Offenbar goes heute weiß Gott anything. »Der Witz«, heißt es bei Jean Paul ahnungsvoll, »ist der verkleidete Priester, der jedes Paar traut«, die klerikale Pappnase, die die Karnevalsschafe humorökumenisch eint und »zu Frohheit und Scherz« (Witzprofessor Kuno Fischer) animiert.
Angesichts solch trostloser Umtriebe las ich doch lieber und wahrlich vergnügter in der BamS von ebendiesem 3. Februar, daß die Karnevalsmaske Marke »Edmund Stoiber« der H. Krautwurst GmbH bei 19,25 Euro Erstehungskosten immerhin auch das giftigste sämtlicher handelsüblicher Gummigesichter ist und es während einer »Ausgasungsmessung« auf »21 flüchtige organische Verbindungen« brachte – Verbindungen, die verträglicher, quasi organischer sein dürften als diejenigen zwischen Karneval und Kirche, zwischen beinharter Komik und verweichlichtem Katholizismus, jenseits der Wirklichkeitswelt des Bieres.
Paradigmenwechsel in Jesbach
Co-Autor: Michael Tetzlaff
Jesbach im Mai 2003. Ein Dorf in Lethargie. Die Sonne scheint. Vögel singen. Langeweile pur. Das ist die Wirklichkeit im Schwalm-Knüll-Kreis. Und nicht nur dort. Deutschland darbt vor Ödnis.
Ein Hund schlummert mitten auf der Hauptstraße von Jesbach. Plötzlich stellt er die Lauscher auf. In Zeitlupentempo. In der Biegung vor dem Ortseingang tauchen surrend drei schwarze Stretchlimousinen auf. Der Hund erhebt sich und trottet hinüber zum Trottoir.
Auf dem Dorfplatz stoppen die drei Wagen, direkt vor der frisch renovierten lutheranischen Kirche. Niemand hat die Limousinen jemals hier gesehen. Und niemand sieht sie in diesem Augenblick. Ganz Jesbach döst.
Aus jedem Wagen steigen drei unansehnliche Menschen. Die weißen Anzughosen liegen auf den weißen Slippern auf, die Sonne spiegelt sich in den dunklen Brillen, die Gelfrisuren glänzen. Sie schleichen um ihre Limos und bleiben am Kofferraum stehen. Jeder holt einen silbernen Koffer heraus. Sie machen sich auf zum Wirtshaus Am Dorfplatz.
Am Stammtisch sitzen: Bauer Ewald, Horst K., Pfarrer Sommerauer, Brauer Karl, die Verkäuferin Käthe Z. und ein weiteres Dutzend Existenzen. Es ist ihnen anzusehen, die Idylle ist unerträglich. Zermürbt vom ewigen Glotzen auf den immergrünen Wald, suchen sie Zuflucht im Alkohol. Und das heißt hier: im Bier.
»Dann wollen wir mal«, sagt einer der Männer in Weiß. Er öffnet seinen Koffer, holt eine Handvoll Spritzen und Kanülen heraus sowie ein paar Löffel, einen Bunsenbrenner, flüssige Zitrone und ein Päckchen Pulver. »Nun, liebe Leute, gebt fein acht, ich habe euch was mitgebracht.«
Niemand staunt. Willig lassen sich die Jesbacher von den Fremden reihum die Oberarme abbinden und die Spritzen in die Venen hauen. Sogar ein Grinsen ist hie und da zu beobachten. Etwas, das in Jesbach schon lange nicht mehr zu sehen war.
