Sozialfirma für soziale Bedürfnisse
Sucht man die Funktion einer unternehmerisch geführten Sozialfirma auf der Maslow’schen Bedürfnishierarchie [Abb.1], ist ersichtlich, dass sie dort eine sehr klare und begrenzte Aufgabe hat. Die beiden grundlegenden Bedürfnisse, nämlich die physiologischen Bedürfnisse und die Sicherheitsbedürfnisse, werden bei Sozialhilfebeziehenden vom Staat abgedeckt; Schwierigkeiten bereitet meist das dritte Bedürfnis. Wer von Sozialhilfe leben muss, ist in unseren Breitengraden oft isoliert und kann seine sozialen Bedürfnisse schlecht ausleben. Aus Scham werden Kontakte vermieden, Freundschaften zerbrechen und Hobbys und Vereinsmitgliedschaften werden kaum mehr gepflegt; für viele Betroffene bedeutet Sozialhilfe letztlich ein Leben in Einsamkeit. Hier setzt die Sozialfirma an, sie fokussiert auf die sozialen Bedürfnisse.
Der Wunsch, einen Platz in der sozialen Gruppe zu haben, dort eine Rolle zu erfüllen und Teil eines größeren Ganzen zu werden, ist ein wichtiger Motor eines jeden Menschen. Hier kommt die Sozialfirma ins Spiel, indem sie die Arbeit so organisiert, dass sie für die Belegschaft diese Bedürfnisse erfüllen kann. Dies ist auch der Grund, warum die Art der Tätigkeit eine so zentrale Rolle spielt. Es ist nicht unerheblich, welche Arbeit in einer Sozialfirma geleistet wird: Es ist unabdingbar, dass diese sinnstiftend ist.
Sinnvoll ist jede Arbeit, die am Ende einen Abnehmer hat und die nicht auch von einer Maschine erledigt werden könnte. Reine Beschäftigung – das Geschirr von Hand zu waschen, obwohl in der Küche eine Abwaschmaschine steht, oder Kuverts von Hand zu füllen, wenn im Nebenraum eine automatische Beschickungsmaschine steht – ist keine sinnvolle Arbeit, weil sie künstlich erzeugt wird. Lediglich eine funktionierende Tagesstruktur zu haben genügt ebenfalls nicht, um den sozialen Bedürfnissen eines Individuums gerecht zu werden. Sinnvolle Arbeit ist unentbehrliche Arbeit, nur sie hat die Kraft, Menschen so einzubinden, dass sie ihre sozialen Bedürfnisse befriedigen können, dass sie sich als Teil eines größeren Ganzen fühlen dürfen.
Die Belegschaft von herkömmlichen Firmen verfügt meist neben den Arbeitskollegen über ein mehr oder weniger großes Netz an Freunden. Für Sozialhilfeempfangende ist die Sozialfirma oft die einzige soziale Kontaktmöglichkeit außerhalb ihrer Wohnung. Auch dieser Umstand spricht für die Sorgfalt, die Sozialfirmen für ihre Werteorientierung aufwenden müssen. Wem es gelingt, sich das Vertrauen solcher Menschen zu verdienen, gewinnt unglaublich loyale Mitarbeitende, von denen viele andere Firmen nur träumen können.
Werden auch interne Kaderstellen mit vormals Langzeitarbeitslosen besetzt, kann eine Sozialfirma auch Individualbedürfnisse in einem größeren Umfang befriedigen. Weil unternehmerisch geführte Sozialfirmen nicht auf arbeitsagogische Zusatzausbildungen ihrer Kaderbelegschaft setzen, sondern zuverlässige und geeignete Persönlichkeiten mit anderen beruflichen Hintergründen anstellen, bieten sie mehr Perspektiven als klassische agogisch ausgerichtete Angebote, die intern keine Durchlässigkeit zwischen den Zugewiesenen und dem Fach- oder Kaderpersonal kennen.
Networking als Fundament
Unternehmerisch geführte Sozialfirmen sind keine Leuchttürme, die einsam an der Küste stehen und in die Nacht hinausstrahlen, es sind hoch vernetzte Organisationen, die ihr Netzwerk gemäß ihrer besonderen Funktion als betriebswirtschaftliche und soziale Betriebe doppelt so eng knüpfen müssen wie Integrationsprogramme oder herkömmliche Firmen. Ihr Zweck liegt in ihrer sozialen Aufgabe, darum ist ihre politische Einbindung von entscheidender Wichtigkeit. Sie können ihre soziale Aufgabe nur erfüllen, wenn die Zuweiser mit ihnen kooperieren und wenn sie bereit sind, die Sozialhilfebeziehenden in der Sozialfirma anzumelden.
