An einem Sommertag 1971 verschlug es Malcolm McLaren in diese reizlose Gegend. McLaren hatte gerade seine Ausbildung am Goldsmiths’ College vorzeitig abgebrochen; sein Abschlussprojekt – das unvollendet blieb – war ein psychogeographischer Film über die Oxford Street, die bei ihm eine Faszination für den Rock’n’Roll der 50er Jahre im Allgemeinen und für Billy Fury im Besonderen ausgelöst hatte. In seiner Darstellung: »1969 und 1970 gab ich meine Stipendiumskohle aus, um verschiedene Platten aus den 50er und 60er Jahren auf Flohmärkten zu sammeln. Als ich abging, hatte ich eine riesige Sammlung. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und ich hatte die Idee, diese Platten zu verkaufen, mich mit einem befreundeten Kunststudenten, Patrick Casey, zusammenzutun, der einen großartigen Sinn und eine Begabung dafür hatte, einzigartige, gebrauchte Klamotten zu finden – besonders alte Lederjacken und Zoot Jackets, merkwürdig taillierte Jacketts mit breiten, wattierten Schultern, die genau in die Zeit dieser Platten passten. Niemand wusste damals – 1970, 1971 –, dass das ein angesagter Stil werden würde.«
Trevor Miles vor Nummer 430, 1970 (© Trevor Miles)
Auf dem Weg zu einem Flohmarkt nahe der Ecke zur Edith Grove wurde McLaren von einem Mann auf seine Lurexhosen angesprochen, die seine Freundin Vivienne Westwood für ihn angefertigt hatte. Der Mann, ein amerikanischer Gauner namens Bradley Mendelson, betrieb den Laden in der 430, von dem McLaren schwer beeindruckt war:
»Alles war völlig runtergekommen; der Typ brauchte Geld. Aber er hatte eine Jukebox, die laut plärrte. Alles war schwarz, es gab kein Schild, überhaupt keine Ladenfront. Ich war begeistert, weil es so 50er-Jahre-mäßig war.«
Im Oktober 1971 zog McLaren mit Vivienne Westwood und Patrick Casey in den hinteren Teil von Nummer 430 ein. Als Trevor Miles von seiner Hochzeitsreise zurückkehrte, war er nicht besonders begeistert:
»Bradley Mendelson hatte ohne mein Wissen die Hälfte des Ladens vermietet. Als wir zurückkamen, war ich schockiert. Ich erklärte mich für bankrott und bin einfach wegspaziert. Malcolm übernahm den Laden, behielt die Jukebox und machte daraus Let It Rock.«
Für Miles war es das Ende einer Ära: »Malcolm und Vivienne waren wahrscheinlich sehr bodenständig, aber mir kamen sie wie Außerirdische vor. Malcolms Herangehensweise und seine Haltung haben mich immer fasziniert – die Art und Weise, wie er es schafft, dass man ihm Sachen durchgehen lässt. Ich finde Viviennes Art, ihre Botschaft rüberzubringen, manchmal beinahe peinlich, wenn auch sehr eindringlich. Aber es war die Anfangszeit: sie hatten sehr feste Überzeugungen und die Kleidung, die sie machten, war wirklich einmalig.«
Obwohl sie ungefähr gleich alt waren und auf ähnliche Weise in die Popkultur eingetaucht waren, hatten McLaren und Westwood sehr wenig mit den schönen Menschen der King’s Road gemein. 1971 hassten beide leidenschaftlich Hippies: »Hippos« (Nilpferde), wie McLaren sie nannte. Ihr Interesse an Kleidung hatte mit Spaß oder Camp nichts zu tun. Beide mißtrauten dem sozialen Aufstieg der free and easy-Hippiekultur zutiefst. McLaren mochte die Schuldgefühle, die von den Tittenmagazinen wie Photoplay und Fiesta, die er im hinteren Teil des Ladens verkaufte, abfärbten. Mit ihren Wasserstoffsuperoxydfrisuren, riesigen Brüsten und Leopardenfellkostümen stellten diese Evas und Audreys Anachronismen dar, ihre schiere Übertreibung aber warf ein Licht auf die wahre Dynamik des Begehrens und der sexuellen Unterdrückung, der man in einer Gegend auswich, wo ein Laden zum Beispiel Liberated Lady hieß.
England war nicht free and easy, England war niedergeschlagen. Die Behauptung, die Hippiekultur habe die Welt verändert, ist falsch. Man muss nur die Musik jener Tage betrachten – damals, in dem Versuch ehrwürdig zu klingen, als Rock bezeichnet. Was für ein schwülstiger, mittelmäßiger Abklatsch der Anarchie, die der Rock’n’ Roll der 50er Jahre gewesen war! Die Musikindustrie hatte nun die Kontrolle übernommen und legte alle rein. Wie konnte sich der Rock dieser Industrie auch nur eine Spur der einstigen Teenager-Revolte bewahrt haben? Es ging also darum, sich nicht nur der Musik, Mode und Kleidung der 50er Jahre zuzuwenden, sondern auch den Leuten, die diesen Stil lebten: den Teddy Boys, die in den frühen 70ern eine Renaissance erlebten. Obwohl sie sich innerhalb der traditionellen sozialen, kriminellen und territorialen Grenzen bewegten, zeichnete ihre Kleidung sie als etwas aus, das anders war: Vorboten eines neuen Zeitalters.
