Bald kamen auch die ersten Sparkassen in Schwierigkeiten, die Hypotheken auf diese Immobilien vergeben hatten. Der staatliche Einlagensicherungsfonds fand sich als Eigner vieler solcher Hypotheken wieder, als er insgesamt 747 Pleitebanken und Sparkassen abwickelte. Zur Verwaltung dieser Altlasten wurde 1989 eine eigene Behörde gegründet, die Resolution Trust Company (RTC).
Doch was soll eine Behörde mit Hypotheken im Wert von fast vierhundert Milliarden Dollar? Verbriefungen boten eine elegante Lösung, die für die Rettung investierten Steuermilliarden schnell wieder hereinzuholen. Schon 1991 konnte die RTC ein Programm zur regelmäßigen monatlichen Verbriefung von Hypothekenforderungen auflegen. Bis Ende 1994 verkaufte die RTC ihre verbrieften Forderungen für im Schnitt rund 90 Prozent des Nominalwerts.17 Wenn man bedenkt, dass viele dieser Hypotheken ohne genaue Dokumentation verbrieft wurden – die Käufer also nicht wussten, was genau es mit den Immobilien auf sich hatte – dann ist ein gerade mal zehnprozentiger Preisabschlag ein Erfolg.
Bemerkenswert ist, dass damals ausgerechnet der Staat schlecht dokumentierte Hypotheken verkaufte. In der aktuellen Finanzkrise taten dies einige Banken auch. Sogenannte No-Doc-Hypotheken gelten vielen Kritikern heute allerdings als ein Symbol für die Sorglosigkeit und Gier von Bankern.
Die Bedeutung der RTC für die Entwicklungsgeschichte der Verbriefung ist nicht zu unterschätzen. Zum einen war es das große Volumen, das einen völlig neuen Markt schuf und Investoren für Verbriefungen gewann, die sich ansonsten nie für diese Finanzprodukte interessiert hätten. Zum anderen muss erwähnt werden, dass es ausgerechnet der Staat war, der diesem Markt einen Anschub gab.
Die Vergrößerung des Markts für Verbriefungen war zwar nicht bewusst geplant im Sinne einer bewussten Entscheidung einer wirtschaftlichen Planungsbehörde. Aber als klar wurde, dass dies geschah, war sie auch nicht unerwünscht. Schließlich wollte die Bankenaufsicht die Hypotheken einfach nur loswerden. Es waren also keine raffgierigen Bankiers, die Verbriefungen zu einem großen Geschäft machten, sondern Bankenaufseher mit dem Ziel, den Schaden für den Steuerzahler aus einer Immobilienkrise zu begrenzen.
Die Lehre, die alle Experten aus der lateinamerikanischen Schuldenkrise und der amerikanischen Immobilienkrise der 80er Jahre zogen, war nach diesen Erfahrungen einleuchtend: es ist keine gute Idee, Kreditrisiken in Banken zu lassen. Die Technokraten der Banken sind keinesfalls besser in der Bewertung von Kreditrisiken als Investoren, die Anleihen in Finanzmärkten erwerben. Bleiben Kreditrisiken im Bankensystem, können sich Probleme bei der Rückzahlung schnell zu einer Bankenkrise aufschaukeln.
Für die Stabilität des Bankensystems ist es also besser, die Risiken an eine Vielzahl von Investoren abzutreten. Seit Anfang der 90er Jahre setzte sich diese Einsicht durch. Verbriefungen wurden zur ersten Wahl, um Hypotheken, Kredite und andere Forderungen aus den Bilanzen der Banken herauszulösen und bei Investoren zu platzieren.
Seit der Finanzkrise werden Verbriefungen nun verteufelt, weil Hypotheken verbrieft worden waren, bei denen es in bisher ungeahntem Masse zu Verlusten kam. Die öffentliche Debatte wird nun angeheizt von Nobelpreisträgern und anderen Ökonomen, die behaupten, Verbriefungen dienten nur gierigen Bankiers, die hohe Gebühren kassieren und Verluste auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Der Staat soll jetzt einschreiten und dafür sorgen, dass die Risiken bei den Banken bleiben. Dann könne es in der Zukunft keine Krisen mehr geben.
Diese Sicht ignoriert die Erfahrungen der 80er Jahre, als Bankenkrisen eben gerade dadurch entstanden, dass die Risiken in den Banken verblieben waren. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie die aktuelle Finanzkrise abgelaufen wäre, wenn nicht wenigstens ein Teil der Kreditrisiken an Anleger abgetreten worden wären. Man kann bestenfalls kritisieren, dass Verbriefungen nicht konsequent genug durchgezogen wurden. Verbriefte Hypothekenanleihen hätten nicht bei Banken bleiben dürfen, und andere Banken hätten nicht in solche Verbriefungen investieren dürfen.
