Menges nächstes und letztes großes historisches Projekt schloss sich zeitlich recht nahtlos an: Der zweiteilige Fernsehfilm Ende der Unschuld80 beginnt in Großbritannien an dem Augusttag 1945, als in Hiroshima die erste Atombombe fällt, und rekonstruiert, wie es dazu kam, dass den in Farm Hall internierten Pionieren der deutschen Atomphysik – vor allem dem Entdecker der Kernspaltung Otto Hahn und seinem Nobelpreis-Kollegen Werner Heisenberg – der Bau einer solchen Bombe nicht gelungen war. Wieder recherchierte Menge akribisch. Unter anderem
»entdeckte er Briefe von Lise Meitner im Archiv der FU Berlin. Damals kam ein Professor an seinen Tisch, nur um sich den Mann anzusehen, der die Briefe lesen wollte, für die sich zuvor niemand interessiert hatte.«81
Als Autor ging es ihm wesentlich darum, einen wichtigen, aber damals – 1987, als er mit der Arbeit begann – nicht unbedingt aktuellen Stoff zu gestalten:
»Die Frage nach dem Nerv der Zeit: Da muss ich sagen, es gibt auch Zeiten, deren Nerv mich einfach nicht interessiert. [... D]ann erhole ich mich eben eine Weile vom Zeitgeist mit Dingen, die immer wichtig, aber nie so in sein werden – wie etwa jetzt mit meinem Zweiteiler über die deutschen Atomphysiker in den dreißiger und vierziger Jahren.«82
Das zweiteilige Fernsehspiel, inszeniert von dem Ex-Defa-Regisseur Frank Beyer und im April 1991 ausgestrahlt, nannte Der Spiegel »Gewissensforschung mit der Kamera«.83 Michael Schwelien lobte in Die Zeit, Ende der Unschuld sei »das Spannendste, was der Sender seit Jahren produziert hat.«84 Von der Kritik positiv aufgenommen und für zahlreiche Preise nominiert, u.a. den International Emmy Award, fand das Fernsehspiel unter den Bedingungen der analogen Disruption jedoch kaum noch Zuschauer. Für Wolfgang Menge, seit Stahlnetz auf Massenerfolge abonniert, war das eine ungewohnte Erfahrung.85 Sie läutete seinen Abschied von historischen Stoffen ein.86
1 Einer wird gewinnen (D-ARD, 1964-1969).
2 Vergissmeinnicht (D-ZDF, 1964-1970).
3 Der Goldene Schuss (D-ZDF, 1964-1970).
4 Wünsch Dir was (D-ZDF, 1969-1972).
5 Dalli Dalli (D-ZDF, 1971-1986).
6 Vgl. dazu Ruchatz, Jens: »Komplexes Fernsehen 1974. Die Liveness der Talkshow III nach 9«, in diesem Band S. 377-410, hier S. 378.
7 K. Kastan: »Wolfgang Menge im Gespräch«.
8 W. Menge: Bremen, 25. Juni 1987.
9 H. Janke: »Unruhe stiften, aber unterhaltsam«.
10 W. Menge: Bremen, 25. Juni 1987.
11 W. Menge: Sylt, 21. Juni 1987.
12 Ebd. – Walter Jens schrieb unter dem Pseudonym Momos Fernsehkritiken für Die Zeit.
13 Je später der Abend (D-WDR/ARD, 1973-1978).
14 W. Menge: Sylt, 21. Juni 1987.
15 III nach 9 (D-RB, seit 1974).
16 S. Münker: »Subversion durch Transparenz«, S. 360.
17 Menge, Wolfgang: »›... weil das Risiko Spaß macht‹«, in: Jörg, Sabine (Hg.), Spaß für Millionen: Wie unterhält uns das Fernsehen?, Berlin: Spiess 1982, S. 117-129, S. 129. Der Beitrag findet sich in diesem Band S. 556-575, hier S. 575.
18 J. Ruchatz: »Komplexes Fernsehen 1974«, S. 403.
19 Vgl. in diesem Band S. Münker: »Subversion durch Transparenz«, S. 364ff
20 G. Rohrbach: »Auf eine gepflegte Weise kauzig«.
21 W. Menge: »›... weil das Risiko Spaß macht‹«, S. 127-128, in diesem Band S. 575.
22 Das Interview vom 10. März 1978 findet sich online unter: http://www.radiobremen.de/fernsehen/3_nach_9/geschichte/bestof100.html
23 Leute (D-SFB, 1983-1986). – Menges Mitarbeit endete, als er gegen die Entlassung seiner Ko-Moderatorin Gisela Marx protestierte. Von einem einmaligen Versuch im Jahre 1990 abgesehen, moderierte Menge danach keine Talkshow mehr. Siehe dazu Schmid-Ospach, Michael: »Sie tanzten nur einen Abend«, in diesem Band S. 604-607.
24 W. Menge: »›... weil das Risiko Spaß macht‹«, S. 121. In diesem Band S. 566.
25 Zitiert nach https://www.youtube.com/watch?v=YAO19tO3kW8
26 S. Münker: »Subversion durch Transparenz«, S. 353.
27 Till Death Us Do Part (GB-BBC 1965-1975, O: Johnny Speight).
28 Ein Herz und eine Seele (D-WDR 1973-1976, R: Jochen Preen / Jürgen Flimm).
29 Hallervorden spielte eine Hauptrolle im Millionenspiel, 1975 steuerte Menge auch Texte zu Hallervordens Kabarett-Serie Nonstop Nonsense (1975-1980) bei.
30 G. Rohrbach: »Auf eine gepflegte Weise kauzig«.