Die Dolls hatten es bis in die Teenager Presse geschafft, aber in Amerika verkaufen sich Platten weder wegen der Presse noch weil sie Kultstatus besitzen: Ohne Verkäufe und ohne Rückhalt durch die Plattenfirma begannen die geschäftlichen Probleme. Wie in jeder scheiternden Partnerschaft, bildeten sich Fraktionen. Johnny Thunders und Jerry Nolan waren Heroinbrüder, was alle anderen ausschloss. Arthur Kane war ein so schlimmer Alkoholiker, dass er Ende 1974 ersetzt wurde. Damit blieb die angespannte Beziehung zwischen Sylvain und JoHansen: Keiner der beiden konnte über die Richtung der Gruppe entscheiden. Die Manager Leber und Krebs stellten eine Japantour und neue Vertragsverhandlungen mit Mercury in Aussicht, eine Entscheidung, die im August 1975 anstehen sollte. Unfähig sich auf eine der beiden Seiten zu schlagen, befanden sich die Dolls in einem Zustand größter Anspannung.
»Plötzlich tauchte Malcolm in New York auf«, sagt Sylvain. »Wir hatten ein Treffen: Marty Thau, ich, David und Malcolm berieten, was mit der Band passieren sollte. Marty war am Boden zerstört, aber Malcolm war enthusiastisch. Der Typ hatte eine Menge Energie. Wir brachten Arthur in eine Entzugsanstalt in der Stadt. Malcolm investierte an die 800 Dollar. Dann rief er diesen Typen vom Hippodrome an, der uns hasste, aber Malcolm überzeugte ihn. Er ist wie ein Prediger: Er bringt dich zum Glauben, und dann siehst du das Licht. Das war seine Zauberkunst.«
McLarens Beziehung zur Gruppe wurde nie formalisiert. Seine wichtigste Handlung bestand darin, die Fassade der Gruppe zu renovieren. Der Glam ging, Kommunismus kam. »Es begann mit einer roten Hose«, sagt Sylvain, »wir waren verrückt nach Klamotten. Das einzige, worüber sich Malcolm und David einigten war die Hammer-und-Sichel-Flagge. Cyrinda Fox und David fertigten die Flagge in ihrem Apartment zusammen mit Malcolm an, und das war der Punkt, an dem Amerika die Dolls aufgab.«
Die Dolls hatten jetzt eine vollkommen neue Verpackung: Eine Uniform, die Vivienne Westwood in England entworfen hatte. Rote Vinyl-Hosen, rote T-Shirts, hochhackige Sexstiefel vor einem Hammer-und-Sichel-Hintergrund und ein Manifest. »Für mich bedeutete das: ›Let’s eat the rich‹«, sagt Sylvain, aber McLaren hatte sein eigenes Konzept und verwendete die Sprache der chinesischen Revolution auf den Plakaten, die die Wohnung in Thurleigh Court schmückten:
»Was ist die Politik der Langeweile? Lieber rot als tot!«
Das erste Dolls-Konzert in »Lackleder« fand am 28. Februar statt. Das Songmaterial war gründlich überholt worden, aber die New Yorker Rockpresse war gegen die Dolls und besonders gegen McLaren.
»Alles baute sich um die Zeitschrift Rock Scene auf«, sagt Nick Kent, »und um Lisa Robinson. Weil es dort keine Wochenpresse wie in London gab, maßen sich Gruppen daran. Es war das erste Mal, dass mir klar wurde, wie sehr Bands die Medien als Spiegel brauchen. Nach der Show kam Lisa Robinson hinter die Bühne. Sie hielt Malcolm für wahnsinnnig. Sie trat an JoHansen heran: ›Was soll diese Kommunistenscheiße?‹ Und der alte Schauspieler, der er ist, sagt: ›Is nix Ernstes, weiß du.‹ Malcolm sah ihn an und dachte: ›Du Arschloch‹, weil er es tatsächlich ernst meinte.
