Frau Jenny Treibel. Theodor Fontane. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theodor Fontane
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783864080869
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Vorgehen voll Koketterie sprach sie übrigens so lebhaft, so laut, als ob ihr daran läge, dass jedes Wort auch von ihrer Umgebung und ganz besonders von ihrem Vetter Marcell gehört werde.

      „Sie führen einen so schönen Namen“, wandte sie sich an Mr. Nelson, „so schön und berühmt, dass ich wohl fragen möchte, ob Ihnen nie das Verlangen gekommen ist...?“

      „O yes, yes...“

      „...sich der Fernambuk- und Campecheholzbranche, darin Sie, soviel ich weiß, auch tätig sind, für immer zu entschlagen? Ich fühle deutlich, dass ich, wenn ich Nelson hieße, keine ruhige Stunde mehr haben würde, bis ich meine Battle at the Nile89 ebenfalls geschlagen hätte. Sie kennen natürlich die Einzelheiten der Schlacht...“

      „O, to be sure90.“

      „Nun, da wär‘ ich denn endlich — denn hierlands weiß niemand etwas Rechtes davon — an der richtigen Quelle. Sagen Sie, Mr. Nelson, wie war das eigentlich mit der Idee, der Anordnung zur Schlacht? Ich habe die Beschreibung vor einiger Zeit im Walter Scott91 gelesen und war seitdem immer im Zweifel darüber, was eigentlich den Ausschlag gegeben habe, ob mehr eine geniale Disposition oder ein heroischer Mut...“

      „I should rather think, a heroical courage... British oaks and british hearts...92

      „Ich freue mich, diese Frage durch Sie beglichen zu sehen und in einer Weise, die meinen Sympathien entspricht. Denn ich bin für das Heroische, weil es so selten ist. Aber ich möchte doch auch annehmen, dass das geniale Kommando...“

      „Certainly, Miss Corinna. No doubt... England expects that every man will do his duty93…“

      „Ja, das waren herrliche Worte, von denen ich übrigens bis heute geglaubt hatte, dass sie bei Trafalgar94 gesprochen seien. Aber warum nicht auch bei Abukir95? Etwas Gutes kann immer zweimal gesagt werden. Und dann... eigentlich ist eine Schlacht wie die andere, besonders Seeschlachten — ein Knall, eine Feuersäule, und alles geht in die Luft. Es muss übrigens großartig sein und entzückend für alle die, die zusehen können; ein wundervoller Anblick.“

      „O splendid96...“

      „Ja, Leopold“, fuhr Corinna fort, indem sie sich plötzlich an ihren andern Tischnachbar wandte, „da sitzen Sie nun und lächeln. Und warum lächeln Sie? Weil Sie hinter diesem Lächeln Ihre Verlegenheit verbergen wollen. Sie haben eben nicht jene ,heroical courage‘, zu der sich dear Mr. Nelson so bedingungslos bekannt hat. Ganz im Gegenteil. Sie haben sich aus ihres Vaters Fabrik, die noch in gewissem Sinne, wenn auch freilich nur geschäftlich, die Blut- und Eisentheorie vertritt — ja es klang mir vorhin fast, als ob Ihr Papa der Frau Majorin von Ziegenhals etwas von diesen Dingen erzählt hätte — Sie haben sich, sag‘ ich, aus dem Blutlaugenhof, in dem Sie verbleiben mussten, in den Holzhof Ihres Bruders Otto zurückgezogen. Das war nicht gut, auch wenn es Fernambukholz ist. Da sehen Sie meinen Vetter Marcell drüben, der schwört jeden Tag, wenn er mit seinen Hanteln umherficht, dass es auf das Reck und das Turnen ankomme, was ihm ein für alle Mal die Heldenschaft bedeutet, und dass Vater Jahn doch schließlich noch über Nelson geht.“

      Marcell drohte halb ernst-, halb scherzhaft mit dem Finger zu Corinna hinüber und sagte: „Cousine, vergiss nicht, dass der Repräsentant einer andern Nation dir zur Seite sitzt, und dass du die Pflicht hast, einigermaßen für deutsche Weiblichkeit einzutreten.“

      „O, no, no“, sagte Nelson. „Nichts Weiblichkeit; always quick and clever... das ist was wir lieben an deutsche Frauen. Nichts Weiblichkeit. Fräulein Corinna is quite in the right way97.“

      Da hast du‘s, Marcell. Mr. Nelson, für den du so sorglich eintrittst, damit er nicht falsche Bilder mit in sein meerumgürtetes Albion98 hinübernimmt, Mr. Nelson lässt dich im Stich, und Frau Treibel, denk ich, lässt dich auch im Stich und Herr Enghaus auch und mein Freund Leopold auch. Und so bin ich gutes Muts, und bleibt nur noch Fräulein Honig...“

      Diese verneigte sich und sagte: „Ich bin gewohnt, mit der Majorität zu gehen“, und ihre Verbittertheit lag in diesem Tone der Zustimmung.

      „Ich will mir meines Vetters Mahnung aber doch gesagt sein lassen“, fuhr Corinna fort. „Ich bin etwas übermütig, Mr. Nelson, und außerdem aus einer plauderhaften Familie ...“

      „Just what I like99, Miss Corinna. ‚Plauderhafte Leute, gute Leute, so sagen wir in England.“

      „Und das sag‘ ich auch, Mr. Nelson. Können Sie sich einen immer plaudernden Verbrecher denken?“

      „Oh, no; certainly not…100

      „Und zum Zeichen, dass ich, trotz ewigen Schwatzens, doch eine weibliche Natur und eine richtige Deutsche bin, soll Mr. Nelson von mir hören, dass ich auch noch nebenher kochen, nähen und plätten kann, und dass ich im Lette-Verein die Kunststopferei gelernt habe. Ja, Mr. Nelson, so steht es mit mir. Ich bin ganz deutsch und ganz weiblich, und bleibt eigentlich nur noch die Frage: kennen Sie den Lette-Verein und kennen Sie die Kunststopferei?“

      „No, Fräulein Corinna, neither the one nor the other101.”

      „Nun, sehen Sie, dear Mr. Nelson, der Lette-Verein in ein Verein oder ein Institut oder eine Schule für weibliche Handarbeit. Ich glaube sogar nach englischem Muster, was noch ein besonderer Vorzug wäre.“

      „Not at all; German schools are always to be preferred102.“

      „Wer weiß, ich möchte das nicht so schroff hinstellen. Aber lassen wir das, um uns mit dem weit Wichtigeren zu beschäftigen, mit der Kunststopferei. Das ist wirklich was. Bitte, wollen Sie zunächst das Wort nachsprechen...“

      Mr. Nelson lächelte gutmütig vor sich hin.

      „Nun, ich sehe, dass es Ihnen Schwierigkeiten macht. Aber diese Schwierigkeiten sind nichts gegen die der Kunststopferei selbst. Sehen Sie, hier ist mein Freund Leopold Treibel und trägt, wie Sie sehen, einen untadeligen Rock mit einer doppelten Knopfreihe, und auch wirklich zugeknöpft, ganz wie es sich für einen Gentleman und einen Berliner Kommerzienratssohn geziemt. Und ich taxiere den Rode auf wenigstens hundert Mark.“

      „Überschätzung.“

      „Wer weiß. Du vergisst, Marcell, dass es verschiedene Skalen auf diesem Gebiete gibt, eine für Oberlehrer und eine für Kommerzienräte. Doch lassen wir die Preisfrage. Jedenfalls ein feiner Rock, prima. Und nun, wenn wir aufstehen, Mr. Nelson, und die Zigarren herumgereicht werden — ich denke, Sie rauchen doch — werde ich Sie um Ihre Zigarre bitten und meinem Freunde Leopold Treibel ein Loch in den Rock brennen, hier gerade, wo sein Herz sitzt, und dann wird‘ ich den Rock in einer Droschke mit nach Hause nehmen, und morgen um dieselbe Zeit wollen wir uns hier im Garten wieder versammeln und um das Bassin herum Stühle stellen, wie bei einer Aufführung, Und der Kakadu kann auch dabei sein. Und dann wird‘ ich auftreten wie eine Künstlerin, die ich in der Tat auch bin, und werde den Rock herumgehen lassen, und wenn Sie, dear Mr. Nelson, dann noch imstande sind, die Stelle zu finden, wo das Loch war, so will ich Ihnen einen Kuss geben und Ihnen als Sklavin nach Liverpool hin folgen. Aber es wird nicht dazu kommen. Soll ich sagen leider? Ich habe zwei Medaillen als Kunststopferin gewonnen, und Sie werden die Stelle sicherlich nicht finden.

      „O, ich werde finden, no doubt, I will find it103,“ entgegnete Mr. Nelson leuchtenden Auges, und weil er seiner immer wachsenden Bewunderung, passend oder nicht, einen Ausdruck geben wollte, schloss er mit einem in kurzen Ausrufungen gehaltenen Hymnus auf die Berlinerinnen und der sich daran anschließenden und mehrfach wiederholten Versicherung, dass sie decidedly clever104 seien.

      Leopold und der Referendar vereinigten sich mit ihm in diesem Lob, und selbst Fräulein Honig lächelte, weil sie sich als Landsmännin mit geschmeichelt fühlen mochte. Nur im Auge der jungen Frau Treibel sprach sich eine leise Verstimmung darüber aus, eine Berlinerin und kleine Professorstochter in dieser Weise gefeiert zu sehen. Auch Vetter Marcell, so sehr er zustimmte, war nicht recht zufrieden, weil er davon ausging, dass seine Cousine ein solches Hasten und Sich-in-Szene-Setzen nicht nötig habe;