In vieler Hinsicht erweitert also der Ökofeminismus den Blickwinkel der Tiefenökologie, indem er die Verbindungslinien zwischen allen Systemen von Herrschaft und Kontrolle zieht. Gleichzeitig versucht der Ökofeminismus einen Abstraktionsgrad zu überwinden, den man bei so mancher tiefenökologischer Vorstellung einer allgemeinen Identifikation mit der Natur vorfindet. Ökofeministinnen zeichnet insbesondere aus, dass sie betonen, es sei eine emotionale Bindung an reale Orte und reale Menschen nötig, um das Handeln für Gerechtigkeit und ökologische Harmonie zu inspirieren. Wir müssen in wirklichen Erfahrungen verwurzelt sein und dürfen uns nicht einfach mit einer Abstraktion identifizieren, wenn wir uns selbst der Ehrfurcht, dem Wunder und dem Einfühlungsvermögen öffnen, die uns tragen können. „Die Gefahr einer abstrakten Identifizierung mit dem ‚Ganzen‘ besteht darin, dass sie die Existenz unabhängiger Lebewesen nicht wahrnehmen oder respektieren kann […]. Unser tiefes, ganzheitliches Bewusstsein von der gegenseitigen Verbundenheit allen Lebens muss ein gelebtes Bewusstsein sein, das wir sowohl im Verhältnis zu einzelnen Seinsformen als auch zum größeren Ganzen erfahren.“ (Kheel 1990, 136–137)
Die Ursprünge von Patriarchat und Anthropozentrismus
Eine ökofeministische Perspektive kann Einsichten vermitteln, die uns helfen können zu erklären, wie Gier, Ausbeutung und Herrschaft einen so gewaltigen Einfluss auf das wirtschaftliche, politische und kulturelle System gewinnen konnten, dem die meisten Gesellschaften unterworfen sind. Insbesondere verhelfen uns diese Einsichten zum Verständnis dessen, wie die Grundüberzeugungen, Grundannahmen und „Werte“ der herrschenden globalen (Un-)Ordnung aus der Dynamik von Patriarchat und Anthropozentrismus (bzw. Androzentrismus) hervorgehen.
Für ein solches Verständnis ist es hilfreich, die historischen Ursprünge und die Entwicklung von Patriarchat und Anthropozentrismus zu betrachten. Dies wiederum macht den Prozess sichtbar, in dessen Verlauf diese gesellschaftlichen Konstrukte entstanden, und es liefert Anhaltspunkte dafür, wie von Gerechtigkeit, Gleichheit und Nachhaltigkeit geprägte Alternativen geschaffen werden können, um sie abzulösen.
Viele alte und moderne ursprüngliche Kulturen haben ein hohes Maß an Geschlechtergerechtigkeit und zugleich ein harmonisches Verhältnis zur Natur verwirklicht. Oftmals weisen diese Kulturen eine vom Geschlechterverhältnis bestimmte Arbeitsteilung auf, doch das deutet nicht unbedingt auf eine Ausbeutungsbeziehung zwischen den Geschlechtern hin. Tatsächlich waren in frühen Zeiten, noch vor Ackerbau und Viehzucht in großem Maßstab, die meisten Kulturen vermutlich recht egalitär, und viele waren „matrizentrisch“, das heißt um die Frau als Mittelpunkt organisiert. Das heißt, sie hatten weibliche Hauptgottheiten, und Frauen genossen in ihren Gesellschaften ein hohes Ansehen. Die meisten Stämme von Jägern und Sammlern, die jungsteinzeitlichen Gesellschaften Europas und Anatoliens und die frühen andinen Kulturen scheinen diesem matrizentrischen Muster zu gehorchen.18
Die Anfänge des Patriarchats
Um das Jahr 5000 v. Chr. jedoch drang das Patriarchat allem Anschein nach in Europa und den Mittleren Osten ein. In Zentralasien könnte es möglicherweise schon früher entstanden sein, in vielen anderen Gesellschafen der Welt erst wesentlich später, oftmals vermittels Invasion und Kolonisierung. (Es gibt jedoch auch Gesellschaften, wie zum Beispiel die balinesische oder die der Kung-San in der Kalahari-Wüste im südlichen Afrika, die sich bis heute weitgehend ein von Gleichheit geprägtes Beziehungsgefüge zwischen den Geschlechtern bewahrt haben.)
Maria Mies geht davon aus, dass das Patriarchat zuerst unter Hirtengesellschaften Fuß fasste. Als die Männer die Reproduktionsprozesse bei Tieren zu beobachten und zu verstehen begannen, wurden sie sich ihrer eigenen Rolle im Zeugungsprozess bewusst. Dies führte zu einer Veränderung in ihrem Verhältnis zur Natur und zu einer neuen sexuell bestimmten Arbeitsteilung. Innerhalb einer Nomadengesellschaft in häufig trockenen Regionen wurde die traditionelle Rolle der Frau als Sammlerin von Nahrungsmitteln zweitrangig. Deshalb wurde den Frauen eine untergeordnete Stellung als Hüterinnen der Kinder zugewiesen. Eine neue Produktionsweise, die auf Zwang, Kontrolle und Manipulation beruhte, entstand.