The new generation, August 1974 (Im Besitz von Roberta Bayley)
Lenny Kaye ging rüber zu Thunders und stellte ihm dieselbe Frage. Sehr zu Malcolms Freude sagte Thunders: ›Was geht dich das an?‹ Malcolm erzählte diese Geschichte immer und immer wieder, für ihn bewies sie Haltung.«
»Eine Woche nach der Show fuhren sie nach Florida«, sagt Bob Gruen. »Jerrys Mutter besaß ein Motel, und sie spielten dort. Sie trennten sich, weil Jerry und Johnny in ein Flugzeug nach New York stiegen, um Dope zu beschaffen, und David haute ab. Syl und Malcolm blieb der Leihwagen. Also machten sie sich nach New Orleans auf, wo sie Musiker für eine neue Band finden wollten. Um das Land zu durchqueren, kauften sie Uniformen, damit sie aussahen wie Kerle aus einem Armeestützpunkt und man sie nicht als Sonderlinge verhaften würde.« Drei Jahre sind eine lange Zeit in New York, und die Dolls waren durch eine neue und härtere Generation von Gruppen rund um einen Club in der Innenstadt, dem CBGB’s, verdrängt worden. Die ersten, die diesen ungewöhnlichen Flecken entdeckten, waren Television, gegründet von Richard Meyers und Tom Miller, zwei Schulabbrecher aus einem Internat in Virginia. »Tom und ich hassten uns von Anfang an, aber es gab eine gemeinsame Basis, die wir mit niemandem sonst teilten«, schrieb Meyers später. »Die Leute, für deren Arbeit ich mich interessierte, und die verdrehte Ästhetik des französischen 19. Jahrhunderts waren keine populäre Ausgangsbasis für das Schreiben in jener Zeit. Als Kind denkt man, man weiß alles. Ich hatte das Gefühl, ich würde die Wahrheit über die menschliche Existenz kennen, über die alle anderen getäuscht worden waren. Mit einer Rock’n’Roll-Band, dachte ich, ließen sich diese Leute am besten erreichen. Als Teenager hatte man das Gefühl, das Radio sei eine Art geheimes Netzwerk. Songs waren die geheimen Nachrichten für Teenager, und man kam an Nachrichten heran, indem man Radio hörte. Wir betrachteten uns selbst als Slumkinder mit großen Visionen. Ich versuchte, die Konventionen zu durchschauen, die Lügen der Massenkultur und diese Vorstellung vom ›Rockstar als Idol‹ zu unterlaufen, und wollte Kids, die sich mit geschärftem Blick über das unterhielten, was sie sahen.«
Meyers und Miller veränderten in einer Hommage ihre Namen: Aus Richard wurde Hell, und Tom wurde Verlaine. Mit dem Schlagzeuger Billy Ficca nahmen sie zwei Titel auf: »That’s All I Know Right Now« und »Love Comes in Spurts« – schrille Songs über die Verweigerungshaltung von Teenagern, gespielt mit Gitarren, die wie Feuerwehrsirenen jaulten. Hell hatte außerdem an einer visuellen Verpackung gearbeitet, die zum zerklüfteten Musikstil passte: große 50er Jahre-Sonnenbrillen, Lederjacken, zerrissene T-Shirts und kurzes Ragamuffin-Haar.
Es war eine strenge Ästhetik, die eine Reihe von Botschaften transportierte: die existentielle Freiheit des fünfziger Jahre Beat, die unerhörte, wunderschöne Selbstzerstörung des Poète Maudit, der gestochen scharfe 60er Jahre Mod. Es brachte Gefahr und Weigerung zum Ausdruck, sprach ebenso wie das zerrissene T-Shirt von Sexualität und Gewalt. Wenn sich überhaupt etwas als Ursprung des späteren Punkstils ausmachen lässt, dann das.
Das denkt natürlich auch Richard Hell. Heute hat er von der ganzen Sache die Nase voll. Oder besser, an dem Tag, an dem ich ihn besuchte, hatte er die Nase voll. Sein Look war um die Welt gegangen, aber ihm ist davon wenig geblieben. Sein Poète Maudit-Skript hat ihn überholt. Nach einem fruchtlosen Jahrzehnt versucht er, im Hier und Jetzt zu leben, aber alles, wofür sich die Leute interessieren, ist eine Vergangenheit, die ihn daran erinnert, wieviel er verloren hat. Hell registriert nicht ohne Bitterkeit, dass die Sex Pistols das erreicht haben, was er erreichen wollte. Im März 1975 war England nirgendwo, in New York gab es im CBGB’s bereits eine blühende Kultur.
Hilly Kristals Bar auf der Bowery lag im Zentrum der »Bum Zone« – in den oberen Stockwerken des Clubs befand sich eine billige Absteige, The Palace. 1974 spielten Television jeden Sonntagabend dort. Ein Hauptproblem für Musiker besteht darin, Auftrittsmöglichkeiten zu finden, um vor Publikum lernen zu können. Nachdem Kristal im Dezember eine »Rock only«-Politik eingeführt hatte, wurde das CBGB’s zum Versuchsfeld für andere neue Gruppen wie die Ramones.
»I don’t care!« sangen die Ramones: »Don’t it make you feel sick?« Gegründet wurde die Gruppe von vier Vorstädtern aus Forest Hill, die alle den Nachnamen »Ramone« als Verneigung vor Paul McCartneys erstem Pseudonym annahmen. Die Ramones kannten die Pop-Geschichte, aber sie stellten sich dumm. »1-2-3-4!« schrie der Bassist Dee Dee Ramone zu Beginn jedes Songs, als wäre die Gruppe kaum in der Lage, den Rhythmus zu halten. Schließlich wurde es zum Ritual.
Die Ramones lernten auf der Bühne, kämpften und wurden allmählich immer besser. Seit Anfang 1975 entstand eine reductio ad absurdum in der Geschichte der bisherigen Popmusik: Die Beatles, Girl Groups, die Beach Boys, die Stooges, Herman’s Hermits verwandelten die Songs so schnell in Brei, dass sich darin die bruchstückhafte Konzentration der ersten Fernsehgeneration wiederspiegelte. Es gab keine Melodie, nur