Betrachtet man Trakls Werk von den Jugenddichtungen bis zu Klage und Grodek, ist eine deutliche Entwicklung seines Stils erkennbar. Die Jugendgedichte, die Trakl 1909 zu einem Band zusammenstellte, der jedoch zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht blieb, sind in einem an Baudelaire geschulten Décadence-Stil gehalten; der junge Dichter befindet sich noch auf der Suche nach der eigenen Stimme. Doch entfaltete sich schon hier die für Trakl so typische Bilderwelt, aus der sein ganz eigener lyrischer Kosmos entstehen würde. Von etwa 1910 an entwickelte sich Trakls Stil konsequent weiter und nahm seine ganz eigene, im wahrsten Sinne des Wortes merkwürdige Klangfarbe an. Man spricht auch von Trakls impressionistischer Phase: Eindruck um Eindruck reiht sich hier scheinbar rein assoziativ aneinander, oft in ungewöhnlichen Kombinationen, die die gewohnte Wirklichkeitswahrnehmung des Lesers herausfordern. Diese von starken, aber zugleich sanften Naturbildern dominierten Verse erhalten eine traumhafte Qualität, doch eine, die den Blick nicht verschleiert, sondern verschärft. Der Übergang von dieser ›impressionistischen‹ zu Trakls expressionistischer Lyrik geschieht fließend. Trakls Bildhaftigkeit beginnt, sich von dem Rückbezug auf eine wiedererkennbare Wirklichkeit zu lösen; seine Verse kreieren immer mehr eine neue, poetische, zeichenhafte ›Wirklichkeit‹, die zutiefst rätselhaft, aber auch zutiefst bedeutungsvoll ist, nämlich voll eigener Bedeutung. Besonders deutlich erkennbar wird dies an Trakls Farbsymbolik, die einen wichtigen und äußerst faszinierenden Aspekt der Lyrik des Salzburgers darstellt.
In den früheren Gedichten ist trotz impressionistischer Verfremdung der konkrete Wirklichkeitsbezug der Farbsymbolik gegeben: »Golden reift der Wein am Hügel« in Frauensegen (1910), wo auch »Rot die Blätter niederfließen«, und In einem verlassenen Zimmer (1910) »beugt die heiße Stirne / Sich den weißen Sternen zu.« Doch ist bereits in Die schöne Stadt (1910) auch von »den braun erhellten Kirchen« die Rede; es beginnt ein Abstraktionsprozess, der sich beständig fortsetzt. Farben werden ihrer konkreten Bedeutung enthoben, in neue, noch nicht gesehene Zusammenhänge gebracht; berühmt ist beispielsweise das in Trakls Lyrik mehrfach auftretenden »blaue Wild«. Dies ist eine Farbsymbolik, die sich an der alltäglichen Wirklichkeitserfahrung reibt; gerade dadurch aber wird innerhalb der Verse eine zeichenhafte ›Wirklichkeit‹ erschaffen, in der Farben Gefühls- und Seinszustände bezeichnen können, ohne das, was sie bezeichnen, konkret festzulegen, wie etwa in Trakls spätem Gedicht Klage: »Jüngling aus kristallnem Munde / Sank dein goldner Blick ins Tal; / Waldes Woge rot und fahl / In der schwarzen Abendstunde.«
Doch Trakl gelingt mehr, als bloß expressionistisch-abstrakte Farbbilder zu malen. Gerade auch dadurch, dass der Abstraktionsprozess innerhalb seines Gesamtwerkes ein gradueller ist, sich die expressionistische Verfremdung Schritt um Schritt steigert, schafft Trakl ein eigenes Bedeutungsnetz, einen Bilderkosmos, in dem sich alle Zeichen aufeinander beziehen. Trakls Lyrik arbeitet im Grunde mit einem eng begrenzten Repertoire an Bildern und Begriffen, von denen Farben einen nicht unbedeutenden Teil ausmachen: blau, weiß, golden, schwarz, kristallen sind darunter wohl die prominentesten. Weitere elementare Begriffe dieses poetischen Zeichennetzes sind Zustände wie Kindheit, Stille, Tod und Verfall, zeitliche Momente wie der Abend, die Nacht, die Dämmerung, der Herbst und die Reihe von dramatis personae in Trakls Lyrik, darunter die vielbesprochene Schwester, die Mutter, der Fremdling, der Engel, das Wild, das Ungeborene, der Jüngling. All diese Bedeutungselemente werden schrittweise aus vertrauten Kontexten gelöst und in immer neue gesetzt, die für sich genommen oft rätselhaft sind, doch ein Netz weben, das Trakls Gedichte miteinander verknüpft und einen neuen Zusammenhang, einen neuen Bedeutungskosmos schafft.
