Es gibt keinen Zweifel, dass es zwischen beiden gefunkt hat. Die Spannungen allerdings kamen auch in einem anderen frühen Sex Pistols Song, »Submission«, zum Vorschein. »Malcolm war solch ein Poser«, sagt Paul Cook, »mit seinen ganzen Phantasien über Sex und Gewalt.« McLaren sagte der Band, sie sollten einen Song über den SEX-Laden schreiben über SM, Fesseln, Herrschaft und sowas. Mit Glen schrieb Lydon etwas völlig anderes: einen langsamen, beinahe mystischen Song über das unerreichbar Weibliche.
McLarens Kontrolle war alles andere als absolut. Im November 1975 hatte er außerdem Probleme, die Gruppe dazu zu bringen, sich auf einen Namen zu einigen. Nachdem sie einen Monat lang hart geprobt hatten, waren die Sex Pistols so weit, sich der Welt zu stellen. Obwohl sie den Namen bereits benutzt hatten, gab es keine endgültige Übereinkunft. Glen wurde beauftragt, Konzerte in Colleges aufzutun. Zwei hatte er arrangiert: eins in der Central School of Art and Design in Holborn am 7. November und eins in einem kleinen Raum im ersten Stock in St.Martin’s am Tag davor. Der Name der Gruppe musste nun endgültig geklärt werden.
Obwohl sich Lydon und die anderen seit drei Monaten kannten, hatte er der Band immer noch nicht seinen Nachnamen verraten. John spuckte ständig, rotzte herum oder begutachtete seine verrottenden Zähne. Steve Jones fand das abstoßend und sagte zu John, »Du siehst verrottet aus«. Der Name blieb haften. Er war das Negativ der Pop-Art-Pseudonyme von Larry Parnes: Nicht Wilde, sondern Rotten; Sex Pistols, aber nicht sexy. Die anderen waren nicht ganz derselben Überzeugung. Paul wurde beinahe zu »Slave« Cook, während Glen einfach ein weiteres »N« anhängte. Jones blieb wie er war. McLaren bestand darauf, dass sie unter dem Namen, den er im Herbst 1974 geprägt hatte, an die Öffentlichkeit traten. Schließlich sollte die Gruppe für den Laden werben, und deshalb musste Sex im Namen vorkommen. Was also war falsch an Sex Pistols mit den Konnotationen »Knarre, Attentäter, jung, unmoralisch und Sex?«
Wie immer gibt es unterschiedliche Darstellungen. »Ich mochte den Namen sehr gern«, sagt Lydon, »ich fand ihn toll. Das Wort Sex war niemals zuvor auf solch krasse Weise benutzt worden, und es in Verbindung mit einer Pop-Band zu verwenden, war lustig. Ich fand ihn perfekt, um alte Damen vor den Kopf zu stoßen.« »Rotten wollte nur Sex heißen«, sagt McLaren, »Jones liebte den Namen. Cook fand ihn in Ordnung, wollte aber etwas, das normaler klang. Matlock, der ein echter Oberschüler war, schlug sich auf Johns Seite. Sie traten trotzdem als Sex Pistols auf. Ich hätte nichts anderes geduldet: Ich hatte die Kontrolle, und ich wollte nicht meine Zeit mit einem Haufen Deppen verschwenden, die unter einem Namen wie Sex auftraten. Ich wollte möglichst viele Hosen verkaufen.«
You know what I think?
I think the whole world stinks
& I don’t need no shrink I just hate it
The Electric Eels, »Agitated« (1975)
Als die Sex Pistols ihren ersten Auftritt hatten, verdrängte das sechs Jahre alte »Space Oddity« von David Bowie gerade Art Garfunkels Version eines sechzehn Jahre alten Songs »I only have eyes for you« vom ersten Platz der britischen Singles Charts. Den ersten Platz bei den Langspielplatten belegte die im Fernsehen beworbene »40 Golden Great« von Jim Reeves, der 1964 gestorben war. Die Wiederkehr der 60er Jahre war Beleg für die Armut der Gegenwart: »Remember those fabulous 60s« lautete eine Überschrift im New Musical Express in jener Woche, als alte Songs von den Beatles und den Small Faces wieder in die Top Ten gehievt wurden.
Im Innenteil war jedoch ein Artikel, der nichts für diese Nostalgie übrig hatte. Unter der Überschrift »Are you alive to the jive of ... THE SOUND OF ’75?« wurde die New Yorker Szene vorgestellt, die McLarens Geheimtip war. Charles Shaar Murrays Doppelseite über den heute noch existierenden Club CBGB’s stellte die Ramones auf einen Ehrenplatz. »Sie spielten 20minütige Sets, weil sie nur acht Songs hatten, aber jetzt bringen sie es auf 45 Minuten. Joey rotzt den Titel des Songs nur so hin, Dee Dee ruft ›1-2-3-4‹ und es geht wieder los, vielleicht mit ›53rd and 3rd‹.« Eineinhalb Minuten Songs; 1-2-3-4 Anzähl Intros; Byrds Frisuren: perfekt.