Ausgerechnet deutsche Landesbanken, also Banken im Eigentum des Staats, waren am aktivsten daran beteiligt, durch Käufe Verbriefungen in das Bankensystem zurück zu bringen und dadurch die positiven Aspekte der Verbriefungen zunichte zu machen. Trotzdem: An Verbriefungen führt in Zukunft kein Weg vorbei.
Eine weitverbreitete Forderung lautet, Banken sollten in Zukunft einen Teil der Verbriefungen behalten. Dadurch soll sichergestellt werden, dass eventuelle Verluste auch bei den Banken anfallen. Anleger in Verbriefungen und Banken hätten dadurch gleichermaßen Interesse an der Rückzahlung der Verbindlichkeiten. Diese Sicht der Dinge ignoriert aber den historischen Kontext, in dem Verbriefungen entstanden sind. Kredite wurden eben gerade verbrieft, um zu verhindern, dass bei den unweigerlich auftretenden Kreditausfällen das ganze Bankensystem ins Wanken gerät. Würde diese Forderung umgesetzt, müssten Banken auch in Zukunft bei jeder Kreditkrise große Verluste hinnehmen. Auch dann käme man nicht um staatliche Rettungsaktionen herum.
Die beste Lösung des Problems ist also, dass alle Kredite komplett verbrieft und so wenig wie nur möglich in den Bilanzen der Banken gehalten werden. Auch hier zeigt sich wieder, wie voreilige Kritiker gedankenlos Forderungen voneinander abschreiben, ohne auch nur den blassesten Schimmer von den Zusammenhängen zu haben.
Übrigens ist das Abtreten von Krediten keine angelsächsische Erfindung, wie in der deutschen Debatte immer wieder vorgegaukelt wird, wenn vom Kaufen und Verkaufen von Krediten wie in der Verbriefung die Rede ist. Auch in deutschen Banken und in der Bilanzierung nach dem Handelsgesetzbuch gibt es seit Jahrzehnten das Konzept des durchlaufenden Kredits und Treuhandkredits. Dies sind Kredite, die zwar von der jeweiligen Bank verwaltet werden, sich aber im Eigentum anderer Investoren befinden. Wenn zwar auch die Handhabung etwas anders ist als im angelsächsischen Raum, so ist doch die dahinterstehende Idee die gleiche wie bei Verbriefungen.
13 Englisch securitization.
14 Derartige Anleihen, die durch Leasingverträge von Flugzeugen besichert sind, firmieren unter der Bezeichnung Enhanced Equipment Trust Certificate (EETC).
15 Abkürzung für Programme for Mittelstand-loan Securitization
16 Englisch sun belt.
17 León T. Kendall, Michael J. Fishman, A Primer on Securitization. Massachusetts Institute of Technology, Boston, Massachusetts, 1996.
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Wozu braucht man Rating-Agenturen?
Die Antwort ist überraschend einfach: eigentlich nicht. Wie in an-deren Bereichen auch verlässt man sich meistens dann auf den Fachmann, wenn es darauf ankommt. Davon leben auch die Rating-Agenturen. Wer seine Ersparnisse in eine Anleihe oder einen Rentenfonds investieren will, kann natürlich selbst das Kreditrisiko des Fonds analysieren. Meistens ist es dann aber doch einfacher, wenn man weiß, dass die Anleihen in dem Fonds ein bestimmtes Mindest-Rating haben, so dass der Fonds nur Anleihen von einer bestimmten Qualität hält.
Hier kommen die Rating-Agenturen ins Spiel: Sie bieten unabhängige Analysen mit einer standardisierten Skala, die von allen Beteiligten leicht zu verstehen ist und Vergleiche völlig verschiedener Anleihen ermöglicht. Beispielsweise kann man anhand eines Ratings von A-/A2 (S&P) sofort sehen, dass die in Britischen Pfund notierte 6,125-prozentige Anleihe von Siemens, fällig im Jahr 2066, von der gleichen Bonität ist wie die 4,75-prozentige Anleihe des amerikanischen Lebensmittelkonzerns Campbell Soup, deren Laufzeit nur bis zum Jahr 2021 reicht und die in Dollar notiert.18
Es ist also durchaus sinnvoll, Ratings als Entscheidungsgrundlage zu nutzen. So kann ein Aufsichtsgremium einer Lebensversicherung oder Rentenkasse, oder sogar ein Politiker im Aufsichtsrat einer Landesbank, leicht Mindestanforderungen an die Qualität der Anlagen der ihnen anvertrauten Gelder festlegen, ohne jede einzelne Anlage selbst prüfen zu müssen. Bei tausenden Anlagen wäre dies kaum möglich, und das Aufsichtsgremium müsste sich völlig auf die Einschätzung der angestellten Analysten verlassen. Eine Kontrolle würde nicht stattfinden, zumindest keine effektive.
Ratings brauchen