»Nee.«
»Aha.«
- . -
6
»Kopfschmerzen, als wenn mir einer mit der Brechstange die Schädeldecke aufhebeln wollte, ganz langsam. Und der gibt immer mehr Druck drauf. Das lähmt einen; ein Irrsinn ist das.«
»Wie war noch mal Ihr Name?«
»Dollinger. Tom Dollinger.«
»Eine Namensamnesie also noch nicht.«
»Eine was?«
»Wenn Sie also mal ganz tief in sich hineinhorchen, was richtet das alles in Ihnen an?«
»Sag ich ja, ich kriege überhaupt keine Entscheidung mehr hin, von der ich auch nach drei Minuten noch überzeugt bin. Was das für meinen Job bedeutet, brauch ich Ihnen ja wohl nicht auseinanderzuklamüsern.«
Und du brauchst ja wohl noch weniger auseinanderzuklamüsern, was das für eine Überwindung kostet, überhaupt auf die Idee zu kommen, dich an einen Seelenklempner ... das erste Mal in deinem Leben, dass du zu diesem Strohhalm greifst. Muss es dir schon verflucht scheiße gehn, wenn du dich zu so was ... Gut nur, dass es hier so ’ne Trulla vor Ort gibt. Seit ein paar Jahren hier im Präsidium. Und trotzdem kennt die dich kaum. Gut so.
Aber jetzt weiter im Text. Wenn du dich schon mal drauf eingelassen hast, dann musst du da auch durch. Also gib ihr Text: »Außerdem tauchen im Tagesablauf immer wieder so total merkwürdige Zeitlöcher auf.«
Sofort regnet ein warmer Regen auf dich herab. Zephirleise gesäuselte Sätze flattern mit Schmetterlingsflügeln von der Kanzel herab, lassen sich bassbaritonweich irgendwo in deinen Gehörgängen nieder. – Achtung, alter Knabe, aufgepasst, dass die dich nicht um ’n Finger wickelt, dich nicht bei Hammelbeinen kriegt, von deren Existenz du gar nichts weißt, nichts wusstest, woran du aber auf jeden Fall nicht gepackt werden willst. Entscheidend ist, dass DU derjenige bist und bleibst, der die eigenen Marionettenfäden in der Hand hält. DU und kein anderer. Und keine andere schon gar nicht.
»Zeitlöcher, als würden einzelne Minuten, manchmal auch Stunden oder sogar halbe Tage von einem kosmischen Black-Hole verschluckt«, rieselt es verständnisvoll auf dich herab.
»Halbe Tage nicht, so weit ist es noch nicht.«
»›So weit ist es noch nicht‹, Sie glauben also, Herr Dollinger, es könnte durchaus so weit kommen!«
»Außerdem ist da ewig diese Angst, ich könnte irgendwie nicht mehr funktionieren können. Das ist Terror!« Genauso Terror wie diese beknackte Couch, auf der du’s dir hast »gemütlich« machen sollen. Gemütlich, das ist ja wohl ’n Witz. Du hast schon lang nicht mehr auf so’m ungemütlichen Ding gelegen. Erinnert dich verdammt an deinen Urologen. Der hat auch so ’n knochenhartes Teil, da aber dann noch strafverschärfend mit Kunstleder überzogen. Dass man’s anschließend, wenn einer bei der Untersuchungsprozedur nicht ganz dicht gehalten hat, problemlos abwischen kann. Da lob ich mir doch hier den Baumwollstoff, oder was das ist. Aber von der gemütlich einfühlsamen Sorte jedenfalls ist das Ding nun wahrlich nicht. Meilenweit entfernt von einer Knautsch-Couch. Vielleicht ist das Gerät auch aus gutem Grund nicht so ganz der Gipfel der Bequemlichkeit. Damit nicht einer auf die Idee kommt, sich wirklich gemütlich darauf einzurichten. Damit man’s flugs hinter sich bringen will und nicht vergisst: Das hier ist Arbeit. Das Verfertigen der Gedanken beim Reden erleben und erleiden, ist alles andre als ein Kinkerlitzchen. Das ist ernst hier, so richtig ernst, Dollinger, hier geht’s um deinen verdammten verqueren Schädel, Mann! Hier geht’s um deinen Arsch.
Wie dem auch immer sei, es hilft alles nichts, du musst was vorlegen, musst dem Tiger was anbieten zum Zerfleischen. »Diese Angst, ich weiß nicht, dass man die Abläufe nicht mehr hinkriegt, den Tagesablauf, die Ermittlungsabläufe, egal was, also das ist wie eine Prügelstrafe, ohne dass ich wüsste, was ich ausgefressen hab.«
»Aber dass Sie was ausgefressen haben, das scheint Ihnen plausibel. Dass die Strafe also nicht ganz unberechtigt ist, auch wenn Sie nicht wissen weshalb.«
»Ganz die Psychologin!«, konterst du und bist total überrascht, dass du doch noch fähig bist, einen senkrechten Gedanken zu fassen. Und dein aufmüpfiges Maul ist auch noch nicht ganz verstummt. Grund zum Jubeln, findest du.