Drei Wochen später. »Mir fehlen die Worte«, ächzt Bürgermeister Frank D. (CDU). »Jahrzehntelange Aufbauarbeit wurde mit einem Stich zunichte gemacht.« Ganz anders äußert sich Bauer Ewald: »Das Bier hat mir schon lange nichts mehr gebracht. Da hab’ ich gedacht: Kosten kost’ ja nichts.« Selbst der Brauer hat umgesattelt. Die unglücklichen Versuche mit hochdosiertem Hanfbier gehören der Vergangenheit an. »Mein Heroinbier«, so Brauer Karl, »ist der Renner!«
Das bestätigt auch Käthe Z. aus dem örtlichen Edeka mit Ringen unter den Augen und eingefallenen Wangen: »Der Heroinbierverkauf brummt. Die Binding kann mir seither gestohlen bleiben.« Auf dem Verkaufstresen steht ein großes Bonbonglas, randvoll mit szenetypischen Tütchen. »Das sind die Snacks für zwischendurch«, erklärt die Verkäuferin. Auch »für zwischendurch« hat sich Käthe Z. noch einen besonderen Leckerbissen einfallen lassen: süße Stückchen, die anstelle von Puderzucker mit feinstem Koks bestreut sind. »Die Leute rennen mir die Bude ein.«
Seit dem Besuch der ominösen Männer »aus der Stadt« ist Jesbach nicht mehr wiederzuerkennen. Fröhlichkeit pur. »Es schmeckt eben«, sagt der siebzigjährige Horst K. »Die einzige, die den Zug verpaßt hat, ist meine Mutter Hildegund.« – »Mein Sohn Horst«, wimmert die Neunzigjährige, »war doch immer so ein lieber Junge, der am Tag seine zwei, drei Kästen Bier getrunken hat. Und jetzt das …«
Andere ältere Semester sind aufgeschlossener. »Wenn du bloß an diesen gottverdammten Krampfadern leichter eine schöne Stelle finden würdest«, grummelt Metzger a. D. Wummer. Genauso euphorisch äußert sich Pfarrer Sommerauer über die Veränderungen unter seinen Schäfchen. »Dank Ecstasy müssen wir jetzt auch nicht mehr schlafen. Wir sind dem ewigen Leben schon sehr nahe«, predigt er und zieht sich die 5-mm-Kanüle aus der Halsschlagader. Ein weinroter Tropfen fällt auf die weiße Krause. »Mein persönliches Abendmahl«, schmunzelt er, »und zwar gleich schon mal vor dem Frühstück.«
Jesbach im Juni 2003. Der Dorfbrunnen gleicht einem Steinbruch. Die Kirche ist mit Sprüchen wie »Laster statt Luther« übersät. Überall riecht es nach Erbrochenem und Kot. Katzen reißen sich die Pfoten an weggeworfenen One-Way-Spritzen auf. Intakte Fensterscheiben gibt es kaum noch. Die Jesbacher sind glücklich.
Deutschland, schau auf dieses Dorf!
Das lohnende Los
Vergangenen Sonntag hat sich im Offstage, einer verhutzelten Kultkneipe im Herzen Kassels, ein neuer Verein gegründet. Nicht, daß der Brauch der innovativen Vereinsbildung im kulturellen und kulinarischen Zentrum Nordhessens, in dem die Parkscheibe und die Dickwurst erfunden wurden, eine besondere Tradition besäße; aber nun nahm sich ein Häuflein beherzter Damen und Mannsbilder ein wahres Herz und stampfte den »Los-Club e. V.« aus dem qualmenden Asphalt Kassels.
Die acht gebürtigen Kasseler, Kasselaner oder Kasselenser zwischen einundzwanzig und achtundachtzig Jahren reagieren mit ihrem Engagement auf eine Kampagne, die der hessische Rundfunk vor kurzem gegen das urbane Kleinod Kassel angezettelt hat. Kassel sei »ein Unort«, wurde auf hr1 in der Sendung Der Tag verbreitet, und damit nicht genug. Ferner kamen Passagen aus einem Gutachten des Stadtgeographen und Teilzeitautors Dr. Peter Köhler zum Vortrag, die an Prägnanz und kühler Analytik nichts zu wünschen übriglassen. »Die Menschen«, hieß es da, »sind grob und ungeschlacht wie die Nachkriegsbauten, nur daß die Bauten menschlicher wirken.« Oder auch: »Öffnen sie«, also die »Menschen« beziehungsweise Kasseläner, »statt des Mundes den anderen After, so kommt das ›Kasseler Wörtchen‹ heraus. Da ist es logisch, daß zu ihren liebsten Futtermitteln Abfall zählt, den sie ›Weckewerk‹ nennen, eine ungeformte, bräunliche Masse, die aussieht, als sei sie recycelt worden.«
»Gegen diese infame Verleumdung mußten wir etwas unternehmen«, sagt Prof. Peter L., der selbsternannte Vorsitzende des »Los-Clubs«. Er erörtert Profil und Ziel des aufsehenerregenden Vereins: »Wir, allesamt Menschen aus Kassel, gehen in die Offensive und machen allerhand los. Daher der Name.« – »Und nicht zu knapp«, pflichtet ihm Heike W. bei. »Am Wochenende startet das erste Weckewerkwettessen auf dem Friedrichsplatz. Das Fernsehen will auch kommen. Gedacht ist an eine Liveübertragung in voller Länge.«
Die wackeren Weckewerkliebhaber planen noch erheblich mehr, um den Ruf Kassels ins rechte Licht zu rücken und zu festigen: Kulturevents wie Stadtwappensticken und Hardcorehäkeln, Kulinaraktionen wie Frikadellenweitwurf und »Suppeumrühren nach Hausfrauenart« und andere spektakuläre Initiativen. »In den kommenden Wochen werden wir uns regelmäßig vor dem Grab von Wilhelm Zwos Pudel Erdmann versammeln und moderne monarchistische Lieder singen. Dabei halten wir unsere Personalausweise in die Luft, damit jeder sehen kann, daß wir zu unserem Los stehen«, Peter L. zwinkert mit dem rechten Auge, »klasse Kasseler zu sein. Unser Los muß sich wieder lohnen!« – »Und hinterher«, ergänzt Klaus B., »trinken wir im Offstage zusammen eine Flasche Bier. Von hier, versteht sich.«
Daß