Zuweisungen sind dann politisch unproblematisch und unumstritten, wenn sie für die Kommune günstig sind. Teure Programme werden nur in Anspruch genommen, wenn ihre Integrationsquote sehr hoch ist. In solchen Fällen ist es auch sinnvoll, wenn viele staatliche Gelder in diese Angebote investiert werden. Inzwischen ist es jedoch so, dass die Durchlässigkeit vom Zweiten in den Ersten Arbeitsmarkt geringer geworden ist. Sozialfirmen und Integrationsprogramme sehen zwar die Reintegration in den Ersten Arbeitsmarkt immer noch als ihr oberstes Ziel an, es gelingt jedoch dem größten Teil der Belegschaft meist nicht mehr, innerhalb eines Jahres wieder eine Stelle zu finden. Darum ist auch die Bereitschaft der Zuweiser gesunken, viel für Arbeitsintegration zu bezahlen; hinzu kommt, dass teure Maßnahmen oft nur befristet bewilligt werden. Unternehmerisch geführte Sozialfirmen sind jedoch auf langfristig eingebundenes Personal angewiesen, um die Qualität sicherstellen zu können. Es muss nicht die ganze Belegschaft langfristig im Betrieb arbeiten, selbst eine Fluktuation von 50% ist kein Problem, aber eine Sozialfirma braucht eine Stammbelegschaft, die die Werte der Firma tradiert. Sie ist das Rückgrat, das das unternehmerische und soziale Wirken der Firma erst möglich macht.
Da unternehmerisch geführte Sozialfirmen in der Regel dem Konkurrenzverbot3 unterstehen, muss ihr Tun politisch getragen werden, und sie müssen lokal gut verankert sein. Bei der Dock Gruppe ist diese Verankerung über die Eigentümerin geregelt. Die Dock Gruppe AG ist als gewöhnliche Aktiengesellschaft organisiert, die allerdings in alleinigem Besitz der Stiftung für Arbeit ist. Diese gemeinnützige Stiftung hält alle Aktien und ermöglichte, dass die Gemeinnützigkeit der Sozialfirma offiziell anerkannt wurde, was zu einer Gewinnsteuerbefreiung geführt hat. Im Stiftungsrat sind alle Parteien und namhaften politischen Organisationen der Stadt St. Gallen vertreten sowie die Gewerkschaften, die Kirchen und der Gewerbeverband. Die Vertreter dieser vielfältigen Organisationen sind nicht nur Shareholders der Firma, sie sind auch die Stakeholder ihrer Anliegen. Von ihnen ist eine gewisse Grundanteilnahme an den Herausforderungen der Sozialfirma gefordert.
Für den Erfolg einer unternehmerisch geführten Sozialfirma ist es entscheidend, ihre politischen Stakeholder einzubinden und sie zu geschätzten Anspruchsberechtigten des Unternehmens zu machen. Es geht dabei nicht um eine basisdemokratische Einbindung, sie sind auch keine freiwilligen Mitarbeiter, deren Einsatz bei Bedarf abgerufen werden kann. Der Grundkonsens liegt darin, dass man sich in den sozialen Zielen der Sozialfirma einig ist. Im Falle der Dock Gruppe bedeutet dies, dass die Stakeholder nicht nur das soziale Ziel, die Schaffung von Arbeitsplätzen für Personen aus der Sozialhilfe, mittragen, sondern dass sie uns auch in unserem so wichtigen Anliegen unterstützen, nämlich für die geleistete Arbeit auch einen finanziellen Gegenwert zu bezahlen. Denn: Arbeit soll nicht gratis verrichtet werden, auch in einer Sozialfirma nicht.
Es liegt auf der Hand, dass die Unterstützung der politischen Stakeholder immer auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner beruht; darum wird es kaum möglich sein, mit ihnen Maximallösungen auszuhandeln, aber als Mitträger und Verteidiger von guten und tragfähigen Konsenslösungen sind sie unabdingbar. Die lokalen St. Galler Stakeholder haben beispielsweise das Lohnsystem der Dock Gruppe AG bereits 2004 so ausgestaltet, dass es von den Zuweisern aus allen Kantonen übernommen werden konnte. Eine Sozialfirma kann jedoch nicht lediglich mit einem lokalen Netzwerk in andere Kommunen oder gar Kantone expandieren, es braucht immer eine stabile politische Einbindung vor Ort, und je besser diese erreicht wird, desto erfolgreicher und einfacher gestaltet sich die Arbeit im Betrieb.
Vor Ort sind es nicht die politischen Parteien, die Gewerkschaften oder die Parlamente, die als Partner und Stakeholder infrage kommen, es sind vielmehr die politischen Vertreterinnen und Vertreter der betroffenen Sozialämter. Es sind also meist kommunale Sozialvorsteher oder in Kantonen mit kantonaler Zuständigkeit Regierungsräte, die mit ihren Führungscrews wichtige Ansprechpartner und Problemlöser für Anliegen der jungen Sozialfirma sind. Für neu auf den Markt tretende Sozialfirmen sind die lokalen Vertreter der tripartiten Kommission, also derjenigen Organisation, die über die Einhaltung des Konkurrenzverbots wacht, von zentraler Bedeutung. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es möglich ist, mit diesen Kommissionen auf Augenhöhe zu verhandeln. Es besteht ein Grundkonsens in den sozialen Zielen, was oft zu pragmatischen und guten Lösungen führte.
Ein noch so gutes und stabiles Netzwerk im Bereich der sozialpolitischen Ansprechpartner reicht jedoch