»Was lachen Sie?«, ist die Wernigge gleich wieder zur Stelle.
»Sorry. Dabei ist mir nicht im Entferntesten nach Lachen zu Mute. Ein einziger Horror, mein Leben zur Zeit, alles enorm anstrengend, jeder Tag, jede Stunde. Und keine halbe Woche her, da war alles noch ganz klipp und ganz klar strukturiert, alles hatte hieb- und stichfeste Konturen. Ich war ein verflucht guter Polizist, wissen Sie.«
»Und jetzt gerät alles ins Schwimmen. Nicht wahr?«
Das gerät jetzt alles … Dir gerät jetzt alles irgendwie ins Schwimmen.
- . -
7
Wie ihr – du warst sechs, vielleicht auch erst fünf, wahrscheinlich fünf, in der Schule jedenfalls warst du noch nicht, definitiv nicht – wie deine Eltern und du also mit diesem beigefarbenen Käfer ... du erinnerst dich noch genau an den Geruch, wirst du dein Leben lang in der Nase haben, hast nie wieder in einem Auto gesessen, dessen rostbraun feuchtigkeitsfleckiger Himmel einen derart warmen, derart heimeligen Geruch verströmte ... wie ihr im Käfer durch die Nacht gefahren seid. Dir wollten die Augen ständig zufallen. Der aufs Blech prasselnde Regen und der monoton vor sich hin jaulende Scheibenwischer taten ein Übriges. Das Einzige, was dich wach hielt, war das permanente Gezeter deiner Eltern. Aber auch wieder nicht permanent genug, um dich in den Schlaf zu singen. Mal flüsterten sie fast, und im nächsten Moment schlugen die Wellen hoch, brandeten mit wüstem Getöse gegen die Windschutzscheibe, wurden von dort zurückgeworfen und erwischten dich volle Breitseite, während du mutterseelenallein auf der Rückbank kauertest.
»Kannst du vielleicht mal ’n bisschen mehr auf die Tube drücken? Ist ja zum Kotzen, die Kriecherei«, mokierte sich deine Mutter.
»Kannst du vielleicht mal nicht wegen jedem Scheiß sofort diesen Ätzton anschlagen!«, rumpelte dein Vater zurück. Aber da war das Maß schon voll. Du spürtest dieses irgendwie rote Britzeln unter den Augenlidern, das dich unweigerlich zwang zu zwinkern, diesen salzigen Geschmack, der langsam aus irgendeiner Mundhöhle oder was oder wo angekrochen kam, den ganzen Mundraum ausfüllte und sich pelzig auf der Zunge niederließ, bevor dich endlich die Tränen überrollten, die dann schon wie eine Erlösung wirkten und sich mit den immer neu rüberschwappenden pechschwarzen Elternstreitwellen mischten. Um das Ungemach nicht noch zu vergrößern, versuchtest du, möglichst leise zu wimmern. Am liebsten ganz klein sein, am liebsten gar nicht da sein.
»Und dann noch vor Tom! Musst du mich vor dem Kind so bescheuert runtermachen? Außerdem, falls du’s noch nicht bemerkt haben solltest, es regnet! Und hier ist Tempo 70 bei Nässe«, sagte dein Vater mit beschwörend leiser Stimme.
»Mann Dollinger, du bist einfach ’n Zwangscharakter. Mitten in stockdustrer Nacht und hier oben in der Pampa, am Arsch der Welt, hier ist doch kein Schwein unterwegs um die Zeit. Geschweige denn ein Bullenkommando. Himmel noch mal, protestantisches Beamtensöhnchen! Du bist genau einer von der Sorte, die vor der Revolution dem Straßenbauamt Schadensersatz dafür anbieten, dass der Demonstrationszug beim Vorüberlatschen die Pflastersteine abnutzen wird. Anstatt die Dinger einfach rauszureißen. Spießig bis dorthinaus. Revisionistisch!«
Das reichte. Reichte deinem Vater. Voll und ganz. An deinem eigenen Wimmern vorbei hörtest du, wie mit einem Mal der Motor des guten alten Käfers aufheulte, lauter als du selbst. Und du bekamst mit, natürlich bekamst du mit, wie es auf einmal ganz anders ruckelte, wie deine Sitzbank anfing zu zittern und zu beben, wie’s unter deinen Fußsohlen rumorte. Wie ein Brecher Spritzwasser nach dem andern gegen die Karosserie schlug, wie die Reifen auf der regennassen Fahrbahn schlitterten.
Deine