Die CBGB’s-Szene war beträchtlich gewachsen. In der zweiten Hälfte des Juli 1975 veranstaltete der Club ein Rock Festival, auf dem über 30 neue Gruppen präsentiert wurden. Obwohl der Andrang unterschiedlich war, zog das Festival zum ersten Mal eine größere Aufmerksamkeit der Presse auf sich. Innerhalb der kleinen, inzestuösen Welt der englischen Wochenblätter und den New Yorker Medien war das Festival ein Hit, aber es sprengte nicht den eng gesteckten Rahmen. Die meisten Gruppen hatten noch keinen Erfolg in den Top 40.
Noch konnte man sich nicht auf einen Namen für die neue Bewegung einigen. Hilly Kristal nannte sie Street Rock, aber nun kam eine neue Zeitschrift heraus, die den neuen Namen prägte. Punk wurde von zwei Highschool-Freunden aus Cheshire, Connecticut, Legs McNeil und John Holmstrom, erfunden. Holmstrom studierte Zeichentrickfilm bei Will Eisner und Harvey Kurtzman an der School of Visual Arts in New York. McNeil, ein irisch-katholischer Hochschulabbrecher, kam im September 1975 an die Schule: »John hatte eine klare Vorstellung. Er wollte die Zeitschrift Teenage News nennen, was ich wirklich für dumm hielt. Ich sagte zu John: ›Warum nennen wir sie nicht Punk?‹ Aber John sagte: ›Ich bin der Chefredakteur.‹ Unser Freund Jed sagte:
›Ich bin der Herausgeber.‹ Beide sahen mich an und fragten: ›Und was bist du?‹ ›Ich bin der Punk vom Dienst.‹ Dann war die Sache in zwei Sekunden beschlossen. Im Fernsehen sagten Kojak, Beretta und die Bullen, wenn sie endlich den Massenmörder geschnappt hatten: ›Du dreckiger Punk.‹ Lehrer nannten einen ebenfalls so. Punk bedeutete, dass man das allerletzte war. Wir, die Abbrecher und Versager, schlossen uns zusammen und wurden eine Bewegung. Man hat uns unser Leben lang gesagt, dass wir es nie zu etwas bringen würden. Wir sind die Leute, die durch die Lücken im Bildungssystem fielen.«
»Es war ziemlich offensichtlich, dass das Wort sehr beliebt wurde«, sagt John Holmstrom. »Das Creem-Magazin benutzte es, um die Musik der frühen siebziger Jahre zu beschreiben. Bomp benutzte es, um die Garagenbands der Sechziger zu beschreiben. Eine Zeitschrift wie Aquarian benutzte es, um zu beschreiben, was im CBGB’s vor sich ging. Das Wort wurde benutzt, um Springsteen, Patti Smith und die Bay City Rollers zu beschreiben. Als dann Legs damit ankam, dachten wir, wir nehmen den Namen lieber, bevor jemand anderes Anspruch darauf anmeldet. Wir wollten die ganze Scheiße loswerden, wir wollten wieder den reinen Rock’n’Roll. Wir wollten den Spaß und die Lebendigkeit zurück.«
»Der Krieg in Vietnam ging zu Ende, was, wie ich glaube, sehr geholfen hat«, sagt McNeil. »Als Kind wuchs man mit der Angst auf, dass man hinmüsste. Es war wie eine Befreiung, eine Party. Im vorhergehenden Jahr gab es Watergate, es war eine Zeit des Wandels. Etwas würde passieren. Das Gefühl sagte einem, dass diese Regierung krank war und Nixon ein Arschloch. Und dann hatten wir Ford, einen echten Trampel. Niemand in New York hatte Geld: Die Stadt war beinahe bankrott. Und was riet Ford der Stadt: ›Fall tot um.‹«
Punk: How old are you?
Tommy: 23,24.
Punk: Oh, that’s us!
Tommy: Lovely generation.
Punk 1: »Ramones – Rock’n’Roll – The Real Thing«
Die erste Ausgabe von Punk kam im Dezember 1975 an die Zeitungskioske. Sofort bündelte es die unterschiedlichsten Elemente der CBGB’s-Szene. Die Titelstory war ein Interview mit Lou Reed über dessen aktuelle Platte »Metal Machine Music«, statt eines Fotos aber gab es eine bösartig gut getroffene Karikatur von Reed als »Metal Man«.
»Ich wollte was Neues im Comic«, sagt Holmstrom, »es passte zur Musik. Johnny Ramone trug immer T-Shirts mit Cartoon-Logos.« Für die erste Ausgabe von Punk ist die künstlerische Gestaltung genauso wichtig wie die Reed-Beleidigung. Die Ramones spielen auf dem Interview-Band, und sie sind auf einer Fotografie zu sehen. In einem Cartoon sieht man die Interviewer, wie sie Reed auf der Straße verfolgen. Der Effekt war direkt und gleichzeitig distanziert, eine formale Innovation, die der Zeitschrift Mad oder den Kunstgriffen