Walther Killy, der Herausgeber der ersten kritischen Trakl-Ausgabe, hat die berühmte Behauptung aufgestellt, das Werk des Salzburgers sei in Wirklichkeit ein einziges großes, zusammenhängendes Gedicht – und diese Aussage hat durchaus ihre Berechtigung. In Trakls Bildwelt beziehen sich die einzelnen Zeichen stets aufeinander, schieben sich übereinander, verschmelzen gar miteinander, so dass fast ein einziges, wenn auch dissonantes, fragmentiertes, nie vollständiges Bild zu entstehen scheint. Am eingängigsten geschieht dies im Fall jener dramatis personae, die Spiegelungen der eigenen Lebenswelt Trakls sind, aber durch sein poetisches Verfahren zu einem Mehr werden: die tod- wie lebenbringende Schwester und die Masken, die den Dichter selbst bezeichnen können. Der Knabe, der Fremdling, der Jüngling werden durch ein relativ einfaches Verfahren unauflöslich mit der Gestalt der Schwester verknüpft: Nicht nur werden diese Figuren mit denselben Attributen in Verbindung gebracht (etwa den Farben blau, silbern und gold oder dem Mond und dem Wild), sondern die Schwester wird auch zu »der Jünglingin / Umgeben von bleichen Monden« (Das Herz) oder erscheint als »der schwarze Schatten der Fremdlingin« (Offenbarung und Untergang). Diese Gestalt wird also aufs Engste mit den Masken verschmolzen, die das dichterische Ich bezeichnen können.
Ähnliche, wenn auch meist komplexere, motivliche Verbindungen kreiert Trakl zwischen allen dramatis personae seines lyrischen Kosmos, so dass sich in seinen Gedichten zwar kaum je ein lyrisches Ich manifestiert, es uns aber dennoch aus all diesen Gesichtern gebrochen entgegenzublicken scheint. Dieses vielfach gespiegelte ›Ich‹ist hoffnungslos gespalten, schaut sich aus tausend Spiegeln selbst ins Gesicht und sucht in der Vielheit eine Einheit, die sich nicht zuletzt in der zaghaften Hoffnung auf die hermaphroditische Verbindung mit der Schwester-Gestalt manifestiert, die jedoch auch ins Nichts führen kann: »Aus blauem Spiegel trat die schmale Gestalt der Schwester, und er stürzte wie tot ins Dunkel.« (Traum und Umnachtung) Doch wie immer bei Trakl sind Gegensätze wie Ganzheit und Nichts nicht wirklich verschieden, sondern in letzter Konsequenz dasselbe – eine unaufgelöste Ambivalenz, die es auszuhalten gilt.
Jedes Gedicht in Trakls eng umgrenzten und doch so überbordenden Kosmos liest sich wie eine ganz eigene Variation eines Themas. Dieses Thema selbst jedoch bleibt stets dunkel und ungesagt. Es mag das Ringen des Menschen um eine psychische Ganzheit sein, der langsame Verfall als conditio humana, die unauflösliche Einheit von Leben und Tod, die Ambivalenz von Untergang und Rettung, das Ringen mit einer großen Schuld, die »vergebliche Hoffnung des Lebens« (Sommersneige) – all dies zusammen und nichts davon. Diese beständige Schwebe, dieses Umkreisen eines unbestimmbaren und doch erahnbaren Themas, macht Trakls Lyrik so anziehend und vielsagend. Hier sind die Dinge nie das, was sie beim ersten Hinsehen zu sein scheinen; sie erfordern ein tiefes Schauen, ein stetes Schauen, wie der Blick in den Spiegel, der immer dasselbe und stets Anderes zeigt. Schließlich gilt, um mit Trakls Worten aus seinem großen Gedicht Helian zu schließen: »Doch die Seele erfreut gerechtes Anschaun.«
Katharina Maier
Im Juli 2009
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