Das „typische“ Alpenbild zeigt daher in dieser Zeit eine Massenparty im Hochgebirge oder einen Sportler in voller, wagemutiger Aktion, wobei im Hintergrund noch einige Gipfel und Bergketten zu sehen sind, die aber nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.
In dieser Zeit werden die Tourismuszentren der Alpen zu riesigen Tourismus-Ghettos ausgebaut. Diese werden vom Gipfel- bis in den Talbereich in künstliche Freizeitwelten verwandelt, die ein totales Konsumerlebnis ermöglichen, die aber mit den Alpen eigentlich nichts mehr zu tun haben.
Außerhalb dieser Freizeitwelten werden die Alpen dagegen – im Unterschied zu einer Natur, die fast überall in Europa vom Menschen dominiert wird - als Wildnis wahrgenommen, obwohl sie das gar nicht sind, wie Kapitel 3 zeigen wird.
21 Die Alpen werden jetzt technisch so hergerichtet, dass man auch in Jahreszeiten Ski fahren kann, in denen es von der Natur her eigentlich nicht möglich ist. Hier Skilifte auf dem Tsanfleuron-Gletscher in 3.000 m Höhe (westlichstes Berner Oberland), im Hintergrund die Kette der Walliser Alpen (September 2006).
22 Da der natürliche Schneefall in den Alpen auf Grund der Klimaerwärmung immer weniger und unzuverlässiger wird, werden die meisten Skipisten inzwischen künstlich beschneit. Hier der Beginn einer Skipistenbeschneiung in Inneralpbach im Alpbachtal (Kitzbüheler Alpen) kurz vor Weihnachten (Dezember 2015).
23 Mountainbike-Fahren ist seit zwei Jahrzehnten zu einer sehr beliebten Freizeitaktivität geworden. Hier ein MTB-Fahrer im französischen Queyras in ca. 2000 m Höhe (August 2014).
Mit dem Wandel des Alpenbildes ändern sich auch die Verhaltensweisen der Alpenbesucher grundlegend.
Die traditionellen Aktivitäten der Spaziergänger, Bergwanderer und Kletterer zielten auf das Erleben der Schönheit der Alpenlandschaft ab und können daher als „kontemplative“ Handlungen bezeichnet werden: Pausen, in denen man lange das Panorama bewundert, sind dafür charakteristisch.
Ganz anders die heutigen Individuen: Sie besuchen die Alpen, damit bestimmte Körpererlebnisse ausgelöst werden; die schöne Landschaft wird dabei zur Kulisse. Ihre Aktivitäten können als „körperzentriert“ bezeichnet werden, die sich ausschließlich auf sich selbst beziehen und die im Rahmen von modischen Aktivsportarten – Snowboarden, Mountainbiking, Nordic Walking, Rafting, Canyoning usw. – ausgeübt werden. Diese verlangen ein erhebliches Maß an Ausrüstung, Fitness und Training, um Spaß zu machen, und damit dringen die Werte der Arbeitswelt – Leistung, Spezialisierung, Effizienz – in die Freizeitwelt ein.
Zwei Aspekte fallen dabei besonders auf. Erstens werden alle Aktivitäten zum Selbstzweck: Man bewegt sich nicht mehr im Gelände, um die schöne Landschaft, sondern um den eigenen Körper zu erleben; deshalb können Skifahrer, Mountainbiker oder Gleitschirmflieger mehrmals am Tag die gleiche Strecke bewältigen, was für klassische Wanderer undenkbar wäre. Und Kletterern kommt es jetzt nicht mehr darauf an, einen Gipfel zu „erobern“, sondern die Schwerkraft zu überwinden, und sie können daher genauso gut an Kirchtürmen oder Hochhäusern klettern.
Deshalb ist es kein Zufall, dass diese Freizeitaktivitäten aus sich heraus die Tendenz entwickeln, in Indoor-Anlagen oder Freizeitzentren ausgeübt zu werden: Eine künstlich angelegte Kletterwand in einer Kletterhalle kann viel perfekter und funktionaler sein als jeder natürliche Felsen, und hier gibt es auch nie schlechtes Wetter. Damit werden die Alpen langfristig für diese Aktivitäten überflüssig.
Als zweiter Aspekt fällt auf, dass die Alpen jetzt nicht mehr als gefährlich und als Angst auslösend erlebt werden. Das Gefühl der technischen Beherrschbarkeit der Natur, das in der Industriegesellschaft noch einen fragilen Charakter hatte, ist nun völlig selbstverständlich geworden. Eng damit verbunden ist das Gefühl, dass die Alpen allein dazu da sind, um Freizeitbedürfnisse zu befriedigen, wozu sie tiefgreifend technisch umgebaut werden müssen – so etwas wie Respekt vor den Bergen erscheint jetzt als überholt und unzeitgemäß.
24 Das Elizabeth Arthotel in Ischgl (Tirol) steht als 5-Sterne-Haus für die heutigen gehobenen Urlaubsansprüche in den Alpen, die überall zu einem ähnlichen, austauschbaren Angebot führen und die – genau wie die Architektur – nichts mit den konkreten Alpen zu tun haben (April 2016).
25 Neben den Aktivsportarten ziehen auch große Events viele Besucher in die Alpen. Diese haben aber mit den Alpen nichts zu tun und könnten überall stattfinden. Hier die Besucher eines Konzerts der „Zillertaler Schürzenjäger“ in Finkenberg (Zillertal) im August 1996.
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