Was für eine seltne Gnade
War es, welche deiner Feder
Alle Dienste unsrer vor’gen
Freundschaft aufgezählet hat?
Mit der Spitze dieser Feder
Hast du einen Gruß geschrieben,
Nie soll das Gebäu der Erde
Bleiben ohne deine Schrift! –
Nimmer sag’ ich: du hast Unrecht,
Meiner dich noch zu erinnern,
Denn es wird dir vom Verstande
Nie ein Fehler aufgemerkt.
Dankbar für des Himmels Leitung
Darfst du mich noch nicht verachten,
Weil das Schicksal dich vor allen
Angesehn und groß gemacht.
Komm, ich will mit deinen Locken
Auf beständig mich verbinden,
Wenn ich dann den Kopf verliere,
Hanget er an deinem Fuß.1
Einstens wird dein Herz von unsrem
Gram und Leiden unterrichtet,
Zu der Zeit, wenn Tulpen blühen,
Aus vermodertem Gebein.2
Von den Locken hat der Ostwind
Jeder Rose viel erzählet,
Wann ließ doch der Nebenbuhler
Diesen Schwätzer ins Harem?
Labe meine durst’ge Seele,
Nur mit einem Tropfen Hefen,
Weil man dich aus Dschemschid’s Becher
Mit den Fluten Chiser’s tränkt.3
Sieh! mein Herz steht vor der Türe,
Halt es doch in Preis und Ehren,
Schon deshalben, weil der Himmel
Keine Qualen dir geschickt.
Überall sind Hinterhalte,
Gehe du nicht zu verwegen,
Von der Straße des Verderbens
Flieget sonst der Staub dir an.
Ostwind; gleich dem Herren Jesus4
Fröhlich seien deine Zeiten!
Denn Hafisens wunde Seele
Ward durch deinen Hauch geheilt.
1Ein sehr zusammengedrängtes Bild, das auseinandergesetzt so heißen würde: Lass mich meinen Kopf an dein Haar anbinden, dann wird denselben nichts davon trennen, eh’ würde er vom Körper als vom Haare loslassen; dein Haar ist lang und geht bis an die Fersen, mein Kopf wird stets an deine Fersen anschlagen.
2Die den Gräbern entsprossenen Blumen: Rosen aus dem Staube schöner Augen, Lilien aus schlanken Leibern, und aus Liebe verbrannten Herzen, Tulpen mit Brandmalen. Im Westen hat der Genius diese orientalische Idee nirgends so schön, so himmlisch erhaben dargestellt als in Rafaels Himmelfahrten, wo Blumen den leeren Särgen entsprossen.
3Chisers Fluten sind der Quell des Lebens, Dschemschid’s Becher das Symbol der Herrlichkeit und Macht.
4Das Wehen des Ostwinds ist wundertätig, wie der Hauch des Herren Jesus. Die Kraft, Wunder zu wirken, die Mitteilung eines höheren Geistes geschieht, nach den Begriffen der Morgenländer, durch das Anhauchen. Daher der Hauch bei der Wasserweihe in der Karwoche; noch heute hauchen die Scheiche der Derwische ihre Schüler an, ihnen den Geist des Ordens mitzuteilen.
LXXIII.
Außer deiner Schwelle hab’ ich
Keinen Zufluchtsort,
Außer deiner Türe leg’ ich
Nirgends hin mein Haupt.
Wenn der Feind den Säbel ziehet,
Werf’ ich weg den Schild,
Keinen andern Säbel kenn’ ich
Als das Wehgeschrei.
Warum soll ich von der Schenke
Wenden mein Gesicht?
Auf der ganzen Erde gibt es
Keinen bessern Weg.
Wirft in meinen Lebensspeicher
Einen Brand das Los,
Sage zu der Flamme, brenne,
Ich verliere nichts.
Ich bin ein getreuer Sklave
Des Narzissenaugs,
Das im Rausch des Übermutes
Keinen angeschaut.
Überall seh’ ich die Straße
Von Gefahr umstrickt,
Außer deinen Locken weiß ich
Keinen Zufluchtsort.
Herr der Schönheit! reite langsam
Mit gehaltnem Zaum,
Denn es ist am Wege keiner,
Der nicht Klagen hat.
Tue keinem was zu Leide,
Tu sonst, was du willst,
Außer dieser gibt es keine
Sünde im Gesetz.
Unrecht liegt mit offnen Flügeln
Auf der ganzen Stadt,
Wo ist dann des Wuchses Bogen
Wo der Pfeil des Augs?1
Gib den Herzensschatz Hafisens
Nicht dem Haar und Mal;
Denn nicht alle Schwarze wissen
Sorglich umzugehen.2
1Wo ist denn der Rächer des unterdrückten Rechtes! Die Ungerechtigkeit liegt wie ein ungeheurer Raubvogel mit ausgebreiteten Flügeln auf der Stadt. Wo ist Pfeil und Bogen, dieselbe zu verscheuchen? Wo der Pfeil der Wimpern meines Geliebten? Wo der Bogen seiner Brauen?
2Haar und Mal sind zwei Mohren; wie man weiß, sind an den Höfen des Morgenlandes die Schatzhüter gewöhnlich schwarze Eunuchen, welche das Kostbarste, nämlich die Kleinodien des Reichs und des Harems bewahren. Hafis warnet sich selbst, seinen Herzensschatz nicht aufs Geratewohl den beiden Schwarzen, dem Haar und Mal, anzuvertrauen, weil nicht alle Schwarzen damit sorglich umzugehen wissen.
LXXVII.
Lang ist’s, dass der Sehnsucht Flamme
Tief in meinem Innern ist,
Dass vom brennenden Verlangen
Brust und Herz zerstöret ist.
Lebenswasser ist ein Ausfluss
Von dem Zuckermund des Freundes,
Während dass die Sonn’ ein Abglanz
Seines Mondgesichtes ist.
Und von meinem Geiste blies ich
Adam einen Odem ein;1
Dieser Vers erklärt mir, wie
Ich und er nur eines ist.
Die Geheimnisse der Liebe
Siehet