Ranch umzusehen, sondern folgte den frischen Räderspuren, die vom Zufahrtsweg der Ranch abbogen und nach Süden deuteten. Dan schluckte, als er das sah, denn er erriet, dass Jugens nach Südwesten auf den alten Büffelpfad zu kommen versuchte, wo seine Spur bald verlöschen würde. Wenn ihm das gelang, würde es leicht sein, auf steinigem Boden nach der Seite abzubiegen. Dan kannte sich gut hier im Gelände aus und wusste daher auch, dass Jim Jugens einen Bogen um das Gestrüppland herum fahren musste.
Dan hielt seinen Rotschimmel an und schaute lange auf die Räderfurchen vor den Hufen des Rotschimmels, dann blickte er mit schmal gezogenen Augenlidern zum Gestrüppland hinüber, das jedem Gefährt ein unüberwindliches Hindernis war. Wenn ein Reiter dort durchbrechen wollte, musste er viele Schwierigkeiten überwinden. Das hatte aber den Vorteil, dass man den Weg zum Büffelpfad um viele Meilen abkürzen konnte. Zu diesem Vorhaben gehörte aber ein ausgezeichnetes Buschpferd, wie es von Cowboys gebraucht wurde, um in den Busch entwichene Mavericks aufzuspüren.
Dan Flemming zögerte, aber seine Augen wichen nicht von dem Gestrüppland, das kein anderer wie er so gut kannte, in das aber selbst Cowboys mit guter Ausrüstung nur ungern einritten. Er wusste, dass er mitten in diesem Lande steckenbleiben konnte. Sein Zögern war darum nur zu verständlich. Doch dann trieb er den Rotschimmel auf die Gestrüppmauer zu. Das Pferd scheute und wollte zur Seite ausbrechen, doch Dan nahm es fest bei den Zügeln und trieb es ohne die Sporen zu gebrauchen weiter. Er hatte Glück auf einen Pfad zu stoßen, den sicherlich einmal ein entwichener Büffel gebrochen haben mochte. Tief geduckt ritt er auf dem schnaubenden Rotschimmel, der den Kopf hoch aufgereckt hatte. Es zeigte sich bald, dass der Pfad endete und dass das Reittier jetzt einen eigenen Weg brechen musste. Dornenzweige rissen Dan die Hände auf und zerfetzten die Kleidung, aber er presste die Zähne zusammen und ritt weiter. Irgendwo blieb sein Stetson im Gestrüpp hängen, wirr hing ihm das vom Schweiß verklebte Haar in die Stirn. Immer wieder musste er starken Ästen ausweichen und sich tief ducken, um nicht vom Pferd gerissen zu werden. Der Zorn in ihm ließ ihn nicht der Schmerzen achten. Er ergriff seinen Colt, betrachtete ihn und zog dann sein Messer. Mitten im Buschland schnitt er die letzte Kerbe in seinen Coltkolben, und dann erst gebrauchte er das Messer, um sich einen Weg damit zu öffnen.
Vielleicht war es verfrüht die letzte Kerbe zu schneiden, dachte er, als er weiter ritt und in ein
Gelände gelangte, das nach dem, was er hinter sich gebracht hatte, erträglicher war.
„Noch einige Meilen, Rotschimmel, nur vorwärts, wir müssen hindurch!“
Er schaffte es wirklich. Als das Buschwerk niedriger wurde und leichter zu passieren war, war auch der Rotschimmel schweißig und hatte ein dunkles Fell bekommen. Schweißflocken flogen ihm von Flanken und Nüstern herab. Das Reittier wankte, als Dan endlich den Zufahrtsweg zum alten Büffelpfad wieder erreichte. Es ließ sich willig nieder, als Dan es auf den Boden zwang.
Der schmale Weg, der durch dieses Gelände führte, zeigte noch keine frische Räderfurche. Jugens war also noch nicht vorbeigekommen. Dan fühlte die Schwäche, die ihn überkommen hatte, von sich abfallen, als er das Herannahen eines Gefährtes wahrnahm. Sein Herz dröhnte nicht mehr und klopfte nicht mehr so arg, als wollte es die Rippenwandung sprengen. Er hockte neben dem schwer atmenden Pferd und rieb es mit seiner Jacke ab, so als wäre die schlimme Begegnung noch lange nicht zu erwarten. Selbst in dieser Situation gab er dem Pferd Erleichterung, das ihn so tapfer getragen hatte. Dann aber, als der Einspänner langsam als Silhouette aus der Nacht herauswuchs, hob sich seine Brust wie unter einem befreiten Aufatmen. Er hielt mit seiner Arbeit inne und ließ die Jacke neben dem Rotschimmel liegen. Er erhob sich und schritt vorwärts. Er wusste, dass man ihn gegen den dunklen Hintergrund des Buschlandes noch nicht sehen konnte.
Ganz langsam schritt er vorwärts. Er spürte eine unheimliche Schwere in seinem Körper und eine Müdigkeit, die ihn zu überkommen drohte. Doch er blieb stehen, und die Schwere wich langsam aus seinem Körper. Gefasst stand er am Wegrand.