Die ursprünglichen Teddy Boys hatten den Schnitt des amerikanischen Gangsteranzugs oder Zoot Suits – mit seinem übertriebenen Aufwand an Stoff – auf Details übertragen, die sie bewusst von der spezialisierten Mode der Savile Row von 1948 abgekupfert hatten: Der edwardianische Look. Ursprünglich in Umlauf gebracht als eine nostalgische Beschwörung des edwardianischen Zeitalters vor dem Ersten Weltkrieg, konnte dieser exakte, ziemlich manierierte Stil auf dem anvisierten Markt nicht Fuß fassen, war aber, durch eine jener schlecht nachvollziehbaren Verschiebungen, die sich innerhalb der urbanen Kultur ereignen, in den frühen 50er Jahren zu den Londoner Kriminellen vorgedrungen und gehörte dort zum guten Ton.
An »hübschen Kriminellen« wie Colin Donellan, porträtiert in der Picture Post von 1953, wirkte er gleichzeitig brutal und gelackt. Der »Edwardian« schlug rasch ein. Da man einen Stil der Oberklasse übernahm, ging von ihm zusätzlich der Reiz aus, Bessergestellten eine lange Nase zeigen zu können. Der Edwardian war elegant, protzig und verwies auf den Beruf des Kleinkriminellen. In einer Ära, in der jeder wusste, wo er hingehörte, war die Vulgarisierung dessen, was die feinen Pinkel trugen, definitiv ein Akt des Klassenkampfes.
In den frühen 50er Jahren waren die Edwardians besessen von Kleidung, ebenso manisch wie die Mods, die ihnen folgten. Sie fanden nichts dabei, ihr ganzes Geld für eine bestickte Weste auszugeben. Als der Name in Teddy Boys und dann Teds geändert wurde, begann der Stil würdelos und primitiv zu werden – eine Entwicklung, die Colin MacInnes mit der Beschreibung der rassistischen Teds bei den Unruhen in Notting Hill Gate im September 1958 in Absolute Beginners einfing. Mit dem Auftreten neuer, coolerer Stile – dem »italienischen Look« von 1958 – verschwanden die Teds von der Bildfläche.
Aber Teddy Boys haben nie aufgehört zu existieren. Ihr ursprünglicher Entwurf war der der Arbeiterklasse, viele blieben dem Stil aus Glaubenszugehörigkeit und Klassensolidarität treu und zogen ihre Kinder in diesem Sinne groß. Gelegentlich gerieten sie ins grelle Scheinwerferlicht der Medien – als es Bill Haleys »Rock around the Clock« 1968 in die Top 20 schaffte. Oder, wie es Richard Neville mit geschärftem Blick für soziale Details in Play Power beschreibt, als Teddy Boys im Juli 1969 in der Albert Hall randalierten. Angeheizt von Chuck Berry schlugen sie Krawall, als die Who auf die Bühne kamen.
Malcolm McLaren vor der Nummer 430, Dezember 1971 (© David Parkinson)
Dies war die Sorte kultureller Kluft, die McLaren und Westwood ergründen wollten. In den frühen 70er Jahren war das zweite Teddy Boy-Revival bereits in die Gänge gekommen. Sein Mittelpunkt war der Pub The Black Raven in Bishopsgate, wo der Wirt, Bob Ackland, ein Ted der ersten Stunde, seit 1967 dem Glauben treu geblieben war. In der Jukebox befanden sich Richie Valens, Billy Riley, Carl Perkins, Elvis. In der Bar traf sich bald eine große Stammkundschaft, auf die im Herbst 1970 die Medien aufmerksam wurde.
McLaren und Westwood waren tief beeindruckt von der geckenhaften Brutalität der Teds und ihrem harten Stil, der gegenüber dem Status quo sehr subversiv erschien. Aber beide stammten als gebildete Bohemiens und Denker aus einer anderen Klasse. Es war Vivienne, die die Theorie in die Praxis umsetzte und in den Black Raven ging. Sie fand schnell heraus, dass die Teds ihre Kleidung von Hand anfertigen lassen mussten – eine kostspielige und zeitaufwendige Prozedur. Westwood hatte eine Marktlücke entdeckt. Und welcher Ort hätte besser sein können, um in diese Marktlücke hineinzustoßen als World’s End, mitten im feindlichen Territorium.
Wie ist dieses hochexplosive Paar an diesen Punkt gelangt? An schlüssige biografische Daten von McLaren und Westwood