In Ackerbaugesellschaften könnte das Patriarchat im Zuge der Erfindung des Pflugs entstanden sein. Rosemary Radford Ruether schreibt:
„Der Pflug war das Instrument der männlichen Vorherrschaft über die Tiere und über das Land. Zusammen mit dem Schwert dienten diese Geräte den Männern als Mittel zur Eroberung anderer Männer und schließlich der eigenen Frauen.“ (1994, 175)
Ken Wilber (1996) macht deutlich, dass der Gebrauch des Pflugs eine Menge physischer Kraft erfordert. Schwangere Frauen, die versuchten, den Pflug zu führen, hatten oft Fehlgeburten. Deshalb war es aus biologischen Gründen von Vorteil, dass sich Frauen von dieser Art von Arbeit fernhielten. Auf diese Weise tendierte die Einführung des Pflugs dazu, Feldarbeit stärker auf Männer zu verlagern. Dies hatte zur Folge, dass die Männer die Aufgabe der Nahrungsproduktion an sich zogen und Frauen zunehmend auf den Bereich des Haushalts abgedrängt wurden. Der Pflug ermöglichte es darüber hinaus, Nahrungsmittelüberschüsse zu erzielen. Dadurch wurde ein Teil der Männer für Aufgaben jenseits der Notwendigkeiten des täglichen Lebenserhalts frei. Die Frauen hingegen blieben weitgehend an die reproduktiven Aufgaben und den Haushalt gebunden.
Im Lauf der Zeit führte dies zur faktischen Entfernung der Frauen aus der Sphäre der Öffentlichkeit. Wilber macht deutlich, dass in Gesellschaften mit einer Gärtnerkultur (in der der Ackerbau mithilfe des Grabstocks und der Hacke erfolgt) Frauen mehr als 80 % der Nahrungsmittel produzieren, dass es darin gleichberechtigte Beziehungen zwischen Mann und Frau – trotz unterschiedlicher Rollen ‒ gibt und dass viele der Hauptgottheiten weiblich sind. Im Gegensatz dazu sind über 90 % der Agrargesellschaften (welche den Pflug benutzen) männlich dominiert, und die obersten Gottheiten sind tendenziell männlich.
Produktion, die auf Raub beruht
Selbst in der Jungsteinzeit ermöglichten es Fortschritte im Ackerbau bereits Dörfern, Überschüsse zu produzieren und im Lauf der Zeit Reichtum anzuhäufen. Mies beobachtet, dass dies zum ersten Mal in der Geschichte den Krieg ökonomisch lukrativ machte. Es war oft weitaus einfacher, sich die Produktion der anderen unter Zwang anzueignen, als für sich selbst zu produzieren. Auf diese Weise entstand „Raubproduktion“ (die von ihrem Wesen her unproduktive Produktion ist!) in Form von Eroberung und Plünderung. Man umgab Dörfer mit Mauern, und die „Kunst“ der Kriegführung wurde entwickelt. Männer erlangten das Monopol für Waffen (wahrscheinlich aufgrund ihrer überlegenen Körpergröße und aufgrund der Tatsache, dass sie von der Aufgabe der Aufzucht des Nachwuchses befreit waren), was zu einer neuerlichen Konzentration von Macht und Ansehen aufseiten der Männer und damit zum weiteren Gedeihen des Patriarchats führte. Mies schreibt, dass andauernde Beziehungen der Ausbeutung und Herrschaft zwischen Frauen und Männern und die asymmetrische Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen letztlich geschaffen und aufrechterhalten wurden durch direkte Gewalt und Zwang auf der Grundlage des männlichen Monopols des Waffenbesitzes (Mies 1989, 76–88).19
Das Wachstum der Agrargesellschaften beschleunigte diesen Prozess. Als immer größere Mengen an Reichtum angehäuft wurden, wurden immer mehr Männer von der Nahrungsmittelproduktion befreit. Einerseits ermöglichte dies die Erfindung der Schrift, der Astronomie, der Metallverarbeitung und der Mathematik, doch andererseits setzte es auch Kräfte zur Schaffung von Gruppen frei, die auf die Kriegsführung spezialisiert waren. Zum ersten Mal entstanden Berufsarmeen und sogar ganze Kriegerklassen.
Im Lauf der Zeit rief das Wachstum der Bevölkerung in Stadtstaaten ebenfalls einen Wettbewerb nach zunehmend knapper werdenden natürlichen Ressourcen hervor: