Ich habe Burgund gewählt, um ein paar Ferientage zu verbringen, um mich mit meiner Frau zu entspannen und für eine Weile den Lärm des Stadtlebens vergessen zu können. Es ist alles so anders hier. In der Stadt überkommt mich ab und zu der Wunsch abzuschalten. Die Orte des Alltags machen mich nervös wie ein ungemein lästiger Juckreiz. Die Gesellschaft der Menschen befriedigt mich nicht mehr sonderlich und es überkommt mich der Wunsch, allein zu sein: Fast so, als ob die einzig mögliche Versöhnung nur über die Abwesenheit der Geräusche der Stadt und ihrer Einwohner gehen könnte. In solchen Momenten versuche ich oft, mich auf das kleinste Detail einer Landschaft zu konzentrieren: den Beginn eines aufwärtsführenden Weges in die Berge, das Fenster eines Hauses, das auf eine Wiese hinausgeht, eine Bank, die neben einem Feldbrunnen steht. Ich fühle, dass sich dort der Lärm in Wohlklang verwandelt, sich in das universelle Konzert integriert und mit ihm vereint. Auch eine menschliche Stimme kann wieder einem Gesang ähneln, ohne stürmisch zu drängeln, um das Primat der Allgegenwart zu erzielen. Wenn ich während meiner von Unduldsamkeit geprägten Tage auf der Straße gehe, kommt mir die Menschheit, wegen ihrer Anzahl und ihrer Aufregung, wie eine arrogante Menge vor. Ich empfinde ihre Hast, an ihr Ziel zu kommen, als Zeichen der Verzweiflung, die nicht ausschließt, sich auch mit den Fingernägeln oder der Waffengewalt Platz zu verschaffen, wenn es sein muss. Und da kann ich mir nicht helfen, mich für einen anderen Bestimmungsort geboren zu fühlen, sei dieser der Beginn eines aufwärtsführenden Weges in die Berge, das Fenster eines Hauses und die Wiese davor, oder eine Bank, die neben einem Feldbrunnen steht, das spielt keine große Rolle. Wie dem auch sei, es handelt sich um ein „Anderswo“, in dem die Stimme wieder zum Gesang erklingen kann, meinem Gesang.
Unser Ziel war ein kleines Haus am Canal de Bourgogne, etwa auf der Hälfte seiner Gesamtlänge gelegen, mit Blick auf den Kanal, Eigentum des Wärters einer der vielen Schleusen, die es dort gibt, im Dorf Gissey sur Ouche. Wir waren auf der Suche nach ein bisschen Ruhe, Entspannung, Abschottung von der chaotischen Stadtwelt und auf Selbstsuche. Die Landschaft vor uns entfaltete ein Farbenkonzert, Sonnenreflexe, die sich in den Pfützen widerspiegelten, uns vollkommen in Bann schlugen. Es würde schwierig sein, in das Stadtleben zurückzukehren, das war uns schon jetzt bewusst, noch bevor wir die Bekanntschaft des Ortes gemacht hatten. Aber das Beste sollte noch kommen. Es zeigte sich eindringlich vor unseren Augen, drang in unsere Herzen und nahm unsere Aufmerksamkeit für immer gefangen. Gissey ist ein Dorf mit einer Handvoll, meist aus Naturstein gebauter Häuser, genau wie im Mittelalter. Das Rathaus, eine Schule, eine Kirche und der angrenzende Friedhof waren die einzigen öffentlichen, von der Hauptstraße aus sichtbaren Gebäude. Ein einziges, eher kleines Restaurant, bot Touristenmenüs zu einem Festpreis an, war aber nur an bestimmten Tagen der Woche, einschließlich Samstag und Sonntag geöffnet, abends jedoch selten. Kein Laden, nicht mal ein Lebensmittelgeschäft. Auch hier konnte man frei laufende Tiere auf den Feldern sehen, Vögel, die in den Himmel schweben, dabei Kreise und weitreichende Bögen ziehen und niedergleiten, um dann wiederum wie Tänzer, von den perfekten Noten einer klassischen Arie geleitet, in die Höhe zu fliegen.
In der Nähe des Dorfes angekommen, bogen wir in einen schmalen, mit Steinen und Kies übersäten Feldweg ein, der so schmal war, dass zwei Autos wohl kaum aneinander hätten vorbeifahren können. Die kleine Straße, übersät mit großen, tiefen Löchern, hier und da mit Regenwasser gefüllt, das der Boden nicht hatte aufnehmen können, führte am Kanal entlang, der sich zu unserer Linken ausbreitete und auf dem wir vereinzelte kleine Kähne erblickten, die sich in gerader Linie fortbewegten. Auf den Kähnen lachten die Leute fröhlich und schauten in die Gegend. Blicke voller Folklore zeichneten sich auf ihren Gesichtern ab, deren milchweiße und mitunter bonbonrosa Haut glänzend und straff war und deren Wangen in ein leuchtendes Rot übergingen. Die Männer knipsten Fotos, knabberten an leckeren Häppchen und nippten gierig Wein aus langen Stielgläsern. Vielleicht hatte die Stärke des Alkohols sie bereits in den Fängen. Frauen mittleren Alters saßen entspannt, die Beine lässig auf Bänke aus dunklem Holz und Metall gelegt, oder auch ausgestreckt auf Liegestühlen mit Bezugsstoff aus grobem, beigefarbenem Tuch, die auf Deck aufgestellt waren. Kinder, an ihre Mütter gelehnt, genossen ihr Eis, die Gesichter halb unter ihren bunten Kappen versteckt als Schutz vor der Sonne und den neugierigen Blicken der Reisegefährten, denen sie verlegen auswichen. Sie machten den Eindruck, die absoluteste Freiheit zu genießen, oder etwas sehr Ähnliches, nämlich Sorglosigkeit, so als ob sie integrierender Bestandteil der Umwelt wären, in Harmonie mit ihr lebten. Die Probleme des Alltags schienen sie nicht zu berühren, als ob es in Wirklichkeit überhaupt keine Probleme gäbe, gegen die man ankämpfen musste, als wären sie völlig davon ausgenommen. Man hörte nicht nur Französisch sprechen, sondern auch Deutsch, Englisch und Spanisch. Es war kein italienischer Gast darunter oder zumindest sprach niemand Italienisch in dem Moment. Jedenfalls hatte keiner der Anwesenden typisch italienische Gesichtszüge. Sie kamen in der Tat sehr nahe an uns vorbei und man konnte sie gut sehen, so gut, dass man fast die Unvollkommenheiten der Haut erkennen konnte. Wir betrachteten den Kahn, wie er durch das Wasser glitt und die fröhliche Gesellschaft beförderte. Keine ohrenbetäubenden Geräusche waren zu hören, trotz der laufenden Motoren. Der Eindruck war, dass der Kahn auf dem Wasser vorwärts rutschte, als würde er allein durch die Kraft der Luft angetrieben. Zu den Fenstern unseres Autos, das wir ausgeschaltet hatten, um das Geschehen zu bewundern und zu verewigen, drang das Gelächter der Menschen, ihr Gerede und die Symphonie des Gesangs der Vögelchen herein, die das freie Feld rechts der Fahrbahn besiedelten. Auf dieser Seite war das ganze Feld, soweit wir sehen konnten, eine einzige riesige, grüne Fläche. Sie war von Hügeln dunkleren und intensiveren Grüns wie eingerahmt. Sie schienen dorthin platziert worden zu sein, um nicht sofort die Schönheiten zu enthüllen, die sich hinter ihnen entfalteten.
„Es ist alles so unglaublich hier!“ sagte Sonia mit einer Stimme voller Freude und spürbarer Erregung und Augen, in denen jenes Licht leuchtete, das ich mit dieser Intensität schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen hatte. „Es kommt mir wie eine andere Welt vor! Es scheint fast, dass die Grenzlinie überschritten worden sei, als wir in diese Straße einbogen, jene Grenzlinie, die das Wirkliche von dem trennt, was stattdessen lediglich ein Produkt der Träume ist. Es ist unbeschreiblich,