Eine richtige Hochzeit konnte natürlich nicht gefeiert werden; es blieb bei einer morganatischen, lediglich eheähnlichen Verbindung. Am Celler Hof galt Eleonore zunächst auch nicht als Gemahlin des Herzogs, sondern als dessen Freundin. Nach einer Provinz am Rande des Herzogtums billigte man ihr den Titel »Frau von Harburg« zu, nannte sie »Madame«. Doch nach der Geburt von Sophie Dorothea ließ Herzog Georg Wilhelm nichts unversucht, um den Status seiner Frau aufzuwerten. Er überschrieb ihr Ländereien und setzte sich bei Kaiser Leopold I. in Wien für sie ein. Mit Erfolg. Schon nach drei Jahren gewährte der Kaiser »Frau von Harburg« das Recht, den Titel einer Gräfin von Wilhelmsburg zu führen. Der Kaiser war auf die Unterstützung der Hannoveraner bei seinen Kriegen gegen die Türken und Franzosen angewiesen, und er zeigte sich erkenntlich für die Soldaten aus Norddeutschland, die der Herzog von Celle ihm und seinen Verbündeten überließ. So erfüllte sich endlich der sehnlichste Wunsch Eleonores: die Anerkennung ihrer Ehe – und ihres Kindes. »Ich glaube, jetzt ist der Augenblick gekommen, wo ich an meine Hochzeit denken kann«, jubelte der Heideherzog.
Sophie indessen versuchte alles, die Trauung zu hintertreiben. Doch vergebens. Am 2. April 1676 konnten Georg Wilhelm und Eleonore in Celle die Einsegnung ihrer Ehe feiern. Ernst August und Sophie blieben dem Festakt fern. Unter den Gästen dagegen war Herzog Anton Ulrich aus Wolfenbüttel. Und dies hatte einen ganz besonderen Grund. Denn anlässlich der kirchlichen Zeremonie wurde die Verlobung der zehnjährigen Prinzessin Sophie Dorothea mit Prinz Friedrich August, dem Sohn des Gastes aus Wolfenbüttel, bekannt gegeben. Doch noch ehe die Nachricht Proteste der Hannoveraner nach sich ziehen konnte, fiel Friedrich August von Wolfenbüttel bei der Belagerung von Philippsburg einer französischen Kanonenkugel zum Opfer. Unerfüllte Liebe und früher Tod – wie so oft in dieser Zeit verlosch auch in diesem Fall ein Leben, lange bevor es sich entfalten konnte.
Das war aber noch lange kein Grund, in Trübsal zu versinken. Die Tage der Angst waren vorbei. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges war eine ungeheure Lebenslust im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation erwacht. Wer es sich nur irgendwie leisten konnte, genoss sein kurzes Erdendasein in vollen Zügen. Und da der Westfälische Friede den Landesfürsten nahezu uneingeschränkte Souveränität gegenüber dem Kaiser in Wien bescherte, baute sich jeder Provinzherzog sein eigenes Versailles – mit Schlössern nach italienischem und französischem Vorbild, mit Tanz, Theater und Musik. Geld spielte bei all dem kaum eine Rolle. Die Zeche zahlten andere.
Diese Stimmung trug dazu bei, dass in Celle die Trauer um den Tod des Wolfenbütteler Verlobten nur kurz war. Denn das Leben am Celler Hof hatte durch den vielgereisten Herzog und seine französische Gemahlin ungeheuren Schwung entwickelt. Georg Wilhelm ließ Komödianten aus Italien und Frankreich kommen, baute ein Schlosstheater und stellte eine Schauspielertruppe an. Bei fast allen Gelegenheiten erklang Musik hinter den Schlossmauern. Geigen-, Flöten- und Cembaloklänge erfüllten die Prunkgemächer.
Eleonore tat das Ihre, um das Celler Schloss zu einem Palast zu machen. Die schöne Madame mit dem kastanienfarbenem Haar und den dunkelbraunen Augen veranlasste ihren Mann, Salons und Prunkgemächer mit französisch-italienischem Interieur einzurichten, einen Französischen Garten anzulegen, die neueste Mode aus Paris zu importieren und vor allem: den Speiseplan zu verfeinern. Anstelle von fetten Würsten und schwer verdaulichen Wildschweinkeulen kam nun leichte französische Kost mit Artischocken und Kräutern der Provence auf den Tisch. Eleonore trug auch dazu bei, die Tischsitten zu verfeinern. Regelmäßig erschien jetzt ein Page an der herrschaftlichen Tafel, der die Speisenden ermahnte, sich nicht mit Knochen und Brotkrumen zu bewerfen, von Beleidigungen während des Essens abzusehen, sich nicht die besten Stücke heimlich in die Tasche zu stecken oder gar mit den Fingern vom Teller zu essen. Schluss gemacht wurde auch mit der Sitte, nach dem Essen die Betrunkenen in einer Schubkarre abzutransportieren.
Immer französischer ging es zu am Hof von Celle, immer feiner. Bald war der Großteil des Personals französischer Herkunft und die vorherrschende Sprache bei Hofe war nicht etwa Deutsch, sondern Französisch. »Ich bin der einzige Ausländer hier«, scherzte Georg Wilhelm, wenn Besucher kamen.
Georg Wilhelms Bruder Ernst August indessen beobachtete die Entwicklung mit wachsender Sorge. Nach dem Tod seines katholischen Bruders Johann Friedrich im Dezember 1679 hatte der protestantische Fürstbischof von Osnabrück das Leineschloss in Hannover übernommen. Gleichzeitig hatte er die begründete Hoffnung, dass sein Ältester später auch einmal das Fürstentum Lüneburg übernehmen konnte. Doch diese Chance war bedroht – bedroht vor allem durch seine Nichte Sophie Dorothea.
Denn das Bewerberkarussell drehte sich weiter. Sophie Dorothea galt nicht nur als ausgezeichnete Partie, auch ihre Schönheit und Anmut entzückten die Herrenwelt. Immer neue Heiratskandidaten machten von sich reden. Dabei tauchte auch der Name des dänischen Prinzen Georg auf, des späteren Gatten der englischen Königin Anna von England. Selbst König Karl XI. von Schweden bekundete sein Interesse. Bis nach Versailles, bis hin zum Hofe Ludwigs XIV. drangen die Gerüchte. Auch Wilhelm von Oranien, Statthalter der Niederlande, erfuhr davon. Dafür sorgte der Cellesche Minister Graf Bernstorff, der nicht nur bei Herzog Ernst August in Hannover als Spitzel im Sold stand, sondern auch bei dem Oranier. Und der spätere König von England zögerte nicht, entstehende Verbindungen durch gezielte Eingriffe zu zerstören, wenn sie mit eigenen Interessen kollidierten.
Auch die Hannoveraner ließen angesichts der drohenden Allianzen durchblicken, dass sie sich einen anderen Bräutigam für Sophie Dorothea wünschten, nämlich Cousin Georg Ludwig. Dies, so ließ man durchblicken, sei letztlich nur eine Frage des Ehevertrages, also der Mitgift. Doch dann meldete sich erneut Herzog Anton Ulrich aus Wolfenbüttel und brachte seinen zweiten Sohn ins Spiel: August Wilhelm, ein Heiratskandidat, der Sophie Dorotheas Mutter viel sympathischer war als der Prinz aus Hannover. Auch Sophie Dorothea fand Gefallen an dem Kandidaten, Wolfenbüttel war für sie schließlich Freundesland.
So wurde man sich schnell einig. Fünf Tage nach Sophie Dorotheas sechzehntem Geburtstag sollte die Verlobung bekannt gegeben werden – an jenem Tag im September 1682, an dem die Fürstin Sophie nach Celle geeilt war, um ihren Heiratsplan vorzutragen.
Sophie Dorotheas Mutter war außer sich. Entsetzt dachte sie daran, dass der Herzog von Wolfenbüttel schon in knapp einer Stunde mit seinem Stammhalter eintreffen würde. »Was sollen wir dem Herzog nur sagen?«, fuhr sie ihren Gemahl an. »Dass alles nur ein Scherz war? Dass wir es uns in letzter Minute anders überlegt haben?«
»Ich verstehe dich ja, meine Liebste. Mir ist es auch nicht recht, Vetter Tönis vor den Kopf zu stoßen. Aber glaub mir, auch der Herzog von Wolfenbüttel wird verstehen, dass wir keine andere Wahl haben.«
»Keine andere Wahl?«, wiederholte Eleonore aufgebracht. »Natürlich haben wir eine andere Wahl. Aber wenn dein Bruder in Hannover hustet, dann bleibt dir ja schon das Herz stehen. Wer sind wir denn, dass wir uns so behandeln lassen müssen?«
Doch wenn der Herzog seiner Frau sonst auch nahezu jeden Wunsch erfüllte, in dieser Angelegenheit hatte er sich entschieden. Er stand bei Sophie im Wort. Es gab kein Zurück mehr.
Und als wenig später die Kutsche aus Wolfenbüttel vorfuhr, musste er sein Versprechen einlösen und seinem Vetter die bittere Nachricht übermitteln. Gleichwohl lud er Herzog Anton Ulrich und seinen Sohn ein, seiner Tochter wie geplant, zum Geburtstag zu gratulieren und zum Essen zu bleiben.
Doch die Wolfenbütteler fühlten sich durch die Einladung nur noch zusätzlich verhöhnt. Gekränkt