Ein Mordsdreh am Jadebusen. Hans Garbaden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Garbaden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783862872343
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war, versuchte, den im Wasser treibenden Körper an einen Bootshaken zu bekommen. Der Kapitän kam hinzu, bat die gaffenden Leute zurückzutreten und gemeinsam wurde der Körper über die Reling gehievt und auf Deck auf dem Rücken abgelegt.

      Es handelte sich – wie nicht zu übersehen war – um die Leiche einer jungen Frau. Die Tote hatte am Schädel eine schwere Verletzung. Über den Hinterkopf zog sich eine tiefe, klaffende Wunde. Die Augen der Frau waren vielleicht von Seevögeln gefressen worden, denn es waren nur noch leere Höhlen. Trotz dieser Verletzungen war zu erkennen, dass die Frau einmal sehr hübsch gewesen war. Sie hatte lange, blonde Haare und ein zartes Gesicht mit vollen Lippen. Der Hals und die Glieder waren anmutig geformt. Die Leichenstarre war schon von ihr gewichen, dadurch war das Fleisch über den Knochen erschlafft. Die Brüste lagen auf den Rippen, Mund und Kiefer hatten sich gelockert. Die Schamhaare waren zu einem schmalen Strich rasiert.

      Eine korpulente Touristin, die sich nicht an die Anweisung des Kapitäns gehalten und sich ganz nach vorn bis an die Leiche gedrängelt hatte, konnte sich bei dem Anblick der toten Frau gerade noch rechtzeitig über die Reling beugen, bevor sie die drei Brötchen mit Käse und Marmelade vom Frühstück in einem würgenden Schwall erbrach. Sofort stürzten sich die immer hungrigen Möwen auf diese unverhoffte Mahlzeit.

      „Arme Deern“, murmelte der Bootsmann, während er eine Persenning über die Leiche breitete.

      Der Kapitän war inzwischen auf die Brücke geeilt, um die Wasserschutzpolizei zu verständigen.

      Während der Aktion hatte sich der Himmel urplötzlich verfinstert, und die schwappenden Wellen waren kabbeliger und bedrohlicher geworden. Ein plötzlich einsetzender Regenschauer ließ die Passagiere unter Deck flüchten. Ein Sturm mit Windstärke neun kam aus Westnordwest. Das Meer toste. Die Nordsee zeigte sich von ihrer brutalen Seite und reagierte so, als ob sie das Opfer nicht gern wieder hergegeben hätte.

      Der Kapitän hielt sich nicht lange mit der Meldung an die Wasserschutzpolizei auf, sondern gab nur das Nötigste durch. Die Position des Leichenfundes trug er ins Logbuch ein. Vorrangig setzte er alles daran, die BELLA zurück in den sicheren Hafen zu bringen, denn erste schwere Brecher rollten über das Deck. Bevor die tote Frau von Bord gespült werden konnte, brachte der Bootsmann den Leichnam in eine kleine Kammer unter Deck. Das Schiff stampfte in der aufgewühlten See, und der Sturm war zum Orkan geworden. Fast horizontal peitschte der Regen über die BELLA.

      Eilert Harms hatte sein Kapitänspatent vor zwanzig Jahren gemacht. Bis zur Übernahme der BELLA hatte er auf großer Fahrt alle Weltmeere befahren. Ihn konnte nichts mehr erschüttern. Er hatte die heftigsten Stürme in der Biskaya erlebt und Kaventsmänner von vierzig Meter Höhe bei der Fahrt um Kap Hoorn überlebt. Er war ein Ruhe und Autorität ausstrahlender, besonnener Mann. Mit seiner bedächtigen Art versuchte er die verängstigten Passagiere zu beruhigen, während riesige Wellen die BELLA in die Höhe hoben und wieder in die Tiefe fallen ließen. Ein tiefes Dröhnen war in der Ferne zu hören, und plötzlich schlugen Hagelschauer gegen die Fenster des Salons. Einzelne Passagiere fingen angstvoll an zu wimmern. Der Weltuntergang schien nah. Auf den Tischen rutschte klirrend das Geschirr hin und her und wurde nur durch die Sturmkante vor dem Herunterfallen bewahrt. Mehrere Passagiere hatte die Seekrankheit gepackt. Einige saßen mit grauen Gesichtern apathisch auf ihren Stühlen, während andere sich in bereitliegende Tüten übergeben hatten. Zwei Männer bekämpften das Unwohlsein auf ihre Art. Sie ließen sich an der kleinen Bord-Bar vom Bootsmann einen Schnaps nach dem anderen einschenken. Die Therapie schien erfolgreich zu sein. Die Männer wurden nicht seekrank, waren aber stark betrunken.

      Einer der beiden, ein typischer Ruhrpott-Kumpel aus Wanne-Eickel konnte nur noch lallen: „Jezz ham wir nichs mehr von dat Kielschwein gehört.“

      Die Antwort seines Zechkumpans ließ erkennen, dass er aus Berlin stammte: „Du Orje, vom Klabautermann hatta ooch nüscht mehr jesacht.“

      „Denn man prost, Atze“, sagte der Ruhrpottkumpel, und beide hoben zum neunten Mal ihr Glas.

      Nachdem die Gläser leer waren, meldete sich noch einmal der Berliner: „Eenen könn wa noch, wat?“

      So plötzlich, wie das Unwetter gekommen war, verschwand es wieder. Der Sturm ließ nach, von Westen her rissen die Wolken auseinander, und die Sonne kam durch.

      Inzwischen war die BELLA in der Wesermündung und hielt Kurs auf ihren Heimathafen Fedderwardersiel, wo sie von der Wasserschutzpolizei erwartet wurde.

       Sinsum

      Wenn man von Langwarden die Butjadinger Straße Richtung Burhave fährt, zweigt rechterhand kurz vor Burhave der Sinsumer Weg ab und führt direkt nach Sinsum.

      Vor dem Ort stand hinter hochgewachsenen und verwilderten Büschen das verlotterte Anwesen. Es bestand aus einem reetgedeckten Wohnhaus, das einmal sehr repräsentativ gewesen sein musste. Jetzt zeigte es unübersehbare Spuren des Verfalls. Weiter bestand das Anwesen aus einigen kleinen Nebengebäuden, einer Scheune und Stallungen. Überall hatte der Zahn der Zeit genagt. In Scheune und Stallungen, die offensichtlich nicht mehr genutzt wurden, gab es kein Leben mehr, und am Tag schien die Sonne und nachts der Mond durch das zum Teil eingestürzte Dach auf allerlei Gerümpel, das die Besitzer über die Jahre hineingeworfen hatten.

      Nicht mehr funktionierendes und verrostetes landwirtschaftliches Gerät wie eine alte Egge, eine ehemals mit der Hand betriebene Häckselmaschine, mehrere Sensen und Sicheln und andere Maschinenteile aus dem vorigen Jahrhundert lagen verstreut auf dem Hof herum.

      Es war spätabends, als eine alte, etwas grobknochige Frau, die sich auf jugendlich getrimmt hatte, aus dem Haus trat. Sie war stark geschminkt und hatte die schlecht blondierten, grauen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie trug einen kurzen Rock und eine enge, weit geöffnete Bluse, so dass ein Teil ihres welken Busens zu sehen war.

      Mathilde Koller-Elberfeld nahm die Zigarette aus dem Mundwinkel und rief ihre Katzen. „Miez, Miez, Miez.“

      Aber kein Tier ließ sich auf dem Hof blicken.

      Die Frau wollte gerade wieder ins Haus gehen, als sie das Motorgeräusch eines herannahenden Autos hörte. Sie blieb vor ihrer Haustür stehen und beobachtete, wie ein klappriger, älterer VW-Bus auf den Hof gefahren kam. Der Fahrer schlängelte sich durch herumliegende Schrottteile und hielt kurz vor der Frau an. Aus dem Wagen stieg Gunthram Vallay. Sofort wurde er von der Frau mit einem Schwall von Vorwürfen überhäuft.

      „Wo warst du den ganzen Abend? Ich weiß nie, wo du dich immer herumtreibst. Bestimmt hast du wieder getrunken und sonst was angestellt. Ich finanziere dein Auto und das Segelboot, lasse dich ohne Kostenbeteiligung in meinem Haus wohnen, und du dankst es mir, indem du dich nie um mich kümmerst. Außerdem wolltest du dich längst um ein Engagement bemühen. Aber das wird wohl auch so ein Windei wie deine hochtrabenden Filmpläne.“

      Damit drehte sie sich um und ging ins Haus zurück.

      Gunthram Vallay, der noch am Wagen stand, warf die Fahrzeugtür zu und folgte der Frau ins Haus, wo er sah, wie sie sich eine Flasche und ein Glas aus einer Kredenz holte und sich einen dreifachen Scotch einschenkte.

      Das verstärkte die Wut, die nach der Tirade der Frau in ihm hochgestiegen war. „Du versoffene alte Vettel wirfst mir vor, dass ich trinke, wo du nur noch an der Flasche hängst und dabei noch rauchst wie ein Schlot. Und was das Boot angeht, das ist doch nur noch ein löchriger, alter Kahn, und bei der Rostlaube von einem Auto zu sprechen, ist ein Witz. Und in deiner Bruchbude, die du Haus nennst, wohne ich doch nur, weil du mich auf Knien darum angefleht hast. Du bist doch froh, dass es in deinem Leben überhaupt noch einen Menschen gibt. Was meine Theater- und Filmpläne angeht, habe ich noch eher eine Chance als du mit deinen Träumen von einem Engagement. Dich kennt doch keine Sau mehr. Dass du vor vierzig Jahren mal eine große Nummer im Filmgeschäft warst und Rekordgagen bekommen hast, weiß heute auch kein Mensch mehr.“

      Mathilde Koller-Elberfeld hatte ihr Glas inzwischen ausgetrunken. Tränen liefen über ihre faltigen Wangen. Sie machte zwei Schritte und warf sich dem jüngeren Mann an den Hals. Ihn fest umklammernd, hing sie schluchzend an seiner Schulter.